Team Bora-Hansgrohe, Team-Analyse, Radsport, Umbruch
Bora-Hansgrohe vor der Saison 2022: Zugänge, Ziele, Team-Analyse

Umbruch

Bora-Hansgrohe vor der Saison 2022: Zugänge, Ziele, Team-Analyse

Das deutsche World-Tour-Team Bora-Hansgrohe stellt sich neu auf – ohne den Superstar Peter Sagan und mit neuen Hoffnungsträgern. Eine Analyse.
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Einst stand er für das gesamte Team Bora-Hansgrohe – er überstrahlte alles, er war der Rockstar des Radsports: Peter Sagan. Drei Mal wurde er Weltmeister, sieben Mal gewann er das Grüne Trikot der Tour de France. In seinen fünf Jahren im Trikot des deutschen Teams holte der Slowake 27 Siege. Die Zahl der Siege seines bisherigen Team-Kollegen Pascal Ackermann: 35. Der 27-jährige Pfälzer wurde in der bayerischen Equipe Profi – und entwickelte sich zu einem Weltklasse-Sprinter. Peter Sagan und Pascal Ackermann waren zwei der „Gesichter“ des Raublinger Teams. Bis zum Ende dieser Saison. Bis zu diesem Umbruch.

„Nach einer langen und gründlichen Diskussion mit meinem Management und im gegenseitigen Einvernehmen mit Bora-Hansgrohe kamen wir zu dem Entschluss, dass es am besten wäre, wenn meine Zeit im Team zu Ende geht und ein neues Kapitel in meiner Karriere beginnt“, ließ Peter Sagan im Juli verlauten. Ab 2022 wird er für das französische Team Total Energies starten – ebenso wie sein Bruder Juraj, der Italiener Daniel Oss und der Pole Maciej Bodnar.

Sagan hat den Aufschwung des deutschen Teams mitverantwortet. Sein Wechsel nach Deutschland im Jahr 2017 war eine Sensation. Mit ihm stieg die deutsche Mannschaft von einem Zweitdivisionär zu einem inzwischen etablierten World-Tour-Team auf. Tour-Etappensiege, ein dritter WM-Erfolg, Klassiker-Triumphe: Mit Peter Sagan kamen der Erfolg und die Popularität.

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Team Bora-Hansgrohe: Trennung von Pascal Ackermann

Die Trennung von Pascal Ackermann war wohl spätestens ab dem Moment besiegelt, als ihn die Team-Verantwortlichen nicht für die Tour de France dieses Jahres nominierten. Dies hatte die Team-Führung dem Pfälzer vor zwei Jahren versprochen, als er 2020 wieder einmal auf einen Start in Frankreich verzichtete, da man das Gesamtklassement stärker in den Fokus stellte als Tageserfolge. Zudem baute man, wie in den Vorjahren, auf Peter Sagan.

Ackermann musste somit auch in seinem fünften Jahr im Team weiter auf seinen ersten Tour-de-France-Start warten. Auch in diesem Jahr erfüllten sich Ackermanns Tour-Ambitionen nicht – wohl auch, weil er bis Juni nur wenige Top-Resultate vorweisen konnte. Als dann auch noch Emanuel Buchmann während des Giro d‘Italia stürzte und seine bis dahin gezeigte gute Form in der Tour noch einmal unter Beweis stellen wollte, war die Tür endgültig zu für Ackermann. Der 27-Jährige quittierte die Nicht-Nominierung mit fünf Siegen innerhalb von 15 Tagen: zwei Tagessiegen bei der Sibiu-Tour, drei bei der Settimana Ciclista.

Tapetenwechsel

„Wir hätten Pascal gern behalten, aber manchmal ist ein Tapetenwechsel einfach wichtig“, bemühte sich Denk um Versöhnung.

Pascal Ackermann selbst sagte: „Ich habe meinen Vertrag mit Bora-Hansgrohe nicht verlängert. So wie die Reise des Teams weitergeht, so geht auch meine Reise weiter.“ Seine Reise führt ihn in das aktuelle Aufsteiger-Team schlechthin, in das Team des zweifachen Tour-de-France-Siegers Tadej Pogačar: UAE Emirates. Ob der deutsche Sprinter dort, in einer Equipe, in der alles auf einen weiteren Gesamtsieg des Slowenen ausgerichtet ist, ein Teil des Tour-Teams sein wird, ist eine der vielen spannenden Fragen der Saison 2022.

Zudem hat Ackermann auch teamintern einen starken Konkurrenten, wenn es um die eigenen Chancen bei Sprint-Entscheidungen geht: den Kolumbianer Fernando Gaviria. Generell hat sich das UAE-Team für die neue Saison extrem verstärkt. Zu den vielen Neuzugängen zählt etwa auch der deutsche Neoprofi und bisherige Bahn-Spezialist Felix Groß. Auch der 23-Jährige könnte sich zu einem Sprinter, oder zunächst einem Sprint-Anfahrer, entwickeln.

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Bora-Hansgrohe: Abgänge und Talente

Vor allem durch den Abgang von Peter Sagan, der ein geschätztes Jahressalär von fünf Millionen Euro erhalten haben soll – das Berichten zufolge in Teilen von dem Rad-Hersteller Specialized übernommen wurde – wurden im Team Bora-Hansgrohe Gelder „frei“. Vielleicht trug auch dies zu einem Strategie- beziehungsweise Charakterwechsel des Teams bei: Jahrelang gehörte die Kontinuität zur Philosophie des Rennstalls, der langsam, aber stetig seinen Weg in die Weltspitze fand.

Nun begann die Zeit der großen personellen Umbrüche. Neben Ackermann und Sagan mit seinem Gefolge verlassen auch Andreas Schillinger, der seine Karriere mit 38 Jahren beenden wird, Marcus Burghardt sowie Rüdiger Selig, der sich als weiterer Anfahrer für Caleb Ewan bei Lotto-Soudal verdingen wird, das Team. Dorthin folgte ihm Michael Schwarzmann, der wie Schillinger seit 2010 bei Ralph Denk unter Vertrag stand. Der Vertrag des „Umsteigers“ Ben Zwiehoff, der bis 2020 ein Mountainbike-Spezialist war, wurde dagegen um ein Jahr verlängert. „Ben hat den Umstieg auf die Straße sehr gut geschafft. Er ist nicht nur ein guter Bergfahrer, sondern konnte unsere Leader auch im Flachen sehr gut unterstützen“, lobt Denk das Talent des 27-jährigen Esseners, der sich „total glücklich über das Vertrauen des Teams“ zeigte. Seine erste Grand Tour, die Vuelta, beendete er auf Rang 47.

Spätestens seit Emanuel Buchmanns viertem Platz bei der Tour de France 2019 weiß man um die Werbewirksamkeit eines Tour-Erfolges. Auf diesen will man im Team noch gezielter hinarbeiten. „Mein persönlicher Traum ist es weiterhin, eines Tages die Tour zu gewinnen. Dafür arbeitet das gesamte Management sehr hart. Ob das aber schon nächstes oder übernächstes Jahr möglich sein wird, muss man abwarten“, sagte Denk in einem Interview. Die neue Ausrichtung seines Teams passt zu diesen Ansprüchen, denn es wurde vor allem die Rundfahrer-Fraktion verstärkt.

Klassementfahrer

Bereits die Verpflichtung Wilco Keldermans vor einem Jahr entsprach dieser Ausrichtung. Der Niederländer fuhr in dieser Saison auf Rang fünf der Tour de France. Er zählt somit klar zur Riege der „Klassementfahrer“.

Ebenso wie mehrere der Zugänge für die neue Saison. Allen voran: der Australier Jai Hindley, der Kolumbianer Sergio Higuita und der Russe Aleksandr Vlasov. Die drei haben viel gemeinsam: Alle sind stark am Berg, alle haben bereits Top-Platzierungen bei Rundfahrten erreicht – und alle sind noch recht jung. Higuita ist 24, Hindley und Vlasov sind 25 Jahre alt.

Alle haben somit noch Zeit – und das Potenzial – in eine Leaderrolle hineinzuwachsen und sich weiterzuentwickeln. Ein Bereich, in dem alle drei noch „aufholen“ müssen, um bei den Grand Tours potenziell ganz vorne mitfahren zu können, lautet: Zeitfahren. Jai Hindley wechselte von dem zweiten deutschen World-Tour-Team, DSM, nach Bayern. Der Australier unterzeichnete einen Drei-Jahresvertrag.

Die Saison 2020 war das Jahr seines Durchbruchs in die Weltspitze: Beim Giro d`Italia fuhr er sich in die Elite der Bergfahrer. Am Ende fehlten ihm nur 39 Sekunden zum Sieg. Er wurde Gesamtzweiter. In der Folgesaison 2021 stand als bestes Resultat jedoch „nur“ der siebte Gesamtrang der Polen-Rundfahrt zu Buche. Auch Sergio Higuitas Stärken liegen in den Bergen: Der 24-Jährige ist 1,66 Meter groß und wiegt 57 Kilogramm. Er wechselte von der Equipe EF Education-Nippo nach Deutschland. 2020 wurde er Gesamtdritter von Paris-Nizza und gewann die Kolumbien-Rundfahrt.

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Bergfahrer und Erfolge

Der Russe Alexandr Vlasov fuhr sich 2020 in seinem ersten Jahr in der World-Tour bereits in die Weltspitze – unter anderem mit Rang drei bei Il Lombardia. In dieser Saison wurde er Zweiter von Paris-Nizza, Dritter der Tour of the Alps und Vierter des Giro d‘Italia.

Der „Ersatz“ für den Top-Sprinter des Teams, Pascal Ackermann, ist ein „alter Bekannter“: Sam Bennett kehrt zurück. Der Ire fuhr bereits zwischen 2015 und 2019 für Ralph Denks Equipe. 2020 wechselte er zum Team Deceuninck–Quick-Step – und entwickelte sich zum erfolgreichsten Sprinter der World-Tour. 2020 gewann er sieben Rennen, darunter zwei Etappen der Tour de France, bei der er sich auch das Grüne Trikot des besten Sprinters sicherte. In diesem Jahr ging er wegen gesundheitlichen Problemen nicht an den Start der Tour. Was sein Teamchef Patrick Lefevere – neben seiner Rückkehr zu Bora-Hansgrohe – öffentlich kritisierte.

Bennett bringt den Neuseeländer Shane Archbold mit, der wohl primär in seinem Sprintzug eingesetzt werden wird. Gleiches gilt für einen weiteren Zugang: Der Niederländer Danny van Poppel galt lange als ein Sprinter-Top-Talent. Der heute 28-Jährige fuhr eine starke Saison: Er gewann 2021 zwar „nur“ zwei Rennen – fuhr aber 28 Mal in die Top Ten.

Österreichischer Block

Marco Haller, zuvor bei der Equipe Bahrain-Victorious, wird nach Felix Großschartner, Patrick Konrad, Patrick Gamper und Lukas Pöstlberger der fünfte Österreicher im aktuellen Kader sein. Auch er ist endschnell. Der 30-Jährige hat viel Erfahrung und ein „gutes Auge“. Er könnte sowohl bei Klassikern als auch in den Sprint-Vorbereitungen sowie als „Capitaine de Route“ wertvoll werden.

Von Trek-Segafredo kommt Sam Bennetts irischer Landsmann Ryan Mullen neu ins Team. Er ist vor allem als starker Zeitfahrer bekannt. Der jüngste Fahrer des Teams wird künftig der erst 18-jährige Belgier Cian Uijtdebroeks sein, der es vom Junioren-Nachwuchsteam Auto Eder direkt in die erste Liga geschafft hat. Uijtdebroeks hat sich schon als Junior mit Siegen bei Kuurne-Brüssel-Kuurne und der Classique des Alpes einen Namen gemacht. Er war Sechster der Junioren-WM in Belgien und ist der amtierende Vize-Zeitfahr-Europameister sowie belgischer Zeitfahr-Junioren-Meister. Die Zahl seiner Saisonrennen 2021: 20. Die Zahl seiner Siege: sechs. Die Zahl seiner zweiten Plätze: sechs. Experten bescheinigen ihm ein ähnliches Leistungsvermögen wie seinem Landsmann Remco Evenepoel.

Luis-Joe Lührs überspringt die U23

Der zweite Fahrer aus dem Nachwuchskader, der einen Profivertrag erhielt, ist ebenso jung – 18 Jahre: Luis-Joe Lührs. „Wir hatten bisher ja vor allem internationale Neuzugänge präsentiert, aber natürlich ist es uns wichtig, als deutsches Team auch entsprechend viele deutsche Fahrer im Kader zu haben. Durch unser U19-Team Auto Eder leisten wir da ja auch viel an Nachwuchsarbeit und darum freut es mich sehr, dass wir Luis-Joe nun eine Chance bei Bora-Hansgrohe geben können. Wohin er sich als Rennfahrer entwickeln kann, werden wir erst sehen, aber er hat in jedem Fall die nötigen Anlagen und auch das Rüstzeug, um sich zu etablieren“, sagte Ralph Denk.

Auch Lührs „überspringt“ somit die komplette U23-Klasse und wechselt direkt von den Junioren in die World-Tour. Die deutsche Abteilung verstärkt ab 2022 auch der Rottweiler Jonas Koch, der von dem belgischen Team Intermarché-Wanty-Gobert zu Bora-Hansgrohe wechselt.

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Die etablierten Kräfte um Nils Politt werden beim Team Bora-Hansgrohe auch weiterhin eine tragende Rolle spielen

Die etablierten Fahrer beim Team Bora-Hansgrohe

„Er ist ein hervorragender Allrounder, den wir auf vielen Terrains und in unterschiedlichen Rollen einsetzen können. Jonas wird eine wichtige Stütze sein“, sagt Denk. Auch die etablierten Fahrer des Teams werden weiterhin wichtige Rollen spielen. Unter anderem die vier deutschen „Säulen“ der Equipe: Nils Politt, Maximilian Schachmann, Emanuel Buchmann, Lennard Kämna.

Doch nicht nur bei den Fahrern, sondern auch in der sportlichen Leitung findet ein personeller Umbruch statt: Demnach sollen die langjährigen Sportdirektoren Enrico Poitschke, André Schulze und Steffen Radochla künftig nicht mehr zum Team gehören. Sie sollen durch Rolf Aldag, Torsten Schmidt und den Schweizer Enrico Gasparotto ersetzt werden. Das Team Bora-Hansgrohe hat sich neu aufgestellt, neu ausgerichtet und „zukunftsfest“ gemacht. In dem neuen Kader ist extrem viel Potenzial vorhanden – es muss nur gehoben beziehungsweise entwickelt werden.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2021Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.


Team Bora-Hansgrohe: Die Zugänge zur Saison 2022

Shane Archbold | 32 | Neuseeland

Voriges Team: Deceuninck – Quick-Step

Fahrertyp: Sprint-Anfahrer

Erfolge:

  • Neuseeländischer Straßenmeister 2020

Sam Bennett | 31 | Irland

Voriges Team:    Deceuninck – Quick-Step

Fahrertyp: Sprinter

Erfolge:

  • 2 Etappensiege + Grünes Trikot Tour de France 2020
  • 3 Etappensiege Giro 2018
  • 5 Etappensiege Paris-Nizza

Marco Haller | 30 | Österreich

Voriges Team: Bahrain-Victorious

Fahrertyp: Allrounder, Klassikerspezialist

Erfolge:

  • Gesamtsieger Tour des Fjords
  • Etappensieger Österreich-Rundfahrt

Sergio Higuita | 25 | Kolumbien

Voriges Team: EF Education Nippo

Fahrertyp: Bergfahrer

Erfolge:

  • Etappensieger Vuelta 2020
  • Gesamtsieger Kolumbien-Rundfahrt 2020
  • Paris-Nizza 2020

Jai Hindley | 25 | Australien

Voriges Team: Team DSM

Fahrertyp: Rundfahrer

Erfolge:

  • 2. und Etappensieger Giro d`Italia 2020
  • Gesamt-2. Polen-Rundfahrt 2019

Jonas Koch | 28 | Rottweil

Voriges Team: Intermarché – Wanty – Gobert Matériaux

Fahrertyp: Allrounder

Erfolge:

  • Deutsche Straßenmeisterschaft 2021

Luis-Joe Lührs | 18 | München

Voriges Team: Auto Eder

Fahrertyp: Zeitfahrer, Allrounder

Erfolge:

  • EM Junioren Mannschaftsverfolgung 2020
  • DM Zeitfahren Junioren 2020

Ryan Mullen | 27 | Irland

Voriges Team: Trek-Segafredo

Fahrertyp: Zeitfahrer, Rouleur

Erfolge:

  • 4 x irischer Meister im Einzelfahren
  • WM Einzelzeitfahren 2016

Danny Van Poppel | 27 | Niederlande

Voriges Team: Intermarché – Wanty – Gobert Matériaux

Fahrertyp: Sprinter, Anfahrer

Erfolge:

  • Etappensieger Vuelta 2015
  • Etappensieger Polen-Rundfahrt 2017
  • Egmont Race 2021

Cian Uijtdebroeks | 18 | Belgien

Voriges Team: Auto Eder

Fahrertyp: Zeitfahrer, Rundfahrer

Erfolge:

  • Kuurne-Brüssel-Kuurne Junioren
  • EM-Einzelzeitfahren Junioren 2021

Aleksandr Vlasov | 25 | Russland

Voriges Team: Astana – Premier Tech

Fahrertyp: Allrounder, Rund- & Bergfahrer

Erfolge:

  • Giro d`Italia 2021
  • Paris-Nizza 2021
  • Tirreno-Adriatico 2020
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