360 Grad
Kurbelumdrehung für effiziente Fahrtechnik: Erkenntnisse aus der Biomechanik
in Training
Der Oberkörper ruht in tiefer Position, die Arme sind angewinkelt. Nur die Beine bewegen sich, in hoher Frequenz – Radprofis haben ihn ausgebildet: den „effizienten Tritt“, bei dem in jeder Kurbelumdrehung eine optimale Kraftübertragung stattfindet.
Scheinbar mühelos rotieren die Beine, wenn die Athleten im Zeitfahren mit Leistungsabgaben von mehr als 400 Watt Durchschnittsgeschwindigkeiten von teils über 50 km/h erreichen. Pedale mit Klicksystemen ermöglichen es theoretisch, während der gesamten Kurbelumdrehung aktiv Kraft in den Vortrieb zu investieren. Lange galt ein möglichst „runder Tritt“ als Erfolgsrezept: Gleichmäßige Kraftverteilung während aller einzelnen Phasen des Tretzyklus war das Ziel. Was ist dran am Mythos des runden Tritts? Welche Vor- oder Nachteile ergeben sich aus welcher Trettechnik? Und wie kann die optimale Technik antrainiert werden?
Die Kurbelumdrehung
Die vier Zyklen eines „Tritts“: Die Kraftübertragung während einer Kurbelumdrehung wird in vier Phasen aufgeteilt. Diese Aufteilung verdeutlicht die jeweiligen Hauptaktivitäten, die vortriebswirksame Kräfte erzeugen. Die maximale Kraftübertragung liegt vor, wenn die aufgebrachte Kraft im 90-Grad-Winkel auf die Pedalachse wirkt.
- Schub-Phase: zwischen 316 Grad und 45 Grad der Umdrehung
- Druck-Phase: von 46 Grad bis etwa 135 Grad
- Zug-Phase: der untere Sektor von 136 Grad bis 225 Grad
- Hub-Phase: Gegenpart zur Druckphase, von 226 bis 315 Grad
Mythos „runder Tritt“
Seit es Riemenpedale gibt, geben Radsporttrainer einen effizienten Tritt als Ziel aus. Die Athleten sollten einen gleichmäßig verteilten Krafteinsatz erreichen. Die Logik: Je besser alle Phasen der Kurbelumdrehung genutzt werden, desto effizienter wird die Kraft eingesetzt, desto mehr Vortrieb kann erzeugt werden. Damit die Kraft direkt in Vortrieb umgewandelt werden kann, müsste theoretisch in jeder Phase der Pedalumdrehung der Kraftwinkel von 90 Grad zur Kurbel eingehalten werden – mit konstantem Krafteinsatz. Dies lässt sich aber bereits aufgrund der muskulären Kraftverhältnisse und der unterschiedlichen Beteiligungen der Muskulatur während der Pedalumdrehung nahezu ausschließen.
Der auf der Vorderseite des Oberschenkels verlaufende Kniestrecker quadriceps femoris ist der kräftigste Muskel am Bein. Er verrichtet hauptsächlich in der Druckphase seine Arbeit. Die Gegenspieler, die Kniebeuger der ischiocruralen Muskulatur, können normalerweise nur etwa 60 Prozent dieser Kraft aufbringen. Sie sind in der Hub-Phase besonders aktiv. In der Schub-Phase sind nahezu alle knieumgebenden Muskeln aktiv, besonders aber die Gesäßmuskulatur. In der Zug-Phase hingegen arbeitet die Wadenmuskulatur. Daraus resultieren die unterschiedlichen Wirkungsgrade und Kraftwirkungen in den einzelnen Phasen. Der runde Tritt ist biomechanisch somit kaum zu erreichen – die deutlich unterschiedliche Kraftverteilung der Muskulatur lässt dies nicht zu.
Kraftausdauer im Radsport: Krafttraining als Schlüssel zur besten Leistung
Die Studienlage
Die Forscherin Janine Strunz untersuchte 2011 in ihrer sportwissenschaftlichen Doktorarbeit die Kraftwirkungen während der Pedalumdrehung. Die Ergebnisse: Die Probanden, Elite-Radsportler, erzeugen die Hauptkraft im Bereich zwischen 60 und 120 Grad des Kurbelwinkels. Die Druckphase ist demnach besonders vortriebswirksam. Auch während der Schub- und Zugphasen gibt es wirksame Kräfte. Jedoch war auffällig, dass in der Hubphase keine Kräfte für den Vortrieb erzeugt wurden. Im Gegenteil: Bei einigen Sportlern zeigten sich in der Hubphase sogar entgegenwirkende Kräfte. Zugunsten der Tritteffizienz muss dieses Entgegenwirken der Muskulatur zur Pedalumdrehung verhindert werden.
Der optimale Tritt
Das Ziel im Training sollte es sein, die Effizienz der Druckphase zu erhöhen und die negativen Effekte in der Hubphase zu minimieren. Ein biomechanisch runder Tritt ist physiologisch gesehen nicht das Optimum. Auch gibt es individuelle Unterschiede, wie die Pedalumdrehung am effizientesten werden kann. Wichtig ist es, den Gesamtwirkungsgrad der Bewegung zu erhöhen – also die Zeit, in der während der Umdrehung positive Kräfte wirken. Sehr gute Radsportler schaffen Wirkungsgrade von etwa 50 bis 75 Prozent, bei weniger gut Trainierten liegt diese Zahl nur bei etwa 35 Prozent.
Technik-Training
Effizientes Treten, bei dem nicht ein Bein passiv bleibt und vom anderen bewegt werden muss, lässt sich etwa durch einbeiniges Pedalieren trainieren. Dafür eignet sich besonders das Rollentraining. Auch verschiedene Abfolgen von Trittfrequenzintervallen bieten sich an, um die Muskulatur an eine effizientere Arbeitsweise heranzuführen. Durch hohe Trittfrequenzen soll sich das muskuläre Zusammenspiel verbessern und das motorische System an die Anforderungen gewöhnen.
Abseits des Rades kann die muskuläre Koordination ebenfalls verbessert werden: Durch ein sensomotorisches Training mit Sprungelementen etwa lernt die Muskulatur, mit geringerem Kraftaufwand komplexe Bewegungen auszuführen. Dies dient auch einer sauberen Trettechnik. Das Krafttraining wirkt muskulären Dysbalancen entgegen. Auch dies trägt deutlich zu einem ergonomischeren Stil auf dem Rennrad bei.