Meer & Hügel
Andalusien: Rennrad-Reise an der Costa de la Luz – Tipps, Hotels, Touren
in Reise
Es ist ein Rennen Mensch gegen Tier – und das Tier gewinnt. Ich fahre bergan, mit einer Herzfrequenz von 180, bei einem Steigungsgrad von 20, 21, 22 Prozent. Und werde überholt. Von einem Hütehund. Groß, beige-rötliches lockiges Fell. Er trabt auf einem schmalen Pfad neben der Straße her, blickt mich kurz – wohl mitleidig – an und hängt mich ab. Dies ist sein Revier.
Dies ist der, circa, zwölfte Anstieg meiner heutigen Tour. Dies sind Temperaturen, die ich – zumindest aktuell, in der ersten Maiwoche – nicht gewohnt bin. 30, 32, 33 Grad. Der schnelle, an mir uninteressierte Hütehund ist das erste Lebewesen, das ich auf dieser Straße sehe. Das Asphaltband ist 3,50 Meter schmal –und, gefühlt, niemals flach oder gerade. Weder noch. Es geht, mal leicht, mal steil, bergan oder bergab, rechts, links, links, rechts. Die Ausblicke: weit und grün. Um mich herum: eine Hügellandschaft, die in Berge übergeht. Grüne Wiesen voller Blumen, verfallene uralte steinerne Mauern und sonst: nichts. Keine Städte, keine Dörfer, keine Häuser, keine Wohnmobile, keine Menschen.
Andalusien: Stadt, Land, Meer
3,5 Stunden zuvor brach ich auf – in einer anderen Welt. An der Küste. Von einem Hotel, das direkt an einem Strand liegt. Einem Postkartenmotiv-Strand: weit, breit, hell und feinsandig und meist leer. Mein Ausgangsort: das Hotel Barroso Park im Ortsteil Novo Sancti Petri von Chiclana de la Frontera. Der Ort: Golfplätze, Hotels, Wohnanlagen, Sportplätze – und eine Huerzeler-Radstation. 35 Kilometer sind es bis nach Jerez de la Frontera, 20 bis nach Cádiz, 120 bis nach Sevilla, 100 bis nach Großbritannien. Zumindest bis zu einem Gebiet, das zum Königreich gehört: Gibraltar. Die Halbinsel am Golf von Algeciras ist 6,6 Quadratkilometer groß. Die „Grenze“ zu Spanien ist nur rund einen Kilometer lang. Mit seinen rund 33.000 Einwohnern zählt Gibraltar zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde.
Das große touristische Highlight ist: der Rock of Gibraltar – der monolithische Kalksteinfelsen, der von Verteidigungstunneln durchzogen und von mehr als 250 Berberaffen bewohnt ist. Die ersten Kilometer meiner ersten Tour sind flach. Ich fahre an der Küste entlang. Rechts neben mir sehe ich das glitzernde Blau des Mittelmeers. Über dem Asphalt vor mir flimmert die Hitze. Mein Ziel: die Sierra de Grazalema. Der Gebirgszug liegt rund 120 Kilometer entfernt.
Die Hürzeler-Guides bieten auch hier geführte Touren an – Bus- und Radtransfer inklusive. Später steige ich in das Auto unseres Fotografen Jens – und erst in Sichtweite des Höhenzugs wieder auf mein Leih-Rennrad.
Je weiter ich mich der Region nähere, desto hügeliger wird die Landschaft. Und desto menschen- und zivilisationsleerer. Die Gegend wirkt wie aus der Zeit gefallen. Mit jedem Kilometer wird der Kontrast zur dichtbesiedelten Küste größer. Auf den Küstenstraßen sind viele Rennradfahrer unterwegs – hier nicht. Vor Ubrique kommt mir eine Rennrad-Gruppe entgegen, Einheimische. Sie grüßen. Und schon bin ich wieder allein. Ubrique ist das „Tor“ zur Sierra de Grazalema. Die Geschäftigkeit der 16.000-Einwohner-Stadt überrascht mich. Es ist der ideale Ort für eine Pause. Ein kleines Café, ein Seniorenstammtisch, ein Tisch in der Sonne. Kein Tourist. Nirgends. Außer mir. Un cortado y un bocadillo de jamón serrano, por favor. Ein Espresso mit Milch und ein sehr großes Schinken-Olivenöl-Brötchen bitte.
Puerto del Boya
Abfahrt. In dem Örtchen El Bosque beginnt der zweite lange Anstieg meines Tages: der Puerto del Boya – 15 Kilometer mit 850 Höhenmetern. Ich blicke nach oben und sehe: grau. Die Wolken werden dichter und dunkler. Die Luftfeuchtigkeit steigt. Es riecht nach Regen. Dieser Teil der Betischen Kordillere ist, unglaublicherweise, die regenreichste Region ganz Spaniens. Die Temperatur: 15, 14, 13, 12 Grad. Und damit mehr als zehn Grad weniger als zum Start meiner Tour. Als an der Küste. Als in dieser anderen Welt.
Die Straße vor mir wird immer steiler, Elf, zwölf, 13, 14 Prozent. Ich fokussiere mich auf meinen Atem – und vor allem: auf die Landschaft um mich herum. Diese Leere, diese Weite, diese Natur – dies ist zu Hause, in Deutschland, kaum mehr zu finden. Seit 30 Minuten habe ich keinen menschlich-zivilisatorischen Lärm mehr gehört. Kein Hupen, keinen Motor, keinen Laubbläser. Ich sehe: graue Felsen, hellgrüne Wiesen, dunkelgrüne Nadelbäume, braune Rinder, schwarze Stiere, weiße und graue Ziegen – und Adler. Viele Adler. Sechs von ihnen umkreisen eine felsige Hügelkuppe rechts neben mir.
Andalusien: Natur und Kultur
Hier sind die Vögel dunkel und auf der Jagd – unten, nahe der Küste, in dieser anderen Welt, sind sie hell, weiß bis rosa, und stehen meist in Gruppen im flachen Wasser: Die Region um den Fluss Caño de Sancti und den Nationalpark Marismas de Sancti Petri ist berühmt für ihre Vogel-Welt und vor allem für die vielen Flamingos, die man hier beobachten kann. Ich fahre weiter, weiter bergauf. Der nächste Anstieg beginnt in Zahara und führt 13 Kilometer und 830 Höhenmeter bergan. Von Grazalema aus geht es nach Benamahoma. Und weiter.
Die Highlight-Tour durch die Sierra de Grazalema, die mir die Guides empfohlen haben, umfasst: 100 Kilometer und 2300 Höhenmeter. Würde man von El Bosque aus noch zurück an die Küste, zurück nach Chiclana, fahren, kämen noch einmal fast 90 Kilometer dazu. Zu viel für mich. Diesmal. Spät am Abend sind wir zurück. Dort, wo wir morgens aufbrachen. Dort, in dieser anderen modernen Welt. Die Tage hier sind lang. Die Sonne geht erst nach 21 Uhr unter. Duschen, Abendessen – vier Durchgänge am Buffet, Salat, Hauptspeise, Hauptspeise, Desserts, viele Desserts – vom Tisch aufstehen, 80 Meter spazieren und dort sein. Am Strand. Sich angekommen fühlen.
Nächster Tag, nächste Tour
Der nächste Tag, die nächste Tour. Das nächste Tagesziel: die Highlights der Mittelmeerküste sehen und erleben. Ich rolle immer gen Osten. Durch ein Waldgebiet, in dem immer wieder Campervans und Wohnmobile hinter dem Grün der Nadelzweige zu sehen sind. Während der ersten Stunde fahre ich mir das Laktat von gestern aus den Beinen. Zumindest bilde ich mir das ein. Es ist flach, fast windstill, warm, aber nicht zu warm, 25 Grad. Es läuft. Ich sehe: Meer, Strände, Surfer, VW-Busse voller Surfboards, Kitesurfer, Surf-Hipster-Cafés. Hinter Conil wechsle ich von der recht stark befahrenen Straße auf einen grün grundierten Radweg, der auch räumlich vom motorisierten Verkehr getrennt ist. Nach 40 Kilometern erreiche ich Barbate, den Ort meines ersten Kaffee-Stops. Hotels, Restaurants, Bodegas, Wohn- und Appartementhäuser reihen sich an der einen „Hauptstraße“ des Ortes auf. Als ich rechts neben mir das Meer sehe und die Wellen höre, biege ich, ohne eine Millisekunde des Nachdenkens, ab. 30 Sekunden später bin ich am Ende des Weges. Und des Festlands. Direkt unter mir liegt ein Strand. Auf der rechten Seite beginnt eine kleine schmale Promenade. Auf der linken Seite sehe ich Stühle, Tische, Kaffeetassen, Bier- und Weingläser.
Ein kleines Café, fünf Meter vom Beginn des Mittelmeers entfernt. Hier muss ich bleiben. Zumindest für eine halbe Stunde. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Spanien tue ich etwas für mich – und für die meisten anderen Touristen – extrem Ungewöhnliches: Ich suche, und finde Schatten. Dennoch dauert es nur Minuten, bis mein schweißfeuchtes Trikot wieder trocken ist. Aufbruch. Abfahrt. Bergan. Zum ersten „richtigen“ Anstieg meiner Tour. Noch in Barbate fängt die Straße an zu steigen. Steil und steiler. Zwölf, 13, 14 Prozent. Wiegetritt. Atmen. Schwitzen. Ich blicke mich um: Hinter mir funkelt die Sonne auf den Wellen. Das Meer, der helle Sand davor, das Grün drumherum – der Anblick ist fast schon kitschig-schön. Nach vier, fünf Minuten des, gefühlten, High-Intensity-Intervall-Trainings bin ich oben, am höchsten Punkt, auf einem kleinen Hochplateau. Mein durchnässtes Trikot klebt an mir. Vor mir, in der Ferne, sehe ich, wonach ich mich gerade sehne: den Schatten der Bäume. Drei Kilometer später wird die Landschaft wieder weit: Ich blicke von oben auf das Meer vor mir und auf eine Hafenanlage. Die Abfahrt ist kurz und schnell. Zu kurz, um den kühlenden Fahrtwind genießen zu können.
Strände und Berge
Es folgt: eine kleine Gegensteigung, Seitenwind, Surfer-Strände, Ausblicke, Sonne. Vor dem Örtchen Polonia sehe ich: noch mehr Sand. Anderer. Vor dem Küstendorf Bolonia erhebt sich eine Wanderdüne. Radschuhe und Socken aus, gehen, fühlen. Die Wärme, die Feinheit, die Rauheit, die Seeluft, die Freiheit. Dies ist mein Umkehrpunkt. 58 Kilometer trennen mich noch von Chiclana. Ich wünsche mir: Rückenwind. Am frühen Abend hänge ich mein Rennrad in den Radkeller des Hotels. Zeit für Entspannung, Regeneration, Urlaub. Der Weg von meinem Hotelzimmer bis zum Meer dauert drei Minuten. Der Strand. Die Weite. Das Meer. Die Wellen sind heute niedrig. Der Untergrund fällt nur sanft ab. Nach 40 Metern des Watens kann ich noch immer im bauchhohen Wasser stehen. Es ist kristallklar. Auf den ersten kurzen Kälteschock folgt: das Nicht-mehr-hinaus-Wollen.
Der nächste Tag, die nächste Tour. Durch das Hinterland – und zu einem besonderen Strand: die Playa El Palmar. Ich fahre nicht direkt dorthin, sondern erst landeinwärts. In Richtung: Wiesen, Felder, Windräder, Hügel und weniger Verkehr. In Vejer de la Frontera, einem der berühmten „weißen Dörfer“ Andalusiens, drehe ich ab. Und fahre gegen den Wind in Richtung Küste. Je näher ich ihr komme, desto schmaler wird das Sträßchen, auf dem ich – mit 22, 23, 24 km/h im Gegenwind – fahre. Und dann sehe ich, wieder, das Meer. Doch: Hier, in El Palmar, ist etwas anders. Das Gefühl. Der Vibe. Die Atmosphäre. Es ist eine Atmosphäre, die mich an andere Regionen, Reisen und Erlebnisse erinnert. In Thailand, Südamerika, Portugal, Neuseeland. Das Leben hier findet draußen statt. Überall sind Menschen in Neoprenanzügen, überall sind Surfboards, überall sind Campervans, überall läuft gute Musik, überall gibt es Import-Bier, Fischgerichte und „Bowls“. Mittagspause. Thunfischsteak, Salat, Patatas bravas und zwei Kaffee. Essen und Meer, Wellen und Menschen beobachten. Abfahrt. Wieder gen Inland. Über, vier, fünf kurze Hügel. Zurück nach Chiclana. Zurück ans Meer. Ins Wasser. Ans Buffet. An den Strand. An die Planung für die nächste Reise.
Dieser Artikel erschien in der RennRad 7/2022. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.
Andalusien – Costa de la Luz: Region, Hotel und Radstation
Chiclana de la Frontera wurde um das Jahr 1300 gegründet. Lange war es vor allem für die edlen Weine der Region und den Xeres-Jerez-Sherry bekannt. Die vielen Sherry-Bodegas gehören auch zu den Wahrzeichen des rund 35 Kilometer von Chiclana entfernten Jerez de la Frontera. Die Stadt ist zudem bekannt für die königliche Reitschule und für die Flamencomusik.
Die größte Stadt und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz ist Cádiz, das nur rund 20 Kilometer von Chiclana entfernt liegt. Cádiz hat einen Hafen und das Stadtbild ist geprägt durch den großen Kontrast zwischen der historischen Altstadt und den modernen Hochhäusern der Neustadt.
Die nächsten Flughäfen sind in Jerez, Sevilla, Málaga, Gibraltar oder im portugiesischen Faro. Die Anreise ist jeweils mit Bus und Bahn oder mit einem Mietwagen möglich. Für Radsportler ist vor allem der Gebirgszug der Sierra de Grazalema als Trainingsgebiet relevant.
Die Region wurde 1984 zum ersten Naturschutzgebiet Andalusiens. Zu den anspruchsvollsten Anstiegen der Region zählen etwa der Puerto de las Palomas: Dieser ist der Höhepunkt der Straße von Zahara de la Sierra nach Grazalema, zwei der weißen Dörfer Andalusiens. Sie führt durch den Parque Natural de la Sierra de Grazalema. Der Anstieg umfasst rund 13 Kilometer und mehr als 800 Höhenmeter.
Das Vier-Sterne-Hotel Barrosa Park liegt im Ortsteil Novo Sancti Petri – und: direkt an einem feinen breiten Sandstrand, der Playa de la Barrosa. Das Hotel ist auch bei Golfern sehr beliebt, es gibt spezielle Angebote und mehrere Golfplätze in der Nähe. Der Spabereich und der Fitnessraum bieten auch Radsportlern Gelegenheiten zur Regeneration und für Ausgleichssportarten.
Die Huerzeler Rad-Station in Chiclana befindet sich auf dem Gebiet des Hotels Barrosa Park im Stadtteil Novo Sancti Petri. Der Leiter Adolfo spricht, wie auch die Mitarbeiter, fließend Deutsch. Mehrere Guides bieten mehrmals wöchentlich geführte Touren unterschiedlicher Längen und mit stark variierenden Durchschnittsgeschwindigkeiten an.
Weitere Informationen
- Die Radstation: huerzeler.com/de/inspiration/stationen-und-hotels/stationen/chiclana
- Das Hotel: hipotels.com/de/hotels/barrosapark
- Der Rad-Reiseanbieter Huerzeler: huerzeler.com/de