Pendeling
Pendeln mit dem Fahrrad: Trainingsideen für Ganzjahres-Commuting
in Training
16 Kilometer, zweimal pro Tag, fast ohne Höhenmeter, durch die Stadt und entlang des Flusses – ich kenne jeden Meter, jede Kurve, jeden Baum, jedes Schlagloch dieser Strecke. Morgens hin, abends zurück. Dies ist mein Arbeitsweg – und meine Trainingsstrecke. Dies sind der Auftakt und der Ausklang jedes Arbeitstages. An jedem einzelnen Arbeitstag des Jahres.
Ich bin ein Ganzjahres-Radpendler. Und das nicht nur, weil das Radfahren mein Hobby ist, sondern auch weil ich ein Pragmatiker bin. Das Radpendeln ist für mich alternativlos, denn: Mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitten zu fahren, würde Stau, Stress, Kosten und längere Fahrzeiten bedeuten. Mein Arbeitsweg beinhaltet keine einzige Ampel und fast nur Rad- und Feldwege.
Je wärmer es ist, desto voller sind die Radwege. Im Winter und bei Regen bin ich außerhalb der Stadtgrenze fast immer allein auf dem Schotterweg entlang der Isar. Fast jeden Tag habe ich während dieses knapp zehn Kilometer langen Teilstücks dieselbe Assoziation, dieselben Gedanken im Kopf: Kanada. Neuseeland. Intakte Natur. Ich sehe: Laubbäume, Kiesbänke, glasklares Wasser, Grün, Braun, Grau. Ich sehe nicht: Asphalt, Häuser, Autos. Ich höre: das Knirschen der Reifen auf Schotter, den Wind in den Blättern der Bäume, das Plätschern der Isar – und sonst nichts.
Gewicht und Leistung
Perspektivwechsel: weg von eigenen Erlebnissen, hin zum Stand der Wissenschaft. Das Rad-Pendeln kann ähnlich effektiv sein wie intensives Fitnesstraining – und effizient beim Abnehmen helfen. Dies suggeriert das Ergebnis einer Studie der Universität Kopenhagen. Die Probanden: 130 zuvor nicht sportlich aktive junge und übergewichtige Männer und Frauen, die in vier Gruppen aufgeteilt wurden. Die Probanden der ersten Gruppe fuhren während sechs Monaten täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit: 14 Kilometer mit einer geringen Intensität. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe trainierten jeden Abend 35 Minuten lang im Fitnessstudio – mit recht niedrigen Intensitäten von bis zu 50 Prozent der Maximal-Leistung. Die der dritten Gruppe trainierten fünfmal pro Woche 55 Minuten lang mit 70 Prozent der Maximalleistung im Fitnessstudio. Die der vierten, der Kontrollgruppe, trainierten nicht. Vor und nach dem Studienzeitraum wurden die Körperzusammensetzungen der Probanden mit der Dual-Röntgen-Absorptiometrie vermessen.
Die Ergebnisse: Die Intensiv-Trainierer hatten am meisten Körperfett abgebaut – im Durchschnitt 4,5 Kilogramm. Doch die Radpendler wiesen ähnliche Abbauraten auf: durchschnittlich 4,2 Kilogramm. Jene Probanden, die mit moderaten Intensitäten im Fitnessstudio trainierten, bauten dagegen nur durchschnittlich 1,8 Kilogramm Körperfett ab.
Pendeln führt zu geringerer Sterblichkeit
In einer sehr großen britischen Studie aus dem Jahr 2017 wurden 263.450 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 52,6 Jahren über viele Jahre hinweg beobachtet.
Ein Ergebnis: Das regelmäßige Rad-Pendeln zur Arbeit und zurück war verbunden mit einer signifikant geringeren Sterblichkeit sowie geringeren Risiken für Herzkreislauferkrankungen und Krebs. Forscher des King’s College London verglichen für ihre Langzeitstudie mehr als 2400 eineiige Zwillinge und stellten fest: Jene, die das Bewegungs-Äquivalent von nur drei 45-minütigen Radfahrten pro Woche absolvierten, waren „biologisch“ neun Jahre jünger als andere Probanden beziehungsweise Zwillinge, die sich weniger bewegten. Störvariablen wie etwa das Rauchen oder ein erhöhter Body-Mass-Index wurden dabei herausgerechnet. Der Stand der Wissenschaft lautet: Wer regelmäßig Sport treibt, hat ein deutlich geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, alle Arten von Krebs, Bluthochdruck und Fettleibigkeit. Nach Daten der British Heart Foundation senkt das Radfahren – konkret bereits schon rund 30 Kilometer pro Woche – das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um mehr als die Hälfte.
Hochtrainierte Radsportler standen im Fokus einer Studie von Westgarth-Taylor und Harley. Diese absolvierten zunächst drei Leistungs- beziehungsweis Power-Output-Tests sowie zwei simulierte 40-Kilometer-Zeitfahren. Danach ersetzten sie über einen Zeitraum von sechs Wochen je 15 Prozent – oder in absoluten Zahlen 66 ihrer 300 Wochen-Kilometer – durch kürzere High-Intensity-Intervall-Trainingseinheiten. Konkret: zwölf HIIT-Sessions aus je sechs bis neun Fünf-Minuten-Intervallen, die je von einer einminütigen aktiven Pause unterbrochen waren.
Die Ergebnisse: Die Probanden erhöhten ihren Power-Output um durchschnittlich 20 auf nun 424 Watt und verbesserten ihre Zeitfahr-Leistungen von Durchschnittsgeschwindigkeiten von zuvor 42,0 auf nun 43,0 km/h. Die Trainingseffekte des High-Intensity-Intervall-Trainings sind sehr ähnlich zu denen des Grundlagenausdauer-Trainings. So werden etwa durch erhöhte Laktatlevel nicht, wie früher angenommen, die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, zerstört – sondern sie werden auch durch das HIIT neu gebildet. Ein Star der Ultracycling-Szene, der sechsmalige Sieger des Race Across America Christoph Strasser, setzt etwa auf längere All-out-Intervalle, die mit viermal vier Minuten beginnen und im Laufe der Saison auf viermal 16 Minuten – mit 16 Minuten aktiver Pause – gesteigert werden. Die Intensität: bis 100 Prozent. Im Leistungssport finden auch die sehr kurzen und extrem intensiven Tabata-Intervalle häufig Anwendung. Diese bestehen in der Regel aus drei Sätzen von acht Intervallen, die je rund 20 Sekunden dauern. Die Pausenlängen: zehn Sekunden zwischen jedem Intervall, zehn Minuten zwischen den drei Sätzen.
Ausdauer und Effizienz
Ralph Diseviscourt ist – wie auch Christoph Strasser – einer der erfolgreichsten Extrem-Radsportler der Welt. 2021 verbesserte er den damaligen 24-Stunden-Straßen-Outdoor-Weltrekord auf 927 Kilometer. Der Luxemburger begann erst mit 28 Jahren mit dem Radsport. Mit 35 Jahren konzentrierte er sich auf das Ultracycling. Sein Training besteht vor allem aus seinem Weg zur Arbeit. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter macht er sich um fünf Uhr morgens auf den Weg, auch bei Schnee und Regen und Dunkelheit. 50 Kilometer, einfach. Meist mehr, wenn er noch zusätzliche Schleifen einbaut. Eine dritte Trainingseinheit bildet häufig die Mittagspause.
Ralph Diseviscourt arbeitet Vollzeit als Managing Director einer Luxemburger Bank. Der 46-Jährige ist zudem Familienmensch. Das Schlafdefizit, mit dem sich viele Extrem-Radsportler während der Langdistanz-Rennen arrangieren müssen, trainiert er quasi im Alltag. Im Sommer fährt er bereits frühmorgens los. Seiner Familie ist es egal, ob er um sechs oder um vier Uhr morgens das Haus verlässt. „Ein besseres Mentaltraining gibt es nicht“, sagt er. Er kommt oft nach 100 bis 120 Kilometern um acht Uhr bei seiner Arbeitsstelle an. Nach Hause fährt er meist den direkten Weg. So kann er den Abend mit seiner Familie verbringen.
In seinem Alltagsrhythmus kommen acht Stunden Schlaf eher selten vor. Häufiger sind es fünf oder sechs. Er ist es gewohnt. Sein Berufsleben hat er schon immer mit dem Radfahren verbunden. Als er begonnen hat, sich auf das Ultracycling zu konzentrieren, ist er längst voll berufstätig, arbeitet oft mehr als 40 Stunden pro Woche, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Bis zu 50 Stunden sitzt er im Sommer pro Woche auf dem Rad – mehr als eine zweite Arbeitswoche zusätzlich. Einen detaillierten Trainingsplan hat er nicht – Ralph Diseviscourt fährt einfach nach Gefühl. Immer. Er hat keinen Coach, keinen Ernährungsberater. Einen Powermeter nutzt er nur selten. Er fährt einfach Fahrrad. Jeden Tag. Sein Pendel-Training ist, wie für viele andere auch, seine einzige Möglichkeit, seine Leidenschaft mit seinem Beruf zu verbinden.
Die Wichtigkeit von Schlaf für die sportliche Leistungsfähigkeit: Wissenschaftliche Hintergründe
Zeit als entscheidender Faktor
Auch aus diesem Beispiel wird deutlich, dass es immer den einen entscheidenden Faktor gibt: Zeit. Den Sport beziehungsweise das Training mit der Arbeit, der Familie, dem Alltag, Freunden und anderen Hobbys zu kombinieren, ist die wohl größte Herausforderung aller Hobbyathleten.
Das Rad-Pendeln kann hier ein Teil einer konstruktiven Lösung sein. Statt in einem Auto, einem Bus oder einer Bahn zu sitzen – einen Leitartikel zur Entwicklung und zu den extrem negativen Konsequenzen der immer ausgeprägteren Entwicklung hin zu einer Sitz- und Bewegungslosigkeits-Gesellschaft finden Sie in der RennRad-Ausgabe 7/2022 – arbeitet man auf dem Weg zum Job an seiner eigenen Fitness. Und erlebt den Fahrtwind und die Natur.
Wie das konkrete Training beim Pendeln gestaltet wird, hängt von der Form, der Strecke, der Trainings-Periode und einigen weiteren Faktoren ab. Auch wenn die Fahrt nur 25 oder 30 Minuten dauert, kann man sie bereits für Intervalle, Fahrtspiele et cetera nutzen. Viele Athleten „verlängern“ auch ihre Wege, indem sie etwa Zusatzschleifen oder Extra-Hügel-Intervalle in die normale Strecke „einbauen“. In der Regel beginnt jede Fahrt und jede Einheit damit, sich warmzufahren. Bis der Organismus für hochintensive Intervalle bereit ist, sind mindestens zehn, eher 15 oder auch 20 Minuten im lockeren Grundlagenbereich nötig. Der Gestaltung der intensiveren „trainingswirksamen“ Abschnitte sind keine Kreativitäts-Grenzen gesetzt. Ein extrem einfaches abwechslungsreiches Einstiegsszenario lautet etwa: Ampel- oder Ortsschildsprints. Konkret bedeutet dies: Jeder Stopp an einer roten Ampel – oder jedem Ortschild – dient als Start- beziehungsweise Zielpunkt eines sechs- bis 25-sekündigen Sprints. In dem einen Fall startet man diesen aus dem Stand, im anderen „fliegend“ aus der Fahrt heraus.
Nüchterntrainings und Trittfrequenzen
Eine andere Trainingsidee: Trittfrequenz-Pyramiden. Um eine Grundlageneinheit aufzuwerten, können sowohl Trittfrequenz-Pyramiden – zum Beispiel je 80, 90, 100, 110, 120, 130 Umdrehungen pro Minute als Steigerungsfahrt – als auch Einbein-Trainings eingestreut werden. Beispiel: im Rahmen des GA1-Trainings bei einer Trittfrequenz von 90 beginnen und sechsmal je 30 Sekunden mit nur einem Bein treten. Die Serienpause: je fünf Minuten. Das sogenannte Sweet-Spot-Training findet im Bereich zwischen 88 und 93 Prozent der Functional Threshold Power statt. Oder, grober abgesteckt, zwischen 75 und 83 Prozent der maximalen Herzfrequenz. Es zeichnet sich durch seine Effizienz aus. Viele Profis setzen auf Intervallformen, etwa dreimal 20 Minuten mit ebenso langen Pausen. Für erfahrene Langdistanz-Athleten kommen auch längere Einheiten von bis zu 120 Minuten am Sweet Spot infrage. Wer den Weg zur Arbeit effektiv nutzen will, kann mit einem Verzicht auf das Frühstück zu Hause auch eine kürzere Strecke zur Steigerung der Fettverbrennung nutzen. Hier verzichtet man morgens komplett auf eine Nahrungsaufnahme und trainiert anschließend.
Damit diese Trainingsform den Fettstoffwechsel optimieren kann und nicht schädigend wirkt, gilt es einiges zu beachten. Wer im nüchternen Zustand Sport treibt, trainiert mit einem nahezu leeren Leberglykogenspeicher – der Muskelglykogenspeicher hingegen kann noch voll sein. Ein Nüchterntraining sollte daher immer bei einer geringen Intensität durchgeführt werden und nicht länger als 60 bis 90 Minuten dauern. Um Muskeln aufzubauen und zu reparieren, ist eine erhöhte Kohlenhydratzufuhr notwendig. Für die folgenden intensiven Trainingseinheiten sollten auch die Glykogenspeicher wieder aufgefüllt werden – das gelingt nur, wenn man ausreichend Kohlenhydrate zu sich nimmt. Insbesondere in den ersten zwei Stunden nach der sportlichen Aktivität können die Muskeln besonders effizient Glykogen einlagern. Ergo gilt: Je schneller, desto besser lassen sich die geleerten Glykogendepots wieder füllen. Als weitere Methode zur Steigerung des Fettstoffwechsels hat sich die sogenannte „Sleep Low“- Methode etabliert. Hierbei werden zwei Trainingseinheiten an aufeinanderfolgenden Tagen verbunden.
Gehirn und Lunge
Am Nachmittag oder am Abend des ersten Tages leert man die Muskelglykogenspeicher mit einer intensiven Trainingseinheit. Anschließend füllt man die Speicher nicht wieder auf – man verzichtet für den Rest des Tages auf Kohlenhydrate. Am zweiten Tag folgt eine Trainingseinheit im niedrigen Intensitätsbereich. Diese kann man entweder nüchtern oder nach einem Frühstück ohne Kohlenhydrate durchführen. Diese Trainingseinheit sollte maximal 60 bis 90 Minuten dauern, schließlich sind die Leberglykogenspeicher leer, wie beim klassischen Nüchterntraining. Anschließend füllt man die Energiespeicher mit einer kohlenhydratreichen Mahlzeit wieder, um die Energie für folgende intensivere Trainingseinheiten bereitzustellen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich mit dieser Methode der Fettstoffwechsel sehr effektiv und in kurzer Zeit verbessern lässt.
Fettstoffwechsel, Fitness, Krankheitsrisiken – die Effekte des regelmäßigen Radpendelns sind extrem vielfältig. Sie betreffen nicht nur die Physis, sondern auch die Psyche. So stellten Forscher der Universität Illinois, USA, in ihrer Studie fest, dass das Radfahren zu einer durchschnittlich fünfprozentigen Verbesserung der kardiorespiratorischen Leistungsfähigkeit führte – und damit auch zu einer mentalen Leistungssteigerung von bis zu 15 Prozent in Denk-Tests. Der Ausdauersport steigert nachweislich die Gehirn-Durchblutung und somit die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn. Dies verbessert die neuronale Regeneration und die Neubildung von Gehirnzellen, etwa im Hippocampus, der „Gedächtnis“-Gehirnregion. Wie ein Training auf die Psyche wirkt, wurde auch in einer großen Meta-Analyse von zwölf Studien untersucht. Konkret: der Zusammenhang zwischen Bewegung und Müdigkeit.
Das klare Ergebnis: Sportliche Bewegung senkt den Müdigkeitsgrad schnell und signifikant.
Sport vor der Arbeit führt zu besserer Leistungsfähigkeit
Eine andere von der Universität Bristol durchgeführte Studie mit 200 Probanden ergab weiterhin, dass Arbeitnehmer, die vor der Arbeit oder in der Mittagspause Sport trieben, ihre Zeiteinteilung und ihr Arbeitspensum besser bewältigen konnten. Zudem erhöhten beziehungsweise verbesserten sich ihre Motivation und ihre Fähigkeit, mit Stress umzugehen. Diejenigen Probanden, die Sport trieben, legten zudem weniger Pausen ein und arbeiteten deutlich effizienter. Eine weitere interessante Studie entstand am Imperial College London. In deren Fokus: die Menge an Schadstoffen, denen man während des Arbeits-Pendelns ausgesetzt ist.
Die Forscher stellten fest, dass Fahrgäste in Bussen, Taxis und Autos deutlich mehr Schadstoffe einatmeten als Radfahrer und Fußgänger. In einem Taxi war man demnach mehr als 100.000 ultrafeinen Partikeln pro Kubikzentimeter ausgesetzt, die sich in der Lunge festsetzen und Zellen schädigen können. In Bussen lag ihre Zahl bei knapp unter 100.000, in Pkws bei rund 40.000 – und auf dem Rad bei nur 8.000 pro Kubikzentimeter. Auf dem Land beziehungsweise in der Natur dürfte diese Zahl noch deutlich geringer sein. Abseits der vielen Leistungs-, Gesundheits- und Zeiteffizienzfaktoren spricht noch ein weiteres Argument für das Radpendeln: Auch für Arbeitswege mit dem Fahrrad gilt die „Pendlerpauschale“. Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, kann dies in der Einkommensteuererklärung unter den Werbungskosten angeben: bis 38 Cent pro Kilometer. Generell gilt: Jede Minute, jeder Kilometer auf dem Rad hat etliche positive Effekte.
Ernährungstipps
Ein häufig empfohlenes und von vielen Sportlern praktiziertes Low-Carb-Trainingsprinzip lautet: Wer mit leeren Kohlenhydratspeichern trainiert, zwingt den Körper, verstärkt auf Fette zurückzugreifen – ganz einfach, weil keine Kohlenhydrate zur Verfügung stehen. Diese Annahme ist zunächst logisch und zum Teil auch richtig. Die Grundlagenausdauer lässt sich dadurch effektiv verbessern. Das liegt nicht nur daran, dass bei einem Fokus auf einen optimierten Fettstoffwechsel häufig das intensive Training vernachlässigt wird.
Das Low-Carb-Training kann der Leistung sogar schaden: Durch Training mit leeren Kohlenhydratspeichern kann man an Schnellkraft verlieren, hohe Intensitäten fallen dann schwerer. Die Optimierung des Fettstoffwechsels geht bei einem umfassenden und dauerhaften Low-Carb-Training häufig auf Kosten des Kohlenhydratstoffwechsels. Eine durchgehend kohlenhydratreduzierte Ernährungsweise bringt somit vielen leistungsorientierten Sportlern keine Vorteile – sondern schadet eher. Wer jedoch nicht strikt und dauerhaft, sondern gezielt zu den richtigen Zeitpunkten an Kohlenhydraten spart, der kann vom Low-Carb-Prinzip profitieren.
Wessen Ziel Radmarathons sind, dem hilft vor allem ein optimierter Fettstoffwechsel. Doch auch Tempoverschärfungen und Anstiege dürfen kein Problem darstellen. Das Ziel muss sein: ein flexibler, aber dennoch sehr ökonomisch arbeitender Stoffwechsel. Für eine intensive Trainingseinheit sind volle Kohlenhydratspeicher nötig. Gefüllte Speicher reichen, abhängig von der Intensität und der Kapazität der Speicher, für eine Belastungsdauer von maximal 90 bis 120 Minuten. Glykogen wird vor allem in den Muskeln gespeichert. Um diese Reserven für eine lange und intensive Einheit zu füllen, reicht es nicht aus, kurz vor dem Training einen kleinen kohlenhydrathaltigen Snack zu sich zu nehmen.
Grundlagentraining auf nüchternen Magen?
Das Grundlagentraining kann dagegen, abhängig von der Dauer, teilweise auch auf nüchternen Magen und mit geleerten Speichern durchgeführt werden. Wer den Speiseplan an die bevorstehenden Trainingseinheiten anpasst, kann von einer periodisierten Ernährung profitieren – und Leistungspotenzial abrufen. Dabei sind die sogenannten „guten“ Kohlenhydrate zu bevorzugen – also Vollkornprodukte, Naturreis, Hirse oder andere langkettige Kohlenhydratquellen mit einem höheren glykämischen Index.
Unmittelbar vor dem Training, also in den ein bis zwei Stunden zuvor, sind jedoch leichter verwertbare Kohlenhydrate sinnvoll, um die Verdauung nicht mit einer großen Menge an Ballaststoffen zu belasten. Hierfür eignen sich etwa reife Bananen, Trockenobst sowie Energie- oder Müsliriegel. Bei kontinuierlichen Belastungen mit einer Intensität oberhalb von 70 bis 75 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme, der sogenannten VO2max, sind die verfügbaren Glykogenspeicher in vielen Fällen innerhalb von etwa 90 Minuten weitgehend aufgebraucht. Ohne eine weitere Kohlenhydratzufuhr sinkt danach das Leistungsvermögen, es sind dann nur noch moderate Belastungsintensitäten möglich. Es droht der sogenannte „Hungerast“.
Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2022. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.