Beats & Leistung
Musik und der Einfluss auf die Leistung im Sport
in Training
Ein Mann drischt in einem Kühlhaus auf gefrorene Rinderhälften ein – und dazu läuft ein besonderer Song: „Eye of the Tiger“ von Survivor. Heute steht diese inzwischen legendäre Szene aus dem Box-Film „Rocky“ mit Sylvester Stallone fast schon symbolisch für die Symbiose zwischen Sport und Musik. Und: Der Song wird noch immer vor dem Start etlicher großer Rad-, Lauf- und anderer Sport-Wettkämpfe gespielt.
Boom, Boom, Boom – während des Sports. Je lauter und wilder die Musik ist, desto stärker kann man sich pushen, oder? So einfach sind die wissenschaftlichen Zusammenhänge zur Thematik „Beats und Leistung“ nicht. Fakt ist jedoch: Auf die BPM kommt es primär an, die „Beats per Minute“. Die bislang wohl größte Studie zu diesem Themenfeld stammt von einem Forscherteam aus Australien und London. 2019 publizierten die Wissenschaftler diese sehr große Metaanalyse von 139 Studien zum Thema Sport und Musik. Zwei der zentralen Ergebnisse: Musik beim Sport steigert erstens die Motivation – und senkt zweitens den Grad der durchschnittlich wahrgenommenen Anstrengung. Bei Krafttraining- oder Intervalltraining-Einheiten sorgt die Musik laut der Metaanalyse zwar nicht für eine objektive Leistungssteigerung. Aber: Bei Ausdauersportarten wie Radfahren oder Laufen ist dies der Fall. Somit ergäbe sich als erstes Zwischen-Fazit: Als Radsportler kann man sich Musik zunutze machen, um eine messbare Leistungs- und Motivationssteigerung zu erreichen.
Spinning und Rhythmus
Der Parameter Motivation ist ein besonderer. Dies war auch ein Gedanke von Tim Moore, der für sein Buch „French Revolution“ die Strecke der Tour de France 2000 mit dem Rennrad nachfahren wollte. Um überhaupt in Form zu kommen, belegte er einen Spinning-Kurs in einem Fitnessstudio in England. Die Motivation stand dort im Mittelpunkt: durch „pushende“ Musik und das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe. Dies war seine einzige Vorbereitung. Und tatsächlich: Er ist die komplette Tour de France gefahren – wobei er den legendären Mount Ventoux nur bis zum Tom-Simpson-Gedenkstein bezwungen hat.
Auch der Beginn des Spinning-Sports hat mit Musik zu tun. Damals, in den 1980er-Jahren, nutzte der Radrennfahrer Johnny Goldberg das musikunterstützte stationäre Training in seiner Garage, um sich witterungsunabhängig auf das rund 5000 Kilometer lange Extremrennen „Race Across America“ vorzubereiten. Goldberg entwarf dafür zusammen mit dem Fahrradhersteller Schwinn ein Spezialrad – und entwickelte ein eigenes Trainingskonzept für Freizeitsportler. Der neue Trendsport „Spinning“ beziehungsweise „Indoor-Cycling“ war geboren. Extrem wichtig für die Ausbreitung des Trends: die Verknüpfung mit der passenden Musik. Mittlerweile gibt es eigene Spinning-Kanäle, die man live von zu Hause aus verfolgen und dabei trainieren kann. Einer davon: Indoor Cycling Channel TV.
Entscheidend beim Spinning: die Auswahl der je zur Trainingseinheit passenden Songs. Die Idee dahinter ist recht simpel: Ein Musikstück wird je nach seiner Geschwindigkeit ausgewählt, nach den Beats per Minute, BPM. Diese bestimmen jeweils den Takt des eigenen Tretrhythmus – und damit in der Regel auch den Grad der Anstrengung. Ergo kann man somit sozusagen von den BPM auf die UPM schließen, die Umdrehungszahl der Kurbel pro Minute. Klar erscheint: Spinning-Songs sollten sich in der Regel im Bereich von 110 bis 150 Beats pro Minute bewegen, damit man im Takt mittreten kann. Je kraftbasierter man treten will, desto niedriger sollten, in dieser Phase, die BPM der jeweiligen Songs sein. Dass viele Leistungssportler Musik vor und während des Sports routinemäßig nutzen, zeigte eine Studie schwedischer Forscher aus 2013. Die Athleten gaben dabei an, Musik dazu zu verwenden, sich vor dem Training zu motivieren und währenddessen die Leistung erhöhen zu können. Zudem wurde Musik mit positiven Attributen wie Glück, Wachheit und Selbstvertrauen assoziiert.
Leistung durch Musik: Emotionen und Intensitäten
Musik hat, dies haben mehrere Studien gezeigt, viele potenzielle Effekte: Sie kann eine Reihe von Emotionen auslösen, die Stimmung regulieren, die Arbeitsleistung steigern, Hemmungen abbauen und die Ermüdung verzögern. Japanische Forscher untersuchten in einer Studie aus 2017 die Wirkung von Musik auf die körperliche Leistungsfähigkeit bei jungen untrainierten Probanden. Sie ließen je 25 männliche und 25 weibliche Probanden submaximale Trainingseinheiten mit und ohne Musik durchführen.
Die Ergebnisse: Die Gesamttrainingsdauer steigerte sich in der mit Musik trainierenden Gruppe hochsignifikant, um durchschnittlich 15 Minuten. Zudem führte die Musik-Unterstützung zu signifikant höheren Werten der maximalen Herzfrequenz. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass Musik die Dauer der Übung und damit die Ausdauer erhöhen kann. Auch die Effekte von Musik auf die Regeneration nach dem Sport wurden bereits mehrfach untersucht. In einer weiteren Studie zeigte sich, dass Sportler, die nach einer starken körperlichen Anstrengung Musik hörten, eine höhere Aktivität, einen stärkeren Rückgang der Laktatkonzentration im Blut und eine stärkere Abnahme der empfundenen Anstrengung aufwiesen.
Im Rahmen einer ähnlichen Untersuchung zeigten die Ergebnisse von Jing und Xudong, dass sich mit entspannender Musik nach einer Rad-Ergometer-Trainingseinheit mit einer Belastung von 80 bis 85 Prozent der individuellen anaeroben Schwelle die Herzfrequenz, der Proteinanteil im Urin sowie die wahrgenommene Belastung verbessert haben – während die Laktatbildung, der Blutzuckerwert sowie die Reaktionszeit davon unbeeinflusst blieben.
Auswirkungen von Musik auf Leistung beim Sprint-Intervalltraining
Eine kürzlich veröffentlichte Studie untersuchte die Auswirkungen des Musikhörens auf die Leistung beim Sprint-Intervalltraining. Die Intervalle: viermal 30 Sekunden mit 100 Prozent Intensität – einmal mit Musik, die als motivierend empfunden wurde, und einmal ganz ohne Musik. Die Forscher maßen die Spitzen- und Durchschnittsleistung während des Radfahrens, die empfundene Anstrengung und das erfahrene Vergnügen.
Die Ergebnisse: Die Spitzen- und die Durchschnittsleistung sowie das Spaßempfinden waren während des Musikhörens erhöht. Ergo erzielten die Probanden mit der Musik durchschnittlich höhere körperliche Leistungen – und empfanden diese zudem als weniger anstrengend. Es zeigte sich demnach: ein starker signifikanter Effekt.
Welche Musik fördert die Leistung am stärksten?
Welche Art von Musik leistungsfördernd ist, wurde in einer Studie aus 2013 untersucht. Darin zeigte sich, dass das Laufen zu einem bestimmten Beat beziehungsweise Rhythmus die Leistung verbesserte. Die Probanden absolvierten auf Laufbändern im Labor je drei Einheiten bis zur Erschöpfung. Sie liefen dabei, je nach den Zeitvorgaben, unter drei Bedingungen: ohne akustische Reize, mit einer Synchronisierung der Bewegung mit einem Metronom und mit einer synchronen beziehungsweise zur Schrittfrequenz passenden Musik. Die Probanden liefen je so lange, wie sie konnten.
Die Ergebnisse: Überraschenderweise zeigten sich kaum Unterschiede zwischen den leistungssteigernden Effekten der Synchronisierung mit einem Metronom und jener mit der motivierenden Musik: Beide Methoden führten zu Leistungssteigerungen beziehungsweise einem verlängerten Zeitraum bis zum erschöpfungsbedingten Abbruch. Jedoch verringerte die Musik die empfundene Anstrengung, das Ticken des Metronoms hingegen nicht.
Leistung und Geschwindigkeit
Radsportler waren die Probanden einer Studie von Forschern der Singapore Sports School: Die – leider nur – elf Athleten absolvierten je ein zehn Kilometer langes Zeitfahren unter drei Bedingungen: 1. ohne Musik, 2. mit Musik zu Beginn, aber nur bis zur Hälfte der Strecke, 3. mit Musik, aber nur in der zweiten Streckenhälfte. Zu den untersuchten Variablen zählten unter anderem: Zeit, Leistung, Trittfrequenz, Geschwindigkeit, Blutlaktat. Die Ergebnisse: Die wahrgenommene Anstrengung und die Laktat-Konzentration blieben gleich. Doch die Musik sorgte dafür, dass die Teilnehmer zu Beginn des Zeitfahrens um durchschnittlich ein bis 1,25 km/h schneller fuhren als ohne Musik.
Nakamura et al. zeigten in ihrer Untersuchung aus 2010, dass die Effekte auch „in die umgekehrte Richtung“ wirken können. Kurz und etwas überspitzt formuliert könnte man dies wie folgt zusammenfassen: Schlechte Musik führt zu schlechten Leistungen. Oder: lieber keine Musik als schlechte beziehungsweise die falsche. Im Rahmen der Studie absolvierten 15 Probanden je gleich hohe Belastungen auf dem Rad-Ergometer, mit einer Intensität von rund 70 Prozent ihrer maximalen Sauerstoffaufnahme, VO2max – entweder ohne Musik, mit ihrer Lieblingsmusik oder mit als „schlecht“ empfundener Musik.
Das Ergebnis: Zwar blieb die Herzfrequenz vom Einfluss der Musik unberührt, das Hören der „schlechten“ Musik erhöhte jedoch das Belastungsempfinden und reduzierte die Leistungswerte. Als Fazit lässt sich konstatieren, dass das Hören von Musik während des Trainings eine Reihe potenziell positiver Effekte haben kann: von einer erhöhten Leistungsfähigkeit bis hin zu mehr Spaß. Diese sind wahrscheinlich auf die Verbindung zwischen Rhythmus und Bewegung zurückzuführen – durch die Synchronisierung mit dem Takt werden die Bewegungen effizienter. Ein weiterer Mechanismus, durch den Musik die körperliche Leistung unterstützt, basiert auf Emotionen: Die Motivation kann gesteigert und das Anstrengungsempfinden deutlich gemindert werden.
Musik und Sport: Fazit
- Das Hören von Musik, insbesondere von motivierender Musik, kann die Bewertung der wahrgenommenen Anstrengung, die Motivation und die Aktivierung deutlich verbessern.
- Musik kann eingesetzt werden, um die Intervall- beziehungsweise Trainingszeit zu verlängern, indem sie die Intensität bis zum Versagen beziehungsweise Abbruch steigert.
- Es besteht eine fast lineare Beziehung zwischen der zunehmenden Anstrengung und dem Musiktempo, die statistisch mit deutlich steigenden Herzfrequenzen einhergeht.
- Der Einzelne kann seine Bewegungsmuster verbessern, da er stark auf die rhythmischen Qualitäten der Musik reagiert. Dies kann zu einer verbesserten Technik und Koordination führen.
- Durch die signifikanten Verbesserungen in der Bewegungskette kann, im Optimalfall, der Stoffwechsel während intensiver Aktivitäten weniger beansprucht werden als ohne Musik.
- Auch die Regeneration nach dem Sport kann teilweise profitieren. So kann sich etwa die nötige Gesamtzeit bis zur Erholung durch einen musikalischen Stimulus deutlich verringern.
- Langsamere Songs, von den Beats per Minute her, bewirkten meist auch eine langsamere Herzfrequenz und einen niedrigeren Blutdruck nach dem Training, was sich auswirken kann.
- Neben dem Rhythmus zeigten sich in einigen Studien auch die Texte als potenziell wirksam auf die Leistung und die Anstrengung. Hier gilt: Positiv und motivierend wirken entsprechend.
- Während des Trainings sollte man in der Regel Titel mit klaren und sich wiederholenden rhythmischen Beats wählen – nach dem Training eher beruhigende langsame Songs.
Tipp und Link:
Das Album „Cycology“ von Sven Kühbach: https://svenson.bandcamp.com/album/cycology
Dieser Artikel erschien in der RennRad 4/2023. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.