Florenz, Tour de France 2024, Italien
Italien bei der Tour de France: Historie, Etappen und mehr

Italien & die Tour

Italien bei der Tour de France: Historie, Etappen und mehr

100 Jahre nach dem ersten italienischen Gesamtsieg bei der Tour startet die Große Schleife erstmals in Italien. Die Historie, die Etappen, die Pässe und mehr – ein Rück- und Überblick.
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45 Kilometer bergauf, rund 3850 Höhenmeter, 206 Kilometer – der erste Tag der Tour de France 2024 wird hart. An jenem Tag können die Favoriten die Grande Boucle sicher noch nicht gewinnen – aber sie potenziell schon verlieren. Diese Auftaktetappe ist, von den Daten her, noch einmal anspruchsvoller als jene des Vorjahres, die durch das bergige Baskenland führte. Heuer geht es über sieben Bergwertungen in ein extrem forderndes Finale.

Entschieden wird die erste Etappe womöglich im Schlussanstieg hinauf nach San Marino. Von der letzten Bergwertung dort sind es noch 25 Kilometer bis zum Ziel an der Küste. Berge, Meer und Sonne – so sieht das „Drehbuch“ für den Tour-de-France-Auftakt 2024 aus.

Tour de France startet erstmals in Italien

Das Rennen startet zum dritten Mal in Serie im Ausland: Auf Kopenhagen und Bilbao folgt nun Florenz als Startort. Die Frankreich-Rundfahrt beginnt somit bei ihrer 111. Austragung zum ersten Mal in Italien. Von der Hauptstadt der Toskana führt die Eröffnungsetappe über den Kleinstaat San Marino an die Adriaküste nach Rimini.

Auch die beiden folgenden Tagesabschnitte finden gänzlich auf italienischem Boden statt. Die zweite 200 Kilometer umfassende Etappe startet – in Gedenken an den Tour-Sieger 1998 Marco Pantani – in Cesenatico am Meer und führt durch die Emilia-Romagna nach Bologna. Das Streckenprofil ist weniger fordernd als jenes der Auftaktetappe, doch die Hügel der Region sind oftmals steil: Die Steigungsprozente liegen oft im zweistelligen Bereich. Die Schlussrunde der Strecke ist rund 19 Kilometer lang. Dabei geht es zweimal über eine anspruchsvolle Bergauf-Passage hinauf zum Kloster San Luca. Die Daten des Anstiegs: knapp zwei Kilometer mit fast elf Prozent Steigung. Die Auffahrt ist auch Teil der Strecke des Herbstklassikers Giro dell’Emilia: Der Tour-Mitfavorit Tadej Pogačar fuhr 2022 auf Rang zwei dieses Rennens. Ein solches Streckenprofil kommt ihm als sehr explosivem Bergfahrer mit einem extrem guten „Antritt“ wohl sehr entgegen.

Auch die dritte Etappe ist länger als 200 Kilometer: Mit 229 Kilometern umfasst sie sogar die größte Distanz aller Tagesabschnitte dieser Tour de France. Jedoch könnten an diesem Tag erstmals die Sprinter zum Zug kommen, denn das Streckenprofil weist „nur“ drei weniger fordernde Anstiege auf, die zudem noch weit vor dem Ziel liegen. Somit wird diese dritte Etappe vermutlich mit einem Massensprint auf der Zielgeraden in der Großstadt Turin enden. Hier wird unter anderem wieder der Gewinner des grünen Sprinter-Trikots des Vorjahres, der Belgier Jasper Philipsen, zu den Top-Favoriten gehören.

Florenz, Tour de France 2024, Italien

Die Tour de France 2024 startet in Italien

Der höchste Pass der Tour de France 2024

Am vierten Tag verlässt der Tour-Tross der Frankreich-Rundfahrt dann Italien: Die 4. Etappe führt über einen anspruchsvollen Aufstieg in den Skiort Sestriere, den Col de Montgenèvre – hier überqueren die Fahrer die Grenze nach Italien – und nach dem Col du Lautaret den legendären Col du Galibier. Dessen Daten: 23 Kilometer, 5,1 Prozent Durchschnittssteigung.

Die Profis erreichen hier eine Höhe von bis zu 2642 Metern über dem Meer. Der Galibier ist damit der höchste Pass dieser Tour de France.

Anstiege und Zeitfahren

Von dessen Gipfel sind es dann noch knapp 20 Kilometer bis ins Ziel nach Valloire. Schon an diesem vierten Tag der Grande Boucle könnte demnach eine kleine Vorentscheidung fallen. Klar ist: Die Top-Favoriten müssen mit einer Top-Form in die Rundfahrt gehen – und sofort voll da sein, physisch, psychisch und taktisch.

Die Radsport-Nation Italien verbindet eine lange Geschichte mit der Grande Boucle. Vor genau 100 Jahren gewann zum ersten Mal ein Italiener die Frankreich-Rundfahrt: Ottavio Bottecchia. Er siegte auch 1925. Er gewann den ersten Teilabschnitt ebenso wie die Etappen nach Bordeaux, Bayonne und Paris. Sein Teamkollege in der Équipe cycliste Automoto Lucien Buysse fährt auf Gesamtrang zwei.

Ottavio Bottecchia war neben Alfredo Binda und Costante Girardengo einer der ersten Stars des italienischen Radsports. Er war Maurer und arbeitete gelegentlich als Fuhrmann, ehe er seine Leidenschaft für den Radsport entdeckte. Zusammen mit Teodoro Carnielli gründete er zwei Jahre nach seinem ersten Tour-Triumph eine Fahrrad-Fabrik, in der Rennräder unter seinem Namen produziert wurden. Bottecchia wurde mit den Jahren einer der größeren Hersteller von Touren- und Rennrädern. Doch das erlebte der Gründer nicht mehr: 1927 wurde er schwer verletzt in einem Straßengraben gefunden. Zwölf Tage später erlag er seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus von Gemona del Friuli. Viele Jahre lang glaubte man an einen folgenschweren Trainingsunfall – bis zwei Jahrzehnte später ein Bauer auf seinem Sterbebett gestand, dass er Bottecchia mit einem Stein erschlagen habe, weil er diesen beim Stehlen einiger Trauben ertappt habe.

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Die Historie von Italien bei der Tour de France

Die Jahre vor und nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten zwei Italiener die Radszene, die bis heute zu den Größten gehören: Gino Bartali und Fausto Coppi. Beide konnten die Tour, genau wie Bottecchia, je zweimal gewinnen: Bartali 1938 und zehn Jahre später nach dem Krieg im Jahr 1948 – Fausto Coppi 1949 und 1952. Gino Bartali ging mit Wut im Bauch an den Start der 32. Tour de France, denn im Vorjahr musste er nach einem Sturz vorzeitig ausscheiden. Er will unbedingt gewinnen, trifft jedoch auf den Belgier Félicien Vervaecke, der in den Pyrenäen stärker ist als sein italienischer Kontrahent. Doch mit dem Etappensieg in Briançon schiebt sich Bartali an die Spitze der Gesamtwertung, nachdem er den Col d`Allos, den Col de Vars und den Izoard als Erster bezwungen hat. In Paris hat er mehr als 18 Minuten Vorsprung auf Vervaecke.

Dann kommt der Krieg und raubt dem italienischen Radprofi seine besten Jahre. Brechen kann er ihn nicht. 1948 gewinnt er die Tour zum zweiten Mal. Gleich am ersten Tag holt er sich den Etappensieg und das Gelbe Trikot. In den Alpen greift er wieder an und gewinnt alle drei Etappen. In Paris beträgt sein Vorsprung auf den Belgier Albéric Schotte 26 Minuten. Das wohl dramatischste Duell der Nachkriegszeit aber lieferte sich Bartali ein Jahr später mit seinem fünf Jahre jüngeren Landsmann und „Herausforderer“ Fausto Coppi.

Fausto Coppi vs. Gino Bartali

Vor dieser Tour de France 1949 war es dem Weltmeister Alfredo Binda gelungen, die beiden rivalisierenden Campionissi in eine italienische Nationalmannschaft zu integrieren. Es gab klare Absprachen. Keiner sollte den besser Platzierten angreifen. Doch schon am fünften Tag drohte der Pakt zu zerbrechen. Coppi brach das Vorderrad. Bartali griff an. Bis Binda mit dem Begleitwagen bei Coppi war und einige Helfer zurückbeorderte, vergingen viele Minuten.

Coppi verlor zwanzig Minuten – und schäumte danach vor Wut: „Keine zehn Gäule bringen mich wieder aufs Rad. Heute Abend fahre ich nach Hause.“ Binda appellierte daraufhin an sein Ehrgefühl: „In Italien nimmt kein Hund mehr ein Stück Brot von dir, wenn du aufgibst. Willst du Gino diesen Triumph lassen?“ Er fuhr weiter. Und wie. Nach und nach holte er auf. Vor dem 137 Kilometer langen Zeitfahren lag er noch 82 Sekunden hinter dem fünf Jahre älteren Toursieger von 1938 und 1948.

Vor der nächsten Alpenetappe, die im Aostatal endete, waren die beiden erneut allein vorn. Während einer Abfahrt hatte Bartali eine Reifenpanne. Coppi rollte im Leerlauf weiter, da kam ein Bote von Teamleiter Binda: „Hau ab, Fausto! Gino hat fünf Minuten verloren. Die Franzosen jagen dich.“ Coppi fuhr als Sieger ins Ziel.

Das große Duell, das ganz Italien in zwei Lager gespalten hatte – die ‚Bartalisten‘ aus dem frommen Süden und die ‚Coppisten‘ aus dem Norden – war entschieden.

Das größte Talent der Nachkriegsjahre

Fausto Coppi war das größte Talent der Nachkriegsjahre: Er ist der erste Fahrer, der den Giro d‘Italia und die Tour de France in einem Jahr gewinnen konnte. Sein Fahrstil war einzigartig. Der frühere Profi André Leducq schwärmte: „Es scheint, als liebkose er seinen Lenkergriff eher, als dass er diesen wirklich greife. Gleichzeitig hat es den Anschein, als sei sein Körper fest mit Schrauben im Sattel verankert. Seine langen Beine gehen wie mit den Gelenken einer Gazelle in die Pedale über.“

Zwischen 1946 und 1954 wurde er kein einziges Mal wieder eingeholt, wenn er einmal allein vorne lag. Coppi hatte viele Bewunderer, aber bei weitem nicht so viele Anhänger wie sein Kontrahent Bartali. Der war der Mann des Volkes, einfach, umgänglich, ein Bauernsohn. Coppi hingegen war weltmännisch, elegant und wirkte zuweilen ein wenig arrogant.

Beide nahmen es mit der Treue nicht so genau, Bartali war sieben Mal verheiratet. Das verziehen ihm die Italiener, selbst der Papst bat ihn regelmäßig zu sich. Aber als Fausto Coppi seine Frau Bruna verließ, um mit der ebenfalls verheirateten Giulia Occhini zusammenzuleben, war dies im erzkatholischen Italien der 50er Jahre ein Skandal. Dennoch bewunderten ihn seine Landsleute und feierten 1952 seinen zweiten Tour-Sieg. Fünf Etappen, darunter alle drei Bergetappen, entschied Coppi dabei für sich. Bartali beendete diese Tour als Vierter.

Danach dauerte es acht Jahre, bis wieder ein Italiener die Grande Boucle gewinnen konnte: Gastone Nencini. 1965 folgte ein weiterer „Großer“ seiner Generation auf ihn: Felice Gimondi. Diese Tour de France wurde in Köln gestartet, auf der Domplatte, direkt vor dem Kölner Wahrzeichen. Gimondi war erst 23 Jahre alt – ein „Einsteiger“, der nur zum Einsatz kam, weil sein Landsmann Bruno Fantinato krank wurde. Doch schon am dritten Tag fährt er ins Gelbe Trikot. Später verliert er es an den Belgier Bernard van de Kerckhove. Doch der muss später entkräftet aufgeben. Der Weg wird frei für Gimondi. Nur Raymond Poulidor kommt ihm noch einmal bedrohlich nahe: Mit seinem Etappensieg am Mont Ventoux verkürzt er den Rückstand auf den Italiener auf nur noch 14 Sekunden. Die Entscheidung fällt bei dem Zeitfahren hinauf zum Mont Revard: Felice Gimondi ist 33 Sekunden schneller als Poulidor. Er gewinnt am Ende diese Tour – und in den Folgejahren noch drei Mal den Giro d‘Italia, einmal die Vuelta, Mailand-Sanremo, Paris-Roubaix und die Straßen-WM 1973. Doch die Tour, die gewann er nie wieder. 1979 beendete er seine Karriere.

Mehr als 30 Jahre ohne Tour-Sieg für Italien

Mehr als 30 Jahre lang mussten die Italiener warten, bis wieder einer ihrer Landsleute die Grande Boucle gewann: Marco Pantani, „Il Pirata“, 1998. Er lieferte sich ein Duell mit dem deutschen Vorjahressieger Jan Ullrich. Dieser gewann das erste Zeitfahren und holte sich das Gelbe Trikot – zumindest für einen Tag. Doch Pantani gewann die Bergetappe hinauf zum Plateau de Beille. Entscheidend war dann jedoch der 15. Tagesabschnitt von Grenoble nach Les Deux Alpes. Jan Ullrich brach ein und verlor mehr als neun Minuten auf den Italiener – und damit auch das Gelbe Trikot. Im Ziel in Paris betrug Pantanis Vorsprung 3:21 Minuten auf den deutschen Team-Telekom-Fahrer. Pantani ist bis dato der vorerst letzte Fahrer, der in einem Jahr den Giro d‘Italia und die Tour de France gewinnen konnte.

Dass die Leistungen jener Klassementfahrer damals nicht ohne Doping möglich waren, erfuhr die Öffentlichkeit erst Jahre später. Beide, Ullrich und Pantani, erlebten massive Abstürze.

Im Jahr nach seinem Tour-Sieg wurde der Italiener, als gerade Führender des Giro d’Italia, aufgrund eines erhöhten Hämatokritwerts nach der 20. Etappe von dem Rennen ausgeschlossen. Im Jahr 2000 kam er zurück: Er gewann zwei Etappen der Tour de France. 2003 verhinderte ein Sturz eine Top-Platzierung beim Giro.

Am 14. Februar 2004 wurde Marco Pantini tot in einem Hotelzimmer in Rimini aufgefunden. Die Autopsie ergab, dass der einstige Tour-Sieger an einer Überdosis Kokain gestorben war. Nun, 20 Jahre später, kehrt die Tour de France in seine Heimatstadt zurück: Cesenatico am Mittelmeer ist Startort der zweiten Etappe der Grande Boucle 2024.

Der vorerst letzte italienische Tour-Sieger heißt Vincenzo Nibali. Er gewann zweimal den Giro d‘Italia, einmal die Vuelta, die Lombardei-Rundfahrt, Mailand-Sanremo und sehr viel mehr. 2014 gewann er die Tour de France – mit mehr als siebeneinhalb Minuten Vorsprung vor dem Franzosen Jean-Christophe Péraud.

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Vincenzo Nibali ist der bis dato letzte Tour-Sieger aus Italien

Tour de France: Sieger aus Italien

1924, 1925 Ottavio Bottecchia
1938, 1948 Gino Bartali
1949, 1952 Fausto Coppi
1960 Gastone Nencini
1965 Felice Gimondi
1998 Marco Pantani
2014 Vincenzo Nibali

Dieser Artikel erschien in der RennRad 7/2024. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

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