Konsequenz
Kommerz und Chancengleichheit im Radsport: Analyse
in Race
Der „Tod des Fußballs“ oder „Fortschritt“? Das ist die Frage bei einem angedachten Projekt, das die Kommerzialisierungslogik des Profi-Sports auf die nächste Stufe bringen würde: die „Super League“, eine neue internationale Liga für europäische „Elite-Clubs“. Ähnliche Konzepte werden seit Jahren auch im professionellen Radsport debattiert. Die potenziellen Gründe und Konsequenzen: mehr Wettbewerbe, noch mehr Medienaufmerksamkeit, mehr Sponsorensicherheit, mehr Geld.
Somit hatte das Urteil des Europäischen Gerichtshof im Dezember weitreichende Wirkungen. Es hat den Weg für die Gründung einer Fußball-Super-League freigemacht. Die Grundsatzentscheidung lautet: Verbände wie die UEFA und die FIFA dürfen die Gründung von Konkurrenzwettbewerben nicht behindern, entschied der EuGH. Die bisherige Monopolstellung sei nicht mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar.
Auf den Radsport übertragen, könnte dies wichtige vielfältige Konsequenzen haben. Einer der langjährigen Befürworter einer solchen „Radsport-Super-Liga“ ist der Teamchef der Equipe EF Education-EasyPost Jonathan Vaughters. Sein Standpunkt: „Die Logik einer ‚Super League‘ ist ganz einfach: Wenn ich ein Investor mit Geld wäre, der in eine Sportart investieren will, würde ich mein Geld nicht in eine stecken, in der ein Team absteigen kann. Und ich würde nicht in eine investieren, in der es keine harten Regeln für den finanziellen Ausgleich gibt. Beides treibt die Kosten in die Höhe und senkt die Wettbewerbsfähigkeit (…) Der Radsport ist so zersplittert, dass es keine einheitliche Kraft gibt (…) Der Sport wird von der ASO und, in geringerem Maße, von der UCI betrieben. Keiner von beiden sieht wirklich einen Wert in finanzieller Fairness oder in der Abschaffung von Auf- und Abstieg.“
Chancen und Risiken
Um die im Fußball geplante europäische Super League war es fast schon ruhig geworden. Die Gründung wurde von 15 Spitzenclubs lanciert – doch nach Fan-Protesten und einer Intervention der Fußballverbände FIFA und UEFA nahmen alle bis auf drei Clubs Abstand von den Plänen. Die Verbände hegten derweil Pläne, Spieler von der EM und der WM auszuschließen, und Vereinen die Teilnahme an Verbandsbewerben wie der Champions League oder anderen internationalen Wettkämpfen zu verbieten. Juventus Turin, der FC Barcelona und Real Madrid ließen sich jedoch nicht von der Idee abbringen. Sie brachten das Thema mit einer Feststellungsklage vor das Madrider Handelsgericht. Das Gericht sollte urteilen, ob die Gründung einer Super League, abseits des Verbandssystems, sanktionslos zulässig sei. Von dort wurde der Europäische Gerichtshof angerufen und um eine Vorabentscheidung ersucht.
Im Kern dieser Entscheidung heißt es nun: Die Androhung oder das Setzen von Sanktionen – wie einem Wettbewerbsausschluss für Vereine oder Spieler vonseiten der UEFA oder FIFA – ist nicht rechtens. Es würde sich dabei um einen Missbrauch der Monopolstellung handeln. Generell klassifiziert das Gericht die Organisation von Fußballwettkämpfen als wirtschaftliches Handeln. Dabei sind die Arbeitnehmerfreizügigkeitsrechte zu wahren.
Konkret heißt dies: Ein Projekt wie die Super League außerhalb einer Verbandsstruktur kann von Verbänden nicht verhindert werden. Sanktionen gegen Vereine oder Sportler sind in diesem Fall als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu klassifizieren. Spielern so die Erwerbsausübung einzuschränken, verstößt gegen den europäischen Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Auch für den Radsport hat dieses Urteil erhebliche Auswirkungen, gab es in der Vergangenheit ja bereits Ambitionen von großen Teams, eigene Rennserien auf die Beine zu stellen. Wie so oft geht es auch dabei ums Geld: Die Marktmacht der Organisation A.S.O., die hinter der Tour de France und etlichen anderen großen Radrennen steht, und der UCI könnte aufgebrochen werden, damit Teams direkt Gewinne aus den Fernsehrechten generieren können.
Kommerz und Fairness
In Hinblick auf die mediale Vermarktung hält der EuGH im Fall der Super League fest: „Die entsprechenden Vorschriften der FIFA und der UEFA sind so beschaffen, dass sie den europäischen Fußballvereinen, allen auf den Medienmärkten tätigen Unternehmen und letztlich auch den Verbrauchern und Fernsehzuschauern schaden, indem sie sie daran hindern, neue und potenziell innovative oder interessante Wettbewerbe zu erleben. Es ist jedoch Sache des Handelsgerichts Madrid, zu prüfen, ob diese Regeln nicht dennoch den verschiedenen Akteuren des Fußballsports zugutekommen würden, indem sie beispielsweise eine solidarische Umverteilung der mit diesen Rechten erzielten Gewinne gewährleisten.“
Für die bereits gehegten Pläne einiger Profi-Radteams klingt dies – vorbehaltlich der finalen Entscheidung des Madrider Handelsgerichts – fast nach einer Einladung, eigene Rennen zu etablieren. Würden sich Organisatoren finden, könnten gut medialisierte Rennen außerhalb des UCI-Reglements stattfinden. Ob dies für den Sport auch in puncto Sicherheit insgesamt eine gute Sache ist, sei dahingestellt.
Insgesamt bringt dieses Urteil aber vor allem die UCI und die nationalen Verbände unter Zugzwang. Das Verbandsmonopol – so scheint es – ist seit dem 21.12.2023 nicht nur im Fußball Geschichte. Im Radsport scheiterte die Organisation eines neuen Rennformats zuletzt mit den „Hammer-Series“, die von der Teamvereinigung „Velon“ organisiert wurden. 2020 kam es zur Einstellung des Formats. Velon begründete diese mit dem Verhalten des Weltradsportverbandes, der ständig versucht hätte, das neuartige, dreitägige Rennformat zu torpedieren. Auch diesen Streitigkeiten ging eine Kartellrechtsbeschwerde voraus. Zu erwarten ist nun, dass die Macht der A.S.O. gegenüber dem Weltverband weiter zunehmen wird.
Tour de France ohne die UCI?
Theoretisch wäre eine Tour de France auch außerhalb des UCI-Reglements möglich, zumal sich Radteams den Werbewert des drittgrößten Sportereignisses der Welt sicher nicht entgehen lassen würden. Ähnliches gilt wohl auch für die beiden anderen großen dreiwöchigen Landesrundfahrten Giro und Vuelta sowie für die belgischen Klassiker, die ebenfalls allesamt von privaten Gesellschaften – RCS Sport, einer Tochtergesellschaft der A.S.O. beziehungsweise „Flanders Classics“ – organisiert werden.
Spannend könnte es auch in der zweiten und dritten Kategorie des Radsports werden: Hier wirft das Veranstalten von Profi-Rennen meist wenig bis keinen Gewinn ab. Auch dort könnte das Urteil Wirkung zeigen: Aufgrund der Tatsache, dass das vom EuGH geforderte Geld-Transfersystem im Monopol von oben nach unten nicht existiert, bestünde die Möglichkeit, sich nicht mehr dem Weltverband zu unterwerfen, um so Gebühren und Abgaben einzusparen. Vorausgesetzt, dass Teams dennoch der Einladung dieser Veranstalter folgen.
Gefordert ist nun der Weltverband, der sich mit seinem etablierten, aber bisher monopolistischen System ab sofort im Wettbewerb befindet und so zwangsläufig an der Attraktivität und am Nutzen seines Produktes für Fahrer, Teams, Veranstalter und Öffentlichkeit arbeiten muss. Dass im Gegensatz zum Fußball die UCI selbst kaum Wettkämpfe ausrichtet, könnte nun zum Boomerang für den Radsport-Weltverband werden: Das Geschäftsmodell des in der Schweiz ansässigen Verbandes beschränkte sich in der Vergangenheit vorrangig darauf, das Lizenzmonopol zu verwalten und mittels Gebühren von Sportlern, Teams und Veranstaltern Gewinn zu erwirtschaften. Erlöse aus Medienrechten flossen bis auf wenige Ausnahmen den großen Veranstaltern zu, diese haben durch das Dasein der UCI lediglich den Vorteil, einen neutralen Schiedsrichter zur Verfügung gestellt zu bekommen. Gegen Gebühr versteht sich.
Marathons und Rad-Profis
Auch auf das nationale Reglement hat das Urteil Auswirkungen: Derzeit dürfen lizenzierte Fahrer laut Reglement des Österreichischen Radsportverbandes nur in den für sie bestimmten Kategorien starten. Ein gemeinsamer Start von lizenzierten und unlizenzierten Fahrern ist verboten. Seitens der UCI hat man bereits vor Jahren dieses Reglement zumindest teilweise aufgebrochen: In Anlehnung an das geltende UCI-Reglement ist in Österreich der Start bei drei unangemeldeten touristischen Veranstaltungen pro Jahr möglich, was durch die hohe Anzahl an Radmarathonveranstaltungen eine besondere praktische Relevanz hat. Wird diese Anzahl überschritten, sieht der ÖRV Strafenkatalog ein Startverbot für vier Rennen vor. Dies ist eine Vorgangsweise, die mit dem vorliegenden Urteil ab sofort wohl nicht mehr mit dem Europarecht in Einklang steht.
Für Renn-Veranstalter könnte sich einiges ändern. Zum Beispiel könnte es sein, dass bei den großen Radmarathon-Events künftig auch Elite-Lizenzfahrer nicht mehr vom Start ausgeschlossen werden könnten. „Kleinere“ Radmarathons dürften zwar keine großen Auswirkungen auf die Erwerbsausübung von Profisportlern haben – anders würde dies aber bei Marathon-Veranstaltungen wie dem „Ötztaler“ aussehen: Deren mediales Echo liegt teils um ein vielfach höher als jenes vieler Verbands- und UCI-Rennen.
Elite-Fahrer beim Ötztaler
Genau bei solchen medialen Bühnen hakt der EuGH auch ein: Diese Plattform darf Lizenznehmern im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht verwehrt werden. So sträuben sich zum Beispiel die Organisatoren des Ötztaler Radmarathons – wohl auch aus medialen Gründen – bereits nicht gegen die Teilnahme von Elite-Fahrern. Tatsächlich gab es allerdings aufgrund der möglichen Verbands-Konsequenzen für die Sportler bisher nur eine überschaubare Anzahl von Elite-Athleten an der Startlinie.
Das EuGH-Urteil könnte diese Anzahl mittelfristig wohl langsam erhöhen. So könnte sich innerhalb einiger Jahre eine Mischung aus Ötztaler-Radmarathon und dem 2017 ausgetragenen Profi-Rennen „Pro Ötztaler 5500“ in einem einzigen Event-Format etablieren. Sollten es die limitierten Startplätze zulassen, stünde jedem Elite-Radteam die Möglichkeit frei, sich bei den medial bestens vermarkteten großen europäischen Radmarathons an die Startlinie zu stellen. Einzelfahrer könnten so wohl nur mehr durch ihre privatrechtlichen Arbeitsverträge und somit durch Weisung ihrer Teams daran gehindert werden, außerhalb des Verbandssystems zu starten.
Der Stand des Triathlonverbands
Während die Radsportverbände den Radsport-für-Alle-Boom seit den 1990er Jahren weitgehend verschlafen haben und es verabsäumten, ein für Radmarathon-Starter taugliches Lizenzsystem zu etablieren, ist der im Verhältnis dazu junge Triathlonverband hier deutlich weiter: Der Verband agiert als Dienstleister für den Veranstalter und stellt Technical Officials, die das Rennen unabhängig leiten und Entscheidungen über Zeitstrafen, Disqualifikationen und andere Streitfälle treffen. Eine Trennung von Lizenzierten und Unlizenzierten, Profis und Hobbyathleten, ist dem Triathlon im nationalen Rennsektor fremd, was somit auch mit der EU-Freizügigkeit in Einklang steht.
Dennoch muss auch hier der Strafenkatalog in Hinblick auf das Urteil überarbeitet werden: Dieser sieht bei der Teilnahme eines Kaderathleten an einem nicht vom ÖTRV genehmigten „wilden“ Rennen bis dato einen Lizenzentzug von zwölf Monaten Dauer vor. Für Jahreslizenzinhaber, ergo Hobbyathleten, gibt es Geldstrafen.
Die Zukunft im Radsport
Im Radsport ist die zukünftige Entwicklung wohl davon abhängig, ob beziehungsweise wann „große Player“ Änderungen anstoßen. Falls diese finanzielle Vorteile für sich erkennen, könnte dies sehr schnell gehen.
Aus juristischer Sicht muss nach dieser ersten Presseaussendung des EuGH noch die schriftliche Ausformulierung des Urteils abgewartet werden. Werden die bisherigen Aussagen hier bestätigt, wäre der Weg für eine Super League geebnet – und die UCI wäre wohl gut beraten, im eigenen Interesse proaktiv zu agieren.
Dieser Artikel erschien in der RennRad 3/2024. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.
Zum Autor
Der Autor dieses Kommentars, Dr. Michael Nußbaumer, ist Jurist sowie Sport- und Medienmanager. Er ist unter anderem Veranstalter der jährlich stattfindenden Extremradsportveranstaltung Race Around Austria. Rückfragen: mail@numotion.media
Hintergründe
Die Pro-Super-League-Argumente führt der EF-Education-Team-Manager Jonathan Vaughters weiter aus: „Im Radsport gibt es keine Gehaltsobergrenzen. Wenn man das Geld hat und ausgibt, gewinnt man. Das haben wir in den vergangenen paar Jahren gesehen. Ineos, UAE, Jumbo-Visma – wer ausgibt, gewinnt. Das ist eine einfache Gleichung. Man muss kein Genie sein, um das herauszufinden. Die gleichen Teams gewinnen immer wieder, was die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit senkt. Zudem besteht immer die Möglichkeit des Abstiegs. Aus der Sicht eines Investors ist dies nicht attraktiv.“
Im Radsport wird zudem seit Monaten über neue private Rennformate debattiert, zum Beispiel über eine „Saudi Racing League“. Der öffentliche Investitionsfonds Saudi-Arabiens steht angeblich hinter Plänen zur Schaffung eines Champions-League-ähnlichen Formats, das dem bestehenden Radsportkalender Konkurrenz machen soll.
Die Organisation, die hinter den Änderungen steht, One Cycling, geht auf den Team-Jumbo-CEO Richard Plugge und Zdenek Bakala, den Eigentümer von Soudal-QuickStep, zurück. Fünf oder sechs andere große Teams, darunter Ineos Grenadiers und Lidl-Trek unterstützen angeblich den Vorschlag. Die Uneinigkeit unter den Teams über die Verteilung des Geldes im Radsport scheint ein wichtiger Faktor zu sein. Der Großteil der Einnahmen aus Etappenrennen und lukrativen Fernsehverträgen geht demnach bislang an die Organisatoren und nicht an die Teams selbst, die zum Überleben auf Sponsoren angewiesen sind.
Richard Plugge erklärte gegenüber Reuters: „Es ist offensichtlich, dass der Radsport ein schlafender Riese ist und ein verbessertes Geschäftsmodell verdient. Für alle Beteiligten, aber insbesondere für die WorldTour-Teams. Der einzige Weg dorthin ist die Zusammenarbeit.“ Die Idee einer konkurrierenden, von Saudi-Arabien unterstützten Liga hat zu Sorgen um das Überleben des Profiradsports, „wie wir ihn kennen“ und um die Zukunft kleinerer, finanziell weniger gut aufgestellter Teams geführt.