Fortschritt
Ausdauer und Effizienz: Training für mehr Kraft und mehr Tempohärte
in Training
Alte tradierte „Weisheiten“ werden von neuen Erkenntnissen abgelöst beziehungsweise ergänzt. Dies ist der Zyklus der Wissenschaft. Ein Beispiel aus dem Radsport dazu betrifft etwa die Erkenntnis, dass es effizientere Wege zu „mehr Ausdauer“ gibt als das reine „lang und ruhig“ und das traditionelle Prinzip des „viel hilft viel“. Etwa das polarisierte Training und der gezielte Einsatz hochintensiver Intervalle.
Die Trainingswissenschaft ist eine recht „junge“ Wissenschaft. Deswegen werden laufend neue Erkenntnisse gewonnen. Es gibt immer bessere Instrumente, um körperliche Vorgänge zu erforschen und Auswirkungen von Trainingsformen festzustellen. Einst orientierte man sich im Bereich Sport vorrangig an Erfolgs- beziehungsweise Best-Practice-Beispielen. Was bei einem funktionierte, musste doch auch bei anderen zu Mehr-Leistungen führen, so das Dogma. Somit setzten sich in der Regel stark umfang-orientierte Modelle durch. Denn die erfolgreichen Athleten waren oft jene, die die höchsten Trainingsbelastungen „aushielten“. Die anderen fielen halt durch den Rost und waren wohl nicht geeignet für die Spitze des Sports. Glaubte man.
Ausdauer und Effizienz
Heute hat sich – zum Glück – sehr viel geändert. In der Trainingswissenschaft bedient man sich im Wesentlichen zweier Wege: 1. Erfolgreiche Trainingskonzepte untersuchen und verstehen, warum sie wirken. 2. Die Voraussetzungen für eine gute Leistung bestimmen – sowie überlegen und testen, wie diese Veränderungen am effektivsten herbeigeführt werden können.
Meist treffen sich die Wege früher oder später wieder. Ein weiterer Grund dafür, dass viele „alte“ Trainingsansätze nicht mehr weiterführten und es zu weiteren Forschungen dazu kam: Die Umfänge sehr vieler Hochleistungssportler sind heute schon so hoch, dass es nach oben nicht mehr viel Luft gibt, ohne Verletzungen oder Regenerationsrückstände zu riskieren. Die bessere Abstimmung von Trainingsmethoden – und die Erkenntnisgewinne aus dem Leistungssport – sorgen für eine Erhöhung der Qualität des Trainings und erhöhen dessen Effizienz.
Diese Fakten sind nicht nur für Profi-, sondern auch für Hobbyathleten wichtig und wertvoll. Dennoch gilt nicht das Motto „neu ist immer besser“. Auch „alte“, bewährte Trainingsinhalte, -prinzipien und -methoden haben noch heute ihre Berechtigung. Sie sind fast alternativlos. So etwa das berühmte Grundlagen-Ausdauertraining. Viele der neuen Erkenntnisse betreffen den Zeitpunkt des Trainings – und die biologischen Abläufe, Prozesse, Effekte. Heute sind für fast jede Trainingsform Zahlen und Fakten bekannt. Auch wie viele und welche mRNA, Enzyme, Botenstoffe, et cetera produziert werden und welchen Einfluss diese auf den Muskelstoffwechsel haben.
K3 vs. VLamax-Training
Die Kombination aus dem einen Buchstaben und der einen Zahl steht für „Tradition“. Das K3-Training klingt für viele etwas „antiquiert“. Es bedeutet: hohe Krafteinsätze für mehrere Intervalle von fünf bis 30 Minuten, am besten bergauf, mit niedrigen Trittfrequenzen von 45 bis 65 Umdrehungen pro Minute. Heute weiß man, dass diese Trainingsform zu keiner Zunahme der „Kraft“ beziehungsweise der Muskelmasse führt. Fakt ist: Es steht dabei eher nicht die Kraftausdauer, sondern die Verringerung der Laktatbildungsrate durch die Aktivierung der „kräftigen“ Muskelfasern im Fokus. Ergo sollte man, wenn man an seinen Kraft-Fähigkeiten arbeiten will, primär im Fitnesscenter beziehungsweise mit freien Gewichten, sprich Hanteln, trainieren. Daraus ergibt sich für das K3-Training unter anderem eine potenzielle Optimierung hinsichtlich des Zeitpunkts seines Einsatzes. Zudem kann es potenziell mittels einer gezielt-restriktiven Kohlenhydratverfügbarkeit noch optimiert werden.
Grundlagentraining vs. Fatmax vs. LIT mit Sprints
Im Profisport sucht man immer neue Möglichkeiten, um das Training effizienter zu machen. Ein Weg zu mehr Leistung für Radsportler lautet: die Zahl der Mitochondrien, der Kraftwerke der Zellen, steigern. So weiß man aus etlichen Studienergebnissen, dass kurze hochintensive Belastungen – etwa Sprints während des Grundlagentrainings – die Marker für die Entwicklung von Mitochondrien in Muskeln erhöhen können. Dazu gibt es Untersuchungen in verschiedenen Varianten über die Dauer und Pausen zwischen den Sprints. Viele davon zeigen, dass etwa 30-Sekunden-Maximal-Sprints mit je drei bis fünf Minuten Pause gute Ergebnisse erzielten. Bei den Probanden werden unter anderem Anstiege der Werte PGC-1alpha und PDK4 mRNA festgestellt: Diese treten bei mitochondrialen Entwicklungen und Stoffwechseladaptationen vermehrt auf, woraus ein verbesserter aerober Stoffwechsel resultiert. Dieser Effekt kann anscheinend durch eine niedrige Glykogenverfügbarkeit verstärkt werden. In der Praxis bedeutet dies, dass man seine Kohlenhydratspeicher vor dem Training nicht komplett füllt und somit mit einer geringeren Glukose-Verfügbarkeit in eine solche Einheit geht.
Konkrete Empfehlungen lassen sich auch den Forschungsergebnissen von Almquist et al. aus dem Jahr 2020 ableiten. Die Wissenschaftler beschrieben den Effekt von drei Sätzen von dreimal 30 Sekunden maximaler Sprints mit je vier Minuten Pause auf eine ansonsten „normale“ vierstündige Grundlagenfahrt. Sie verglichen für ihre Studie eine solche mit einer gleichlangen und gleichintensiven Trainingseinheit ohne sowie mit je fünf Minuten langen Sprints. Die acht Probanden waren alle sehr gut trainiert: Sie wiesen maximale Sauerstoffaufnahmen von um 70 Milliliter pro Kilogramm und Minute auf. Die Ergebnisse wurden zum einen anhand der Leistungsdaten und zum anderen „direkt“ mittels Muskel-Biopsien, ergo der Entnahme von Muskelmaterial, ermittelt: Die kurzen Intervalle führten zu einer um durchschnittlich 14 Prozent erhöhten mittleren Leistung in Watt, einer längeren Zeit oberhalb 90 Prozent der VO2max-Schwelle, längeren Cortisol-Antworten und einem deutlicheren Anstieg des Testosterons.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die Forschergruppe um Skovgaard 2016: Die Wissenschaftler stellten in ihrer Studie fest, dass der Fettsäureumsatz während einer dreistündigen Grundlagen-Einheit durch das Fahren kurzer All-Out-Sprints – sechsmal 30 Sekunden mit je dreiminütigen Pausen – signifikant gesteigert wurde. Die Gründe dafür liegen wohl in der Hemmung des Schlüsselenzyms durch die harte vorangegangene Belastung und die Steigerungen des PGC-1alpha- und des PDK4-mRNA-Levels. Die oft verwendete Abkürzung LIT steht für low intensity training und kann mehr oder minder synonym dem alteingesessenen Grundlagenausdauertraining GA1 verwendet werden. Ein weiterer Begriff, der in die Trainingslehre Einzug gehalten hat, ist jener der ominösen FATMAX-Zone. Viele schreiben ihm dieselbe Bedeutung zu wie dem Grundlagenbereich.
Wenn man sich viele konkrete Zonen-Bestimmungen ansieht, ist die Streubreite aber teils sehr groß und über die Prozentangabe einer Schwelle nicht ganz scharf einzugrenzen. Gerade wenn man etwa gezielte Kohlenhydrat-Restriktionen einsetzt, sollte diese Zone nicht länger und nicht ungeplant überschritten werden, da es dann zu katabolen Stoffwechselvorgängen kommen kann. Ergo: Es könnten Muskel-Aminosäuren zur Energiegewinnung abgebaut werden. Auf der anderen Seite kann ein zeitlich begrenztes Nüchterntraining im FATMAX-Bereich – das haben viele Studien gezeigt – die Leistung im aeroben Bereich zu verbessern.
GA2 Intervalle vs. Sweet Spot
Das GA2 oder Grundlagenausdauertraining 2 bezeichnet den Bereich zwischen dem „normalen ruhigen“ Grundlagen-Bereich und der anaeroben Schwelle. Als Sweet Spot wird der Bereich zwischen 88 und 94 Prozent der FTP bezeichnet. Die Namensgeber des „Spots“, Coggan und Hunter, geben ihn als zwischen dem Tempo- und dem Laktatschwellen-Bereich gelegen an. Das Ziel des Sweet-Spot-Trainings: die Muskelstärke und die Ermüdungsresistenz zu verbessern beziehungsweise zu erhöhen. Das GA2-Traning wird seit „jeher“ in einem ähnlichen, doch deutlich „breiteren“ Bereich angesiedelt und ebenfalls für intensive Intervalltrainings zur Verbesserung der Tempohärte und der Schwelle verwendet.
Das Thema Trainingssteuerung: Was früher über die Steuerung der Herzfrequenzbereiche passierte, wird heute – im Leistungs- und Profisport – nach denselben Prinzipien, nur etwas differenzierter und genauer, mittels der Wattsteuerung vollzogen. Die „alten“ eher größer gehaltenen Bereiche GA1 und GA2 wurden je nach Definition durch drei oder vier Zonen ersetzt. Da auch die Diagnostiken des Muskelstoffwechsels immer besser werden, kann man die Trainingsbereiche heute deutlich gezielter treffen, ansprechen und trainieren. Die Nachteile der Herzfrequenz-Steuerung sind klar: Sie ist ein „träger“ Parameter, der bei akuten Belastungen verzögert reagiert. Zudem kann er auch durch äußere Bedingungen wie Hitze oder Kälte beeinflusst werden. Die Herzfrequenz lässt zwar Aussagen für den Stress auf den Gesamtorganismus zu – doch für den Muskelstoffwechsel gilt dies nur sehr eingeschränkt.
K1 vs. KP-Sprint & SIT
Sehr kurze, intensive Sprints – sie sind mit der Bezeichnung K1-Training gemeint. Ein anderer Begriff dafür ist jener der KP-Sprints: KP steht dabei für das energiereiche Substrat Kreatin-Phosphat. Der Trainingsinhalt ist derselbe: Antritte, die in ihrer Länge eng limitiert sind – üblicherweise dauern sie nur vier bis acht Sekunden. Damit soll der Laktataufbau möglichst vermieden und der anaerobe nicht-laktat-produzierende Stoffwechsel beansprucht werden.
Ein reines Sprinttraining wird in der Regel nur selten genutzt. Es findet eher im Rahmen lockerer Ausdauereinheiten statt. Ein positiver Effekt ist, dass die kurzen Sprints während einer Grundlageneinheit die Sauerstoffaufnahme leicht erhöhen, was in der Summe zu einem erhöhten Sauerstoffumsatz führt. Die Abkürzung SIT findet man manchmal in Trainingsplänen. Sie steht für „Sprint Interval Training“. In manchen Fällen sind damit auch solche kurzen Sprints gemeint, meist geht es dabei jedoch um 30 bis 40 Sekunden lange intensive Belastungen. Die Dauer führt dazu, dass sie primär einen anderen Stoffwechselweg ansprechen als die wenige Sekunden kurzen K1- und KP-Sprints.
K2 vs. SIT vs. Laktat-Shuttle
Ein K2-Intervall dauert bis zu einer Minute. Ergo wird dabei viel Laktat im Organismus aufgebaut. Dem traditionellen K2- kann man das „modernere“ Laktat-Shuttle-Training gegenüberstellen. Mit diesem soll der Körper dazu gebracht werden, das anfallende Laktat, welches im Muskel selbst nicht mehr verstoffwechselt werden kann, schnell zu verteilen, sodass es in der Muskulatur energetisch verbraucht werden kann. Diese Methode ist vor allem für Athleten interessant, die häufig mit hohen Laktatwerten umgehen müssen. Sinnvoll dabei ist die Bestimmung jener Trainingszone, in der am meisten Laktat abgebaut werden kann – der „maximum lack of pyruvate zone“. Diese kann mithilfe spezieller Diagnostiken festgestellt werden.
Die Bezeichnung SIT oder „Sprint Interval Training“ steht für Intervalleinheiten mit Belastungen zwischen 10 und 45 Sekunden Dauer. Dessen Hauptzweck neben dem Umgang mit Laktat ist es, die maximale Sauerstoffaufnahme zu erhöhen beziehungsweise als Trigger für eine gesteigerte Sauerstoffaufnahme während niedrigintensiven Trainings zu fungieren. Werden diese hochintensiven Intervalle von nur kurzen Pausen unterbrochen, kann über einen langen Zeitraum eine sehr hohe Leistung erbracht werden, ohne dass die Herzarbeit zwischenzeitlich absinkt – da diese immer zeitverzögert reagiert. Ein klassisches Beispiel wären drei Blöcke von achtmal 30 Sekunden bei 125 bis 135 Prozent der eigenen FTP mit je 15-sekündigen Pausen bei 50 bis 60 Prozent der FTP. Selbst dieses intensive Training erhöht sowohl den Faktor PGC-1alpha als auch den Faktor VEGFA, der die Gefäßneubildung steuert und somit mit einer verbesserten Durchblutung der Muskulatur und seiner erhöhten Sauerstoffaufnahme in Verbindung steht.
GA1, HIIT & Fatmax
Auch hinsichtlich der Periodisierung und des geplanten Formaufbaus existieren neue Studienergebnisse, Erkenntnisse und Ansätze. Ein bislang übliches Schema war es, lange Grundlageneinheiten im Winter zu fahren, um im Frühjahr mit einer guten Basis das Tempo-Training aufnehmen zu können. Dieser Ansatz hat noch immer seine Berechtigung. Denn auf seiner Basis kann man an der „Verschiebung“ seiner Schwelle arbeiten.
Allerdings gibt es genauso gute Gründe für eine andere „neue“ Variante. Diese lautet in der Praxis: Die maximale Sauerstoffaufnahme im Winter steigern, sie mittels langer Einheiten im Frühjahr stabil halten und gleichzeitig die Fettsäure-Oxidation ökonomisieren. Wir stellten dieses Prinzip in mehreren RennRad-Ausgaben bereits ausführlich vor. Ein anderer probater Ansatz könnte es sein, ganz auf eine geplante Periodisierung zu verzichten – und stattdessen auf ein kontinuierliches Training mit je an dem Haupt-Saisonziel orientierten Schwerpunkten zu setzen. Wie immer gilt: Den einen Weg für alle gibt es nicht. Es gilt, seinen eigenen Trainings-Weg zu finden. Mit „alten“ traditionellen und mit neuen „innovativen“ Trainingsmethoden und -inhalten.
Dieser Artikel erschien in der RennRad 8/2021. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.