Mehr Kraft
Krafttraining für Radsportler: Trainingseffekte, Studien, Wissenschaft
in Training
„Never skip leg day“ – lasse den Trainingstag, an dem die Beine dran sind, nicht aus. So lautet ein Sprichwort in der Bodybuilder- und Fitness-Szene. Und diese „Weisheit“, das zeigen viele Forschungsergebnisse, enthält viel Wahres. Der Nutzen von Krafttraining zur Ergänzung des Radtrainings wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Früher nahm man an, dass sich das Krafttraining negativ auf die Ausdauerleistung auswirken könne. Diese Annahme erscheint inzwischen als weitgehend entkräftet.
Denn es gilt als wissenschaftlich gesichert, dass mit radsportspezifischen Kraftübungen, insbesondere für die Beine, Leistungsreserven gehoben werden können. Bis Anfang der 2000erJahre wurde von vielen Profis und Amateuren ein vermeintliches Krafttraining auf dem Rad betrieben: das sogenannte K3- oder KmR-Training – „Kraft-mit-Rad“.
Heute weiß man: Diese Trainingsmethode, bei der mit wenigen Pedalumdrehungen und einer Intensität unterhalb der anaeroben Schwelle gefahren wird, kann nicht als Krafttraining angesehen werden. Denn der Kraftaufwand ist viel zu gering, um die gewünschten Trainingseffekte hervorzurufen. Selbst wenn man nur mit einer Trittfrequenz von 50 Umdrehungen pro Minute trainiert und K3-Intervalle von nur fünf Minuten Dauer gefahren werden, käme man am Ende auf 250 Umdrehungen beziehungsweise Wiederholungen. Im Vergleich dazu wird ein Krafttraining mit dem Ziel, Muskelaufbau zu betreiben, mit acht bis zwölf Wiederholungen – und zwei bis vier Sätzen – bis zur Erschöpfung durchgeführt.
Schwachpunkte
Will man seine Maximalkraft ohne eine Gewichtszunahme erhöhen, absolviert man beim sogenannten IK-Training sogar nur eine oder zwei Wiederholungen pro Satz – dafür aber mit dem maximalen Gewicht. Dieses Training hat das Ziel, die intramuskuläre Koordination zu verbessern und dadurch zu einem Kraftzuwachs ohne Muskelwachstum zu führen. Verglichen dazu ist der Effekt der muskulären Anpassung beim Radtraining gering. Ein spezifisches Krafttraining bietet für Ausdauerathleten, für Radfahrer im Besonderen, noch einen weiteren Vorteil: Im Kraftraum kann und sollte man gezielt an den „traditionellen Radsportler-Schwachpunkten“ arbeiten: der Halte- und Stützmuskulatur.
Neben diesen weithin bekannten Vorteilen, die ein Krafttraining Radsportlern bieten kann, wirkt sich ein solches ergänzendes Training auch auf andere Bereiche positiv aus. So etwa auf den Hormonhaushalt. Besonders die Konzentrationen des Sexualhormons Testosteron und des Stresshormons Cortisol können durch verschiedene Kraft-Trainingsformen beeinflusst werden.
Testosteron
Testosteron, das wichtigste männliche Sexualhormon, kommt zwar bei beiden Geschlechtern vor, tritt bei Männern allerdings in deutlich höheren Konzentrationen auf. Bei Frauen wird das Hormon in den Eierstöcken, bei Männern in den Hoden produziert. Zusätzlich versorgen die Nebennieren den Körper mit kleinen Mengen des Hormons.
Der Transport im Blut erfolgt größtenteils mithilfe von Transporteiweißen, die das Hormon an sich binden. So gelangt es zu den Organen und kann dort seine Wirkung entfalten. Androgene Hormone wie Testosteron beeinflussen bei Männern die Ausbildung und Reifung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Zudem steigert Testosteron das sexuelle Verlangen, den Antrieb, aber auch aggressives Verhalten. Bei beiden Geschlechtern sorgt das Hormon für die Zunahme der Muskelmasse und der Kraft.
Testosteron ist am Aufbau der Knochen beteiligt – es schützt somit vor Osteoporose. Bei älteren Menschen ist ein niedriger Testosteronspiegel mitursächlich für den Knochenschwund. Testosteron ist auch für das Immunsystem und die Regeneration von großer Bedeutung. Es trägt zur Erholung bei. Auch nach Krankheiten oder Verletzungen erfolgt die Rehabilitation mit einem vergleichsweise hohen Testosteronspiegel schneller.
Zudem ist das Hormon an der Produktion beziehungsweise der Vermehrung roter Blutkörperchen beteiligt. Der damit verbundene verbesserte Sauerstofftransport ist ein entscheidender Leistungsfaktor in Ausdauersportarten. Auch deshalb stehen die Sexualhormone auf der Dopingliste. Dem Tour-de-France-Sieger im Jahr 2006, Floyd Landis, wurde sein Sieg wegen Testosteron-Dopings wieder aberkannt.
RennRad 4/2020: Die Inhalte der Ausgabe im Überblick
Hormon-Gleichgewicht
Der hormonelle „Gegenspieler“ des Testosterons ist das Cortisol. Es wird in der Nebenniere gebildet. Im Gegensatz zum Testosteron wirkt Cortisol katabol – es aktiviert abbauende Stoffwechselvorgänge, um dem Körper mehr Energie zur Verfügung zu stellen. So ist Cortisol am Fettstoffwechsel, am Proteinumsatz und an der Regulation des Kohlenhydrathaushaltes beteiligt. Aufgrund der Beteiligung an der Proteinbiosynthese wirkt das Hormon dem Muskelaufbau entgegen.
Neben der Wirkung auf den Stoffwechsel hemmt Cortisol Schmerz- und Entzündungsreaktionen, aber auch die Immunabwehr. Zu hohe Konzentrationen führen zu einem verstärkten Abbau von Muskelprotein und Knochenmasse sowie einem vermehrten Aufbau von Körperfett. Dauerhaft erhöhte Cortisolwerte gehen einher mit klassischen Überlastungssymptomen wie chronischer Erschöpfung, erhöhter Ruheherzfrequenz und erhöhtem Blutdruck. Das Burn-out-Syndrom wird ebenso mit chronischem Hypercortisolismus assoziiert. Testosteron und Cortisol können als hormonelle Gegenspieler betrachtet werden, deren Konzentration auf einem kontinuierlichen Niveau gehalten werden sollte, um die normale Funktion des Stoffwechsels, die Regeneration und die körperliche Leistungsfähigkeit zu gewährleisten.
Trainingseffekte
Wie wirkt sich Sport auf den Testosteron- und Cortisolspiegel aus? Körperliche Aktivität hat im Allgemeinen zunächst einen positiven Effekt auf den Hormonhaushalt. Die Konzentration von Cortisol kann vermindert werden. Gerade bei ambitionierten Ausdauersportlern ist der Trainingsstress allerdings aufgrund des hohen Trainingsaufwands häufig sehr hoch. Diese langen Ausdauerbelastungen können auf Dauer zu einem Rückgang des Testosteron- und einem Anstieg des Cortisollevels führen.
So konnte die Technische Universität Dresden in einer 2012 durchgeführten Studie erhöhte Cortisol-Konzentrationen in den Haarproben von Ausdauersportlern nachweisen. Getestet wurden 304 Amateursportler aus den Ausdauerbereichen Langstreckenlauf, Triathlon und Radsport. Zudem wurden 70 untrainierte Testpersonen als Kontrollgruppe hinzugezogen.
Neben der Analyse der Haarproben wurden Angaben der Sportler über das Trainingspensum und die Trainingsintensität ausgewertet. Die Ergebnisse zeigten nicht nur erhöhte Durchschnittswerte des Cortisolspiegels in den Haarproben der Sportler, sondern auch einen Zusammenhang zwischen dem Trainingsaufwand und dem erhöhten Cortisolwert: Je höher der Trainingsaufwand war, desto höher fielen die Stresshormonwerte aus. Ausdauersportler, die durch ihren Trainingsalltag einem dauerhaft erhöhten Stresslevel ausgesetzt sind, sollten demnach versuchen, auf natürlichem Weg den Hormonhaushalt zu regulieren.
Krafttraining & Hormonproduktion
Dass Krafttraining die Testosteronausschüttung erhöhen kann, ist unumstritten – doch welche Art von Training wirkt sich wie aus? Grundsätzlich gelten kurze hochintensive Einheiten als besonders effizient. Welche Übungen dabei zu bevorzugen sind, untersuchten Forscher der Universität für angewandte Wissenschaften in Düsseldorf zusammen mit Kollegen aus Köln und Wiesbaden. Das Ziel der Studie war es, herausfinden, ob es einen Unterschied in der hormonellen Reaktion zwischen zwei mehrgelenkigen Übungen – einer für die Bein- und einer für die Oberkörpermuskulatur – gibt.
Als Übungen wurden die Kniebeuge und das Bankdrücken ausgewählt. Beide stellen komplexe Bewegungsabfolgen von großen Muskelgruppen dar. Für die Studie wurden 13 männliche gut trainierte Athleten untersucht. Sie führten je fünf Sätze mit zehn Wiederholungen und mit 75 Prozent ihres Maximal-Gewichts durch. Vor, während und nach dem Training sowie mit einem zeitlichen Abstand von 45 Minuten danach, wurden die Cortisol- und Testosteronwerte im Blut bestimmt.
Die Ergebnisse: Beim Kniebeugen-Training wurde ein signifikanter Anstieg des Testosterons vom Trainingsbeginn bis zum Ende festgestellt. Auch verbesserte sich das Verhältnis von Testosteron zu Cortisol. Das Bankdrücken zeigte keinerlei signifikante Veränderung. Die Konklusion: Das Krafttraining der Beinmuskulatur scheint einen deutlich größeren Effekt auf die Hormonproduktion zu haben als ein Oberkörpertraining. Dies kann allerdings auch daran liegen, dass bei der Kniebeuge auch die Rumpfmuskulatur zur Stabilisation beansprucht wird – und somit deutlich mehr Muskeln an der Übung beteiligt sind als beim Bankdrücken.
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Trainingsideen: Mehr Kraft
Für Radsportler, die ein hohes Trainingspensum durchführen, ist es zu empfehlen, ein bis zwei Einheiten pro Woche im Kraftraum zu absolvieren. Als Basisübung eignet sich die Kniebeuge nicht nur wegen der Ähnlichkeit der Übung zur Tretbewegung, sondern auch deshalb, weil sie dazu beitragen kann, den Hormonhaushalt auszugleichen.
Allerdings ist es ratsam, den Trainingsplan nicht zu überladen, da sonst möglicherweise zu viel Trainingsstress aufgebaut wird und sich dies auf Dauer wiederum ungünstig auf die Hormonproduktion auswirken würde.
- Das Warm-up: 15 – 20 Minuten Warm-up: Spinning Bike, Seilspringen, Liegestütze, Klimmzüge etc.
- Der Ablauf: 3 – 8 Übungen für verschiedene Muskeln, je nach Trainingslevel und -ziel
- Ziel Muskelaufbau: 3 – 8 Sätze mit je 8 – 12 Wiederholungen. 50 – 70 % der Übungsbestleistung. Satzpause: 1 Minute.
- Ziel intramuskuläre Koordination: 1 – 4 Sätze mit je 1 – 3 Wiederholungen. 80 – 100 % der Übungsbestleistung. Satzpause: je 1 – 2 Minuten.
Krafttraining: Übungen
Kniebeugen
Sie beanspruchen die Haupt-Muskelgruppen des Unterkörpers, die auch beim Radfahren enorm wichtig sind. Auch die Beinstreckung und Hüftbeugung ähneln der Bewegung auf dem Rad. Kniebeugen sorgen für mehr Kraftentfaltung auf den Pedalen und sind daher beim Maximalkrafttraining unverzichtbar.
Kreuzheben
Es beansprucht fast die gleichen Muskelgruppen wie die Kniebeugen. Zusätzlich wird jedoch auch der untere Rückenbereich, oftmals die Schwachstelle von Radfahrern, sehr stark aktiviert.
Bankdrücken
Es beansprucht die Oberkörpermuskulatur, die auf dem Rad vor allem bei Abfahrten, Unebenheiten und bei der Kurventechnik so wichtig ist. Als IK-Maximalkrafttraining nur mit einem Trainingspartner ausführen.
Unterarmstütz
Das statische Training der Haltemuskulatur des Oberkörpers, also das Halten einer bestimmten Position wie der Planke für rund 20 Sekunden bis zu einer Minute: Das Ganze wird ergänzend zu den dynamischen Übungen der Beinmuskulatur eingesetzt.