Trainingseinblicke
Trainingseinblicke: Vom Talent zum Profi

Eine neue Generation

Trainingseinblicke: Vom Talent zum Profi

Wie schaffen es junge Fahrer zu den Profis? Wie trainieren sie? Und wer finanziert ihren Weg? Ein Besuch beim Trainingslager des Teams Polartec-Kometa: Trainingseinblicke.
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Dies ist ein Berg ohne Gipfel. Es geht scheinbar endlos bergauf, mitten im Winter, bei 34 Grad. Was sich tendenziell nach einer Unendlichkeit anfühlen wird, sind in der Realität weit mehr als 30 Kilometer. Zählt man die leicht ansteigende Anfahrt mit, sind es gar gewaltige 51. Wir sind am Fuß des Berges, eine große Gruppe, rund 30 Rennradfahrer – und es kommt, was kommen muss, auf den ersten hundert Metern des Anstiegs: die erste Attacke. Von einem schmalen braungebrannten Mann in einem rotschwarzen Trikot: Alberto Contador.

An seinem Hinterrad sprintet Ivan Basso mit. Der Giro-Sieger folgt dem Tour-de-France-Sieger. Dahinter reihen sich einige der besten Nachwuchsfahrer Spaniens ein. Es sind Männer, die für das Team des Mannes starten, den sie gerade verfolgen: Polartec-Kometa. Ein paar Stunden später: Abendessen, typisch US-amerikanisch. BBQ – es gibt Spareribs, Steak, Mais, Maisbrot, Salat. Alberto Contador ist gut gelaunt. Er tippt auf seinem Smartphone herum, und zeigt Social-Media-Kommentare, die unter einem Foto stehen, das ihn bei der heutigen Radtour zeigt. „Schaut euch das an“, er schreit jetzt fast schon, „die sagen alle, dass ich dick geworden bin!“ Contador lacht. „Und sie haben Recht. Die komischen Beine da“, er zoomt in das Foto, „die sehen total wabbelig aus.“

Dieser Artikel erschien in RennRad-Ausgabe 7/2018. Jetzt bestellen!

Räder für das Leben

Es ist nur wenige Wochen her, dass Alberto Contador seine Karriere als Radprofi beendet hat. Mit einem Knall. Sein letzter Arbeitstag, eine Etappe der Vuelta Espana, machte ihn endgültig zum spanischen Nationalhelden – trotz seiner Doping-Verstrickungen, die dort kaum ein Rolle spielten. Er hatte früh attackiert, wie so oft zuvor, die anderen jagten ihn, doch er rettete einige Sekunden Vorsprung ins Ziel. Sein letztes Rennen war auch sein letzter großer Sieg. Am Alto d’Angliru, einem der härtesten Anstiege des Profiradsports. Jetzt – in der nächsten Phase seines Lebens – ist er hier, in Tucson, Arizona, um über die Zukunft zu reden: seine Stiftung, die Fundacion Contador, und seine Teams, zu denen die Polartec-Ko-meta-Equipe gehört. Er will dem Radsport etwas zurückgeben. Vor allem dem Nachwuchs. Er will Chancen eröffnen. Er und seine Partner organisieren gleich vier Teams, die jungen Radrennfahrern Perspektiven bieten. Von den Junioren, über die U23-Klasse bis zu den Profis, in die dritte Liga des Radsports der Continental-Teams. Die Fundacion hat zwei Ziele: Zum einen den Kampf gegen Hirnschläge. Einen solchen hatte Contador im Jahr 2004 erlitten, als er nach einem epileptischen Anfall auf dem Rad schwer stürzte. Später wurde eine Gefäßmissbildung im Gehirn als Auslöser diagnostiziert. Zum anderen: Den Radsport verbreiten. Etwa durch die Aktion „Bicis para la vida“, Räder für das Leben. Hunderte von Fahrrädern wurden so bereits an bedürftige Kinder und Jugendliche gespendet.

Dazu kommt das dritte Ziel, für das die Stiftung und die eigenen Teams da sind: Kinder, Jugendliche, Schüler zum Radsport zu bringen – und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, Radrennen zu fahren. Und dies alles in einer einzigen Team-Struktur, vom Schüleralter bis zu den Profis. Zu dem Trainingslager in Arizona hat der Hauptsponsor Polartec geladen, ein Hersteller von Funktionsstoffen, der unter anderem Erfinder des Synthetik-Fleeces ist und auch die US-Army beliefert. Das Besondere ist die Art und Weise, wie dieses Engagement als Sponsor im Radsport zustande kam – und was die Gründe dafür waren. Keine Zahlen, keine Input-Output-Rechnung, keine großen Marktanalysen und Zielgruppenbefragungen.

Trainingseinblicke: Intervalle

„Wir haben kein Team gesucht, das Ganze war ein organischer Prozess. Die Chemie hat einfach gestimmt, es gab keinen Plan, es gab nur eine Möglichkeit“, sagt Gary Smith, der CEO von Polartec. „Ich glaube nicht daran, Geld zu investieren, um unseren Firmennamen auf einem Trikot zu sehen. Es geht viel tiefer.“ Dabei sind die Ziele seiner Firma im Radsport extrem ambitioniert: „Wir wollen auch bei Funktionstextilien für Radkleidung eine weltweite Dominanz. Unser Ziel ist, dass sich ein Radfahrer keinerlei Gedanken mehr um seine Kleidung machen muss. Sie soll einfach funktionieren.“

Im Fokus des Team-Traningslagers steht das Grundlagentraining. Eigentlich. Aber nicht heute, nicht an diesem 30-Kilometer-Berg, dem Mount Lemmon. Dies ist der Hausberg von Tucson. Die Stadt ist riesig, Vororte, Vororte, Vororte. Einstöckige Einfamilienhäuser mit kleinen Gärten davor. Grünes Gras ist nirgends zu sehen. Es ist trocken, heiß, Wüstenklima. Alberto Contador fährt hier kurze Intervalle, die dazu führen, dass alle anderen eine Rennsimulation absolvieren.

Peloton teilt sich

Das kleine Peloton zersplittert in etliche kleine Gruppen. Erst oben, nach mehr als 30 Kilometern bergauf, wird am Umkehrpunkt gewartet. Am Ende des Tages stehen nur rund 90 Kilometer auf dem Tacho, aber fast die Hälfte davon führte bergauf – und war für die meisten ein G2- oder Entwicklungsbereich-Training. Bereits am Tag zuvor war es Contador, der aus der eher ruhigen und flachen Grundlageneinheit bei 32 Grad eine Grundlageneinheit mit einem Zehn-Kilometer-EB-Intervall machte – einfach, indem er aus der Führungsposition heraus langsam beschleunigte und das Tempo hielt.

Für die Fahrer des Continental-Teams waren intensivere Einheiten auch nötig, denn bereits rund fünf Wochen später stand das erste Saison-Highlight an: Die Valencia-Rundfahrt, ein Rennen, bei dem die 19- bis 22-Jährigen gegen etliche WorldTour-Profis, unter anderem aus dem Team Sky, antreten mussten.

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Vorbilder

Ihr Saisonbeginn geriet extrem erfolgreich. Was vor allem an ihrem italieinschen Sprinter, Matteo Moschetti, lag. 2018 wurde das Team viel internationaler, nun sind nur noch vier Spanier im Kader. Neu hinzu kamen etwa Patrick Gamper aus Österreich, Michel Ries aus Luxemburg – und ein Fahrer, der von einem deutschen Team zu Polartec-Kometa gewechselt ist: Der 20-jährige Awet Habtom aus Eritrea fuhr noch 2017 für das Continental-Team BikeAid aus dem Saarland.

In seinem ersten Rennen für sein neues Team, der Tour of Alanya in der Türkei, wurde er gleich Gesamtdritter und gewann die Nachwuchswertung. Die Polartec-Athleten sind Vollprofis – im Gegensatz zu den Fahrern der meisten anderen Continental-Teams. Schon in der U23-Klasse findet eine starke Spezialisierung statt: die Sprinter trainieren anders als die Bergfahrer. Jeder Athlet bekommt einen individuellen Trainingsplan, der ständig an das Rennprogramm und den physischen Zustand angepasst wird. Dies gilt auch für das Juniorenteam: Es werden die Saisonziele jedes Fahrers festgelegt, man arbeitet an den Stärken wie an den Schwächen, jeder trainiert nach seinem Trainingsplan, natürlich mit einem Powermeter am Rad.

Trainingseinblicke: Contador glaubt an Powermeter

Auch wenn ihr Chef, Alberto Contador, sagt: „Ich glaube zu 100 Prozent an Powermeter, im Training. Im Rennen machen sie alles langweiliger.“ Bei der Ernährung gilt: keine Experimente. Mageres Fleisch, Fisch, Salat, Gemüse, viele hochwertige Kohlenhydrate und Fette. Paella, Polenta, BBQ. Die Ziele: ambitioniert. Wobei, ähnlich wie bei den Fußballschulen der Topvereine, nicht primär der Erfolg in den Nachwuchsklassen im Fokus steht, sondern das Entwickeln von Talenten.

Dahingehend, dass sie es zu den Profis, in die WorldTour, die erste Liga des Radsports, schaffen – und dort erfolgreich sind. So wie Matteo Moschetti. Der 21-jährige Sprinter holte schon bis Ende April sieben Saisonsiege – und unterschrieb bereits zu diesem frühen Zeitpunkt einen Vertrag bei einem WorldTour-Team für 2019: Der Italiener wird zu jener Equipe wechseln, für die Polartec quasi als Farmteam fungiert: Trek-Segafredo.

Radsport-Versprechen Enric Mas

Ein anderer, der diesen Weg dank der Fundacion schon gegangen ist, ist: Enric Mas. Sein Name fällt häufig. Er ist erst 23 Jahre alt, wurde in den Nachwuchsteams der Fundacion Contador ausgebildet, fährt im zweiten Jahr bei einem der besten Teams überhaupt, Quick-Step Floors, und zählt bereits jetzt zu einem der großen Radsport-Versprechen Spaniens: Im Vorjahr wurde er Gesamtzweiter der Burgos-Rundfahrt, in dieser Saison gewann er eine Bergetappe der Baskenland-Rundfahrt – vor Stars wie Mikel Landa, Ion Izagirre oder Nairo Quintana.

Für die Nachwuchsfahrer ist er schon einer der ganz Großen, der Vorbilder – und er ist einer von ihnen, einer der neuen Generation. Er hat den Anfang gemacht.

Das Team

Polartec-Kometa wird von der Fundacion Contador betrieben. Einer Stiftung, die Alberto Contador gründete und für die sein Manager und Bruder Fran verantwortlich ist. Neben diesem ist auch Contadors langjähriger Edelhelfer Jesus Hernandez als Sportdirektor des Teams tätig. Ivan Basso hat zur Saison 2018 die Manager-Rolle übernommen. Polartec-Kometa wird als das inoffizielle Nachwuchsteam von Trek-Segafredo geführt. Kometa aus Italien kam neu als Sponsor hinzu.

Polartec aus den USA zählt zu den führenden Herstellern von Funktionsmaterialien, die unter anderem von Radbekleidungsherstellern wie etwa Rahpa oder Sportful verarbeitet werden. Zu den Stoffen zählen etwa: „Power Wool“, Merinowolle mit Polyester außen, das wärmend wirkt. „Power Stretch“: Nylonmaterial mit Kompressionsfunktion und Polyester, das besonders schnell trocknet. „Delta“, das sehr dünn ist für heiße Tage. „Windbloc“, das winddicht, wasserabweisend und atmungsaktiv ist. Sowie „Power Shield Pro“, das ebenfalls wasserdicht und atmungsaktiv ist, aber dazu auch extrem robust. Weitere Informationen:

Trainingseinblicke: Pläne und Einheiten

Der Team-Trainer fasst die Trainings-Philosophie zusammen:

„Das Wichtigste bei der Trainings- und Belastungssteuerung ist, den aktuellen Leistungsstand, die körperlichen Voraussetzungen und die Erfahrung sowie Entwicklung jedes Athleten individuell zu berücksichtigen. Dementsprechend setzen wir je nach dieser ‚Reife‘ eines Fahrers die Ziele und die progressiven Trainingsumfänge und -Intensitäten. So gehen wir auch bei den Trainingsinhalten vor: streng progressiv. Jemand, der frisch aus der Juniorenklasse kommt, wird bei uns noch nicht viele längere hochintensive Intervalle absolvieren. Dies steigern wir von Jahr zu Jahr. Zu diesem frühen Zeitpunkt überwiegen bei uns die taktische und technische Schulung und das Verstehen und Hineinhören in den eigenen Körper. Wer dies nicht lernt, wird nicht dauerhaft erfolgreich sein. Denn der Körper sagt einem, wann die Belastung hoch sein kann und wann sie runtergefahren werden muss. Der Sportler muss mündig werden – und sich nicht sklavisch an Trainingspläne und Wattwerte halten. Denn so wird er dauerhaft über- oder unterfordert werden. Jeder Fahrer hat unterschiedliche Stärken und Schwächen, jeder regeneriert unterschiedlich schnell oder langsam. Das Training tagesaktuell individuell zu steuern, ist deshalb der Hauptpunkt unserer Arbeit. Generell geht es bei den meisten Athleten um zwei Trainingsziele: die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) zu steigern – und die Geschwindigkeit bergauf, und somit den Watt-Pro-Kilogramm-Wert.“

Die beiden Tabellen zeigen die individuellen Trainingsinhalte einzelner Fahrer. Tabelle 1 zeigt die Trainingsbelastung einer Woche. Der Plan ist für einen Fahrer bestimmt, der seine dritte Saison in der U23-Klasse fährt. Es ist die finale Phase eines Trainings-Mesozyklus.

Trainingsideen

1. Trainingsidee: Motortraining hinter einem Auto oder Motorroller. Dies soll die Tempofestigkeit schulen. Es ist intensiv, erfordert wechselnde und oft hohe Trittfrequenzen und zielt auch auf die Verbesserung der Zeitfahrleistung. Die Beispielwerte eines Polartec-Fahrers: 122 Kilometer, 3:06 Stunden, 6 Wiederholungen von je 4-5 Minuten mit je niedriger Kadenz von 45-55 und über 100 Umdrehungen pro Minute + eine Stunde Motortraining mit 5 x 1 Minute EB/SB, normalisierter Power-Wert für 60 Minuten: 255 Watt.

2. Trainingsidee: Auch für die Bergfahrer im Team gibt es nicht „die eine Haupt-Trainingseinheit“. Es geht um Variationen, um Intensitäten, um die individuelle Belastungssteuerung und um Höhenmeter. Das folgende Trainingsbeispiel zeigt eine Einheit, deren Ziel unter anderem die Fähigkeit zu Rhythmuswechseln bergauf ist: 109 Kilometer, 3:39 Stunden, 6 x 15-Sekunden-Antritte + 3 x 20 Minuten im GA2 mit je 20-Sekunden-Sprints am Ende. Die 5-Sekunden-Peak-Power des Fahrers: 596 Watt.

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