King of the Mountains
Stilsfer Joch: Rennrad bezwingt den König der Alpenpässe
in Race
Mit der Elf ändert sich alles. Plötzlich prangt sie vor mir. Rechts auf einem blechernen Schild am Straßenrand: Eine Eins und daneben noch eine: 11. Mein Helm hängt schief auf meinem Kopf, die Brille ist verschwitzt, verdreckt, beschlagen. Sie klebt an meiner Nase. Eine dicke, schmierige Salzschicht fixiert sie vor meinen Augen. Vor wenigen Stunden noch rutschte sie auf einem Film aus Sonnencreme immer tiefer. Inzwischen ist der Schweiß, der literweise von meiner Stirn und den Augenbrauen über die Brillengläser und an der Nase entlanglief, geronnen. Die Sonnencreme ist weggewaschen. Doch das Schild kann ich erkennen, und vor allem: Ich kann es verstehen. Elf Kilometer noch bis zum Gipfel. Bis zum Ende des Leids. Bis zum höchsten Punkt des Stilfser Jochs. Diese verfluchte Zahl, Elf, bedeutet meinen Untergang.
Tempowechsel
Mein Blick geht zwischen meinen am Oberlenker verkrampften Händen und dem verschmierten Bildschirm meines Radcomputers hin und her. Er streift immer wieder zwischen den unrund pedalierenden Beinen hindurch, hinunter auf die Kassette. Ich will es nicht glauben, aber es stimmt: Die Kette läuft, langsam, ganz links – auf dem kleinen Kettenblatt, auf dem größten Ritzel. Kein Reservegang, kein Runterschalten, keine Entlastung. Durchdrücken, obwohl ich keinen Druck mehr habe. Elf Kilometer sind es noch bis zum Gipfel, bis zu einem der höchsten mit dem Rennrad befahrbaren Orte der Alpen. Elf Kilometer sind es noch bis auf 2758 Meter über dem Meer. Der Stelvio ist ein Sehnsuchtsort fast aller Rennradfahrer. Eine Herausforderung. Ein Endgegner. Und mein Ziel heute, bei diesem Rennen, bei diesem Radmarathon: dem Granfondo Stelvio Santini.
Elf Kilometer, das ist eine Strecke, die bei kaum einer Runde Probleme bereitet. Aber heute, hier an diesem Bergmassiv im Nationalpark zwischen Vinschgau, Münstertal und Veltlin, sind diese elf Kilometer mehr als nur ein Problem: Sie sprengen meinen Plan, sie zerstören meine Zuversicht. Die Straße vor mir türmt sich auf – eine Wand mit 14 Prozent Steigung. Es ist nur ein kurzes Stück, ich wäre zuversichtlich, wenn es das einzige Steilstück bliebe. Wenn ich nicht genau jetzt den ersten Krampf tief in der rechten Kniekehle spürte. Wenn ich noch herunterschalten könnte.
Weg von Bormio
Immer wieder habe ich mir in den vergangenen Tagen eingeredet: Die Auffahrt von Bormio ist die angenehmste Auffahrt zum Stilfser Joch – 21,5 Kilometer und eine durchschnittliche Steigung von sieben Prozent. Nur aus Respekt vor dem Stelvio, dem König der Pässe, bezeichne ich diese Auffahrt im beruhigenden Selbstgespräch nicht als Rollerberg. Aber diese sieben Prozent sind eben nur der Durchschnitt. Die Abweichung von der Norm, das sind diese 14 Prozent, die ich jetzt sehe, die ich jetzt spüre. 14 Prozent – das ist nicht außergewöhnlich, das ist nicht unfahrbar. Aber ich hatte nicht mit ihnen gerechnet, ich hatte sie verdrängt und vergessen. Jetzt muss ich aus dem Sattel gehen, mein Körpergewicht in die Pedale drücken, am Lenker ziehen. Vor mir sehe ich Fahrer, die absteigen müssen. Menschen sitzen neben ihren Fahrrädern. Ich will mich dazusetzen. Doch ich fahre weiter. Meter für Meter. Die, die hier absteigen, blicken hinunter auf die Täler, die Bormio umgeben: Valdidentro, Valdisotto und Valfurva. Sie sehen die Tunnel, die zu unserer Linken in den Berg geschlagen sind, sie blicken auf die ersten Serpentinen unter uns. Mit einer Mischung aus Mitleid und Neugierde blicken sie mir nach.
Ich sehe, dass die Straße vor mir wieder flacher wird. Ich schalte hoch, erhöhe die Frequenz. Und ich tue, was eben noch undenkbar schien: Ich schalte einen Gang hoch. Aber ich sehe auch: Ein neues Schild, eine neue Zahl. Zehn Kilometer sind es noch bis ins Ziel. Ich sehe meinen Plan scheitern. Mein Computer zeigt: Ich bin schon seit mehr als viereinhalb Stunden unterwegs. Ich beginne zu rechnen und sehe meine Ziele in Gefahr.
Stilsfer Joch „anständig“ hochfahren
Mein Ziel war keine konkrete Zeit, keine Platzierung. Ich wollte: Den Stelvio „anständig“ hochfahren. Mit einem noch runden Tritt. Und nicht so, wie ich mich immer wieder erlebe: Am Ende meiner Kräfte, mit wankenden Schlangenlinien die Steigung ausgleichend.
Ich wollte vor allem: Auf der mittellangen Strecke des Granfondo Stelvio ins Ziel kommen, bevor die Schnellsten auf der langen Strecke an der Passhöhe eintreffen. Ich beginne zu rechnen und bemerke, dass nichts mehr schiefgehen darf. In den vergangenen Jahren benötigten die Schnellsten rund fünfeinhalb Stunden für die lange Strecke. Für die letzten zehn Kilometer bleibt mir noch eine Stunde. Nicht mehr unter zehn Stundenkilometer kommen, und mein Plan geht doch noch auf.
43,9 Stundenkilometer
Die letzte und die erste Stunde des Radmarathons könnten kaum unterschiedlicher sein. Um sieben Uhr morgens klicke ich nach dem Startschuss bei zwölf Grad, mit Armlingen und Weste bekleidet, in die Pedale ein. Ich fahre über die blaue Matte, unter der ein Zeitnahme-Sensor meinen Transponder mit einem langen Piepen erkennt. Es beginnt eine lange Abfahrt. Mal in steilen und gemäßigten Geraden, mal in ein paar Kurven. Den Freilauf in Richtung Sondrio im Südwesten unterbricht nur die Ortsdurchfahrt von Sondalo, mit Kopfsteinpflaster und einem kleinen Gegenanstieg. Nach einer Stunde habe ich die ersten 43,9 Kilometer des Rennens hinter mir. Diese Zahl, und das kann ich kaum glauben, steht für meine aktuelle Durchschnittsgeschwindigkeit – bei einer nur sehr geringen Wattleistung auf den Pedalen.
Dann aber geht es in Bianzone nach 46 Kilometern in die erste Steigung des Tages, und mit der Hochgeschwindigkeit ist es vorbei. Der Anstieg nach Teglio hat auf sechs Kilometern 402 Höhenmeter. Seine Kuppe mit der ersten Verpflegungsstation durchfahre ich im Ort. Zuvor geht es auf einer schmalen, sehr unrhythmischen und bis zu 19 Prozent steilen Straße mal durch dichten Wald, mal durch Apfelplantagen und Weinfelder. Für mich ist der Anstieg nach Teglio heute nicht mehr als eine Kuppe, die den Wendepunkt des Rennens markiert und die vor allem dazu dient, die Summe der Höhenmeter des Tages über die nächste Tausender-Zahl zu heben.
137,9 Kilometer und 3053 Höhenmeter
Angst hat vor dem Teglio wohl niemand, nicht heute. Wenn der Stelvio der König ist, dann ist der Teglio der Diener. Auch wenn er wirklich steil ist. Ich fahre ruhig und überhole viele der insgesamt 3000 Fahrer. Die meisten kommen nicht aus Italien, sondern aus 44 anderen Ländern, viele aus Belgien, aus den Niederlanden und aus Großbritannien. Meine Herausforderung heute: 137,9 Kilometer und 3053 Höhenmeter. Auch auf der langen Runde, dem „percorso lungo“ mit 151,3 Kilometern und 4058 Höhenmetern, geht es vor allem um den Anstieg zum Stelvio.
Auch hier ist der Teglio kaum mehr als eine schöne, kleine Gemeinheit, bei der sich zum ersten Mal das Laktat in den Beinen staut.
Zurück nach Bormio
Ich pedaliere im Tal, auf dem Rückweg nach Bormio, nur gegen eine leichte Steigung, meist auf dem 53er-Kettenblatt, so schnell und kraftsparend wie möglich in Richtung Stelvio. Die Fahrer, die die lange Strecke fahren, biegen hier ab. Sie stellen sich einer der größten Herausforderungen, die die Alpen zu bieten haben: dem Mortirolo. Auch seinetwegen ist das im Norden der Lombardei gelegene Veltlin das Ziel vieler Pässeliebhaber – obwohl der Talkessel von Bormio, an Graubünden und Südtirol angrenzend und von Pässen umgeben, schwer zu erreichen ist.
Ein weiterer Radsport-Höhepunkt am Nationalpark Stilfser Joch ist der Passo Gavia auf 2618 Metern. Die Auffahrt von Bormio hat 1401 Höhenmeter auf 26 Kilometern.
Mortirolo: Extrem
Der Mortirolo wird oft genannt, wenn es um die steilsten Anstiege des Profizirkus geht – in einer Reihe mit dem Monte Zoncolan in den Karnischen Alpen bei Udine oder dem Alto del Angliru in der spanischen Region Asturien. Beim Granfondo Stelvio fährt man den Mortirolo von Tovo aus. Auf 12,8 Kilometern überwindet man hier 1363 Höhenmeter. Die durchschnittliche Steigung liegt bei 10,7 Prozent, an den steilsten Stellen liegen die Werte bei mehr als 20 Prozent. Die Straße ist an vielen Stellen rau und schmal. Es ist einer der Berge, an dem die Übersetzung keine Frage des Geschmacks ist. Hier entscheidet die Übersetzung darüber, ob man den Berg überhaupt noch fahren kann – oder ob man absteigt und schiebt. Wer beim Granfondo nicht mit den Stärksten in den Mortirolo einfährt, der könnte auch mit der richtigen, ergo der kleinsten Übersetzung hier zum Stehen kommen. Wenn es sich staut, weil andere hier absteigen müssen. Vor allem wegen des Mortirolos gilt die lange Runde des Granfondo Stelvio als einer der härtesten Radmarathons überhaupt.
Hier, wo sich die Strecke teilt, gibt es eine Verpflegungsstation. Hier teilt sich auch das Feld. Weil neben mir nur weniger als 800 Fahrer auf der Mittel-Distanz ins Ziel kommen werden, wird es von hier an ein einsamer Rückweg nach Bormio. Ich fahre lange alleine, ich fahre lange im Wind. Mal wollen Mitfahrer nicht die Führung übernehmen, mal fahren sie zu schnell, mal zu langsam. Es ist das Dilemma, das die „Marathons“ der Rennradfahrer von denen der Läufer unterscheidet: Bei beiden Veranstaltungen geht es zwar den meisten Teilnehmern darum, das eigene Tempo zu finden, die eigene Kraft einzuteilen und eine möglichst gute Zielzeit zu erreichen.
Doch auf dem Rad spielt der Windschatten eine noch viel größere Rolle. Da die meisten Fahrer als Einzelstarter unterwegs sind, muss sich niemand für den anderen aufopfern. Idealerweise findet sich eine Gruppe ähnlich starker Fahrer und teilt sich die Führungsintervalle. Es ist ein soziologisches, ein psychologisches Experiment. Ein Experiment in einer Situation, in der es für die Einzelnen viel zu verlieren gibt.
Granfondo Stelvio: Nur die Anstiege zählen
Viele Radsportler fahren nur einige Granfondos im Jahr, jeder einzelne ist ein Höhepunkt, auf den sie ihre Saison ausrichten. Wer will da seine Kräfte auf einem Flachstück verpulvern, nur damit andere im Windschatten entspannen und ihn am Schlussanstieg überholen? Schlechte Laune und Beschimpfungen sind in den Flachstücken keine Seltenheit. Auch heute funktionieren die Gruppen selten, aber ich finde einen Mitstreiter, zumindest solange ich sein Tempo mitgehen kann. Dann lasse ich ihn ziehen. Oben im Ziel werde ich ihn später wieder treffen, mich bedanken. Ich habe das Gefühl, dass ich von seiner Stärke etwas zu viel profitiert habe.
„No, no“, meint er. Er müsse sich bei mir bedanken: dem einzigen Fahrer, mit dem er sich die Arbeit im Tal zumindest eine Zeit lang teilen konnte. Eigentlich könnte ich mir im Flachen hier Zeit nehmen, Energie sparen: Denn beim Granfondo Stelvio werden nur die Zeiten an den Anstiegen gewertet, eine Rangliste der Gesamt-Streckenzeiten veröffentlichen die Veranstalter nicht – auch um riskante, schnelle Fahrweisen in den Abfahrten zu vermeiden. Also: Bergzeitfahren. Umso attraktiver ist die kurze Strecke des Granfondo: einige Kilometer einrollen und dann den Stelvio hinauf, so schnell es geht.
Lawinen am Stilsfer Joch sprengen
Lange bevor ich wieder in Bormio bin, sehe ich vom Ad-da-Tal aus die Berge in der Umgebung des Ortlers, dem mit 3905 Metern höchsten Berg der gesamten Region Tirol: Und ich sehe den Kessel, in dem sich die Serpentinen befinden, die ich kaum erwarten kann. Ich schwitze, trete, esse einen Riegel, drücke mir Gels in den Mund und spüle die Süße mit ebenso süßem Getränk hinunter. Ich blicke hinauf auf die vielen Gipfel mit knapp 4000 Metern Höhe, während ich mich auf den Anstieg vorbereite – mental und kalorisch. Ich sehe die Baumgrenzen, sehe die Gletscher und die letzten Schneereste des Winters.
Es ist Anfang Juni, erst seit wenigen Tagen haben die meisten hohen Passstraßen wieder geöffnet. Von alleine schmilzt der Schnee oft nicht früh genug. Um den Stelvio-Pass sicher befahrbar zu machen, sprengen die Straßenarbeiter Lawinen oberhalb der Straßen ab – damit diese nicht später ungeplant abgehen können. Anschließend fräsen Räumfahrzeuge den Asphalt frei. Übrig bleiben an den Seiten häufig noch meterhohe Schneewände, die auch im Frühsommer spürbare Kälte abgeben, wenn man an ihnen vorbeifährt.
Bei Fausto Coppi
In Bormio geht es über Kopfsteinpflaster, vorbei an Menschenmengen, die jeden Granfondo-Hobbyfahrer feiern wie einen italienischen Radsportnationalhelden, wie einen Fausto Coppi, wie einen Marco Pantani, wie einen Vincenzo Nibali. Es geht vorbei an der berühmten Therme, vorbei an Schildern, die auf die heißen Thermalquellen hinweisen, welche die Becken der Kurbäder speisen. Es geht schnell hinein in den Nationalpark Stilfser Joch. Die meisten Fahrer halten sich an das hier besonders ausdrückliche Verbot, Gel- und Riegelverpackungen einfach auf die Straße fallen zu lassen, das Teilnehmer-Trikot hat ein Extra-Fach für klebrigen Verpackungsabfall. Zehn Kilometer vor dem Ziel zweifle ich noch, aber ich erhole mich. Gute fünf Kilometer vor dem Ziel ist die Steigung kaum zu spüren, ich fahre schnell, ich überhole Fahrer, die hier einbrechen. Aber hier bin ich nun auch auf mehr als 2500 Metern über dem Meer, es fühlt sich an, als hätte man der Luft die Sauerstoffzufuhr abgedreht.
Als hätte man mir die Sauerstoffzufuhr abgedreht. Ich fahre trotzdem schnell weiter, atme schneller und tiefer und lauter. Drei Kilometer vor dem Ziel geht es in die letzten Serpentinen. Der Weg gabelt sich, ich biege scharf rechts ab, bei einem der wohl bekanntesten der roten Cantoniera-Häuser, wie sie in ganz Italien als Straßenbau-Quartiere errichtet wurden. Von links trifft hier die Auffahrt vom Schweizer Umbrailpass auf meinen Weg hinauf zum Stelvio. Hier ist die Passhöhe zwar zu sehen, aber noch viel zu weit entfernt, um final zu beschleunigen. Mit jedem Höhenmeter, mit jedem Atemzug erscheint mir die Luft dünner. Ich beschleunige trotzdem noch einmal, fahre vorbei an Schneewänden. Neben mir ist eine Loipe gefräst, ein älterer Langläufer stößt sich mit schweren Doppelstockschüben durch das Schneefeld.
Pietro Santini grüßt
Eine letzte Kurve, ich beschleunige auf der Geraden und fahre nach 36 Serpentinen durch den Zielbogen. Geschafft, die Zeit des Zweifelns ist vorbei. Oben steht Pietro Santini, der Gründer der italienischen Radsport-Bekleidungsmarke, die als Sponsor dem Granfondo den Namenszusatz verleiht.
Er gratuliert mir wie jedem einzelnen Fahrer, der es auf die Passhöhe am Denkmal für Fausto Coppi schafft, den „Campionissimo“, die ewige italienische Radsportlegende.
Schnee im Sommer
Santini steht da wie eine Statue: Ein ruhiger, älterer Herr im grauen Anzug schüttelt die von Sportgetränken, Gels und Schweiß verklebten Hände der Rennradfahrer, die auf wackligen Beinen mit viel zu wenig Sauerstoff im Kreislauf ihre Räder durch den Zielbereich schieben. Mit fahrigen Bewegungen verhaken sie ihre Lenker und Schaltwerke. Sie entschuldigen sich überhöflich für jede kleine Kollision, es ist eine Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen, über die geteilten Leiden, über die geteilten Freuden, über den kollektiven Stolz am Stelvio. Abklatschen, Händeschütteln: das Gemeinschaftsgefühl ist stark unter jenen, die gerade gemeinsam den Stelvio erklommen haben, zum ersten oder zum zehnten Mal – oder mit einer neuen persönlichen Bestzeit am König der Pässe.
Stilsfer Joch: Serpentinen
Wie oft, wie immer, wenn ich hier bin, herrscht am Pass Hochbetrieb. Souvenirläden, Bratwurststände, Ski-Teams mit riesigen Equipment-Taschen, die im Sommer auf den Pisten am immer kleiner werdenden Gletscher trainieren. Und dazwischen ich, ohne Kraft und ohne Nerven, verschwitzt in der Kälte und im Wind, der über die Passhöhe weht und an mir zerrt. Aber ich bin am Ziel, erleichtert bahne ich mir den Weg durch den hochalpinen Massentourismus . Ich blicke hinüber auf die Serpentinen der Auffahrt von Prad, hinunter ins Vinschgau, hinauf zum Ortler. Ich finde meinen Kleidersack, ziehe mich im geschützten Zelt warm an: Beinlinge, Jacke, Handschuhe, Mütze. Ich trinke einen Becher Tee, ich trinke einen weiteren und rolle dann hinab. Die meisten Fahrer stecken noch mitten im Anstieg, einige meditativ mit „leichten“ Gängen, andere zerren sich unruhig hinauf, ziehen am Lenker, werfen sich mit ihrem ganzen Körpergewicht in jeden ihrer ungleichmäßigen Pedaltritte. Es wird wärmer, die Luft enthält wieder mehr Sauerstoff, mit jedem Höhenmeter, den ich hinabrolle. Nach elf Kilometern komme ich an eine steile Stelle, 14 Prozent, ich muss stark bremsen. 14 Prozent, da war doch was, vor Ewigkeiten: meine eigene Verzweiflung bergauf. Lange ist es her – und schon fast vergessen.
Stilfser Joch: Anstiege & Werte
Bormio
Bormio liegt im Veltlin, auf Italienisch Valtellina, in der Lombardei. Die Stadt mit rund 4500 Einwohnern und die Gegend sind umgeben von Bergen, entsprechend ist die An- und Abreise zu planen. Mit dem Auto von München fährt man am besten in weniger als fünf Stunden über den Reschen- und den Umbrailpass, sollte dann aber prüfen, ob Letzterer schon befahrbar ist. Alternative Routen gibt es über den Brenner und den Vinschgau sowie über den Ofenpass und Livigno. Im Winter ist das auf 1225 Metern gelegene Bormio beliebt bei Wintersportlern. Im Sommer prägen neben den Kurgästen die Radsportler aus aller Welt das Stadtbild. Entsprechend sind auch Radläden, Leihstationen, Tourguides und Hotels auf Pässe-Fans vorbereitet.
Unser Tipp für Bormio: Hotel Funivia
Unsere Hotel-Empfehlung: Das Drei-Sterne-Hotel Funivia mitten in Bormio ist voll auf Radsport ausgerichtet. In der Garage gibt es einen Waschplatz mit Hochdruckreiniger. Der Fahrradraum mit Werkstatt ist mit Sicherheitstür ausgestattet. Der Hotelbesitzer Daniele Schena ist selbst aktiver Radsportler und führt seine Gäste mehrmals pro Woche auf Touren über die Pässe der Region. Im Untergeschoss des Hotels feiern Radsportler zwischen Renn-Memorabilia in der stilsicher eingerichteten Bar nach den Passtouren. Neben den alpenländisch-gemütlich eingerichteten Zimmern bietet sich auch der große und moderne Spa-Bereich zur Regeneration an.
Granfondo Stelvio Santini
Der Granfondo Stelvio Santini existiert erst seit 2012, und doch erscheint er bereits fast als Klassiker am ersten Sonntag im Juni. Es gibt drei unterschiedliche Strecken: Die längste mit 151 Kilometern und 4058 Höhenmetern führt zusätzlich über Teglio und den Mortirolo-Pass. Die mittlere Runde mit 138 Kilometern und 3052 Höhenmetern führt zusätzlich über Teglio. Die kurze Runde (60 Kilometer/1950 Höhenmeter) bietet vor der Stelvio-Auffahrt eine 40 Kilometer lange Strecke ohne schwierige Anstiege. Das Ziel ist an der Passhöhe des Stilfser Jochs, oben bekommen die Fahrer ihre vorbereiteten Kleidungsstücke für die Abfahrt. Weitere Events in der Stelvio-Region gibt es viele, etwa: Dreiländergiro Nauders, Mapei Re Stelvio, Haute Route Stelvio, Granfondo Gavia & Mortirolo, Radtag Stilfser Joch, Scalata Cima Coppi oder den Contador Day.
Stelvio von Bormio
- 21,6 Kilometer
- 1541 Höhenmeter
- 7 Prozent Steigung
Zeiten & Werte
Strava-KOM (ausgewähltes Segment)
Martin Toft Madsen:
- 1:10:58 Stunden
- 18,3 km/h
- 329 Watt
Bestzeit Herren Granfondo Stelvio 2018 (Abschnitt mit 1533 Höhenmetern)
Roberto Napolitano:
- 01:06:47
- 19,3 km/h
Bestzeit Damen Granfondo Stelvio 2018
Melanie Brunhofer:
- 01:18:45
- 16,4 km/h
Mortirolo von Tovo
- 12,8 Kilometer
- 1363 Höhenmeter
- 10 Prozent Steigung
Stilsfer Joch: Zeiten & Werte
Giro d’Italia 2017
Steven Kruijswijk:
- 36:25 Minuten
- 20,2 km/h
- 356 Watt
Bestzeit Herren Granfondo Stelvio 2018 (Abschnitt mit 1200 Höhenmetern)
Enrico Zen:
- 49:29 Minuten
- 15,3 km/h
Durchschnittlicher Amateur:
- 1:05 Stunden
- 11,4 km/h
- 200-250 Watt
Stelvio von Sta. Maria
- 16,4 Kilometer
- 1352 Höhenmeter
- 8 Prozent Steigung
Strava-KOM (ausgewähltes Segment)
Marcel Wyss:
- 56:13 Minuten
- 17,5 km/h
- Durchschnittsleistung: 324 Watt
Stelvio von Prad
- 24,3 Kilometer
- 1758 Höhenmeter
- 7 Prozent Steigung
Strava-KOM (ausgewähltes Segment)
Daan Vermeulen:
- 1:18:27
- 18,6 km/h
- Durchschnittsleistung: 271 Watt
L’Alpe d’Huez: Der legendäre Pass im Selbstversuch