Wissen ist Macht: Quereinstieg
Quereinsteiger: Wie ist ein Quereinstieg im Radsport möglich?
in Race
Radsport ist ein Sport der Spezialisten: Die meisten Top-Fahrer sind seit ihrer Jugend aktiv. Sie haben ihre Weltklasse-Form über Jahre hinweg aufgebaut und gelernt, wie man sich im Fahrerfeld bewegt. Nur wenige Quereinsteiger können sich in der Weltspitze etablieren. Doch es gibt sie: Fahrer wie Primoz Roglic und Michael Woods kamen als Top-Athleten aus anderen Sportarten, Skisprung beziehungsweise Mittelstreckenlauf, und haben sich spät im professionellen Radsport etabliert. Wie ist das möglich?
Der Radsport umfasst verschiedenste Disziplinen, die unterschiedliche Leistungen fordern. Bahnrennen beanspruchen teils enorme Sprintfähigkeiten mit bis zu 2500 Watt Maximalleistung. Eintagesrennen oder Rundfahrten setzen unter anderem eine enorme Ausdauer und eine schnelle Regeneration voraus. Straßenradsport wird oft zu den reinen Ausdauersportarten gezählt, wie auch der Marathonlauf oder der Triathlon. Doch diese Einteilung ist nur sehr allgemein. Zwar verlangen viele Radsport-Wettkämpfe eine gleichmäßige Belastung an der aerob-anaeroben Schwelle oder leicht darunter. Oft bildet sie die Hauptkomponente der Wettkampfleistung.
Im Straßenradsport gilt das vor allem für lange Zeitfahrwettkämpfe oder für Hochgebirgsetappen mit sehr langen Anstiegen. Bei den meisten Straßenrennen entscheiden aber andere Belastungen über Sieg oder Niederlage: Es sind extreme, hochintensive Phasen im Bereich über der aerob-anaeroben Schwelle sowie im submaximalen bis maximalen Intensitätsbereich. Der Radrennsport ist demnach kein reiner Ausdauersport, sondern eine komplexe Zusammensetzung vieler unterschiedlicher Faktoren der Kraft, der Schnelligkeit sowie der Ausdauer. Aufgrund dieser Unterschiede spezialisieren sich Radprofis entsprechend ihren körperlichen Voraussetzungen und ihren jahrelangen Trainingsschwerpunkten meist auf eine Fähigkeit.
Die verschiedenen Fahrertypen
Sprinter: Sie sind schnellkräftig mit sehr hohen Maximalkraftwerten. Beispiele: Marcel Kittel, André Greipel, Mark Cavendish.
Zeitfahrer: Sie sind meist eher kräftig gebaut, mit guter Kraftausdauer und einer sehr guten aerob-anaeroben Schwellenleistung. Beispiele: Tony Martin, Rohan Dennis, Vasil Kiryienka.
Bergfahrer: Sie sind meist Leichtgewichte mit einem sehr guten Verhältnis der Leistungsfähigkeit zum Körpergewicht. Beispiele: Nairo Quintana, Emanuel Buchmann, Egan Bernal.
Dazu gibt es praktische Kategorien: „Allrounder“ überzeugen häufig in Sprints und bei nicht zu bergigen Eintagesrennen, etwa Peter Sagan. „Rundfahrer“ sind meist gute Zeitfahrer und zugleich stark in den Bergen, was zum Beispiel auf Chris Froome zutrifft.
Sportarten-Vergleich
Eine der Hauptdeterminanten der Leistungsfähigkeit im Radsport ist die maximale Sauerstoffaufnahme: VO2max. Diese bezieht sich auf die Menge an Sauerstoff, die unter Vollbelastung maximal aufgenommen und verwertet werden kann. Eine hoher VO2max-Wert ist kein absoluter Indikator für die Höchstleistung in den meisten Radsport-Wettkämpfen – aber eine notwendige Grundvoraussetzung dafür.
Auch bei anderen Sportarten ist die maximale Sauerstoffaufnahme entscheidend. Wilmore und Costill ermittelten in ihrer Studie folgende Durchschnittswerte für Profisportler: Fußball: 54 – 64 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht. Skispringen: 58 – 63. Schwimmen: 50 – 70. Radsport: 62 – 90. Skilanglauf: 65 – 94.
Skilanglauf
Skilanglauf und Radrennsport stellen sehr ähnliche Anforderungen an die Athleten. Deshalb setzen auch viele Radprofis im Winter weiterhin auf das Training in der Loipe – beispielsweise die Franzosen Thibaut Pinot und Romain Bardet. Die VO2max-Werte der besten Langläufer liegen etwa auf dem Level der Radsport-Elite. Die norwegische Langlauflegende Björn Daehlie erreichte sogar einen VO2max-Wert von enorm hohen 96 – der höchste bislang jemals offiziell gemessene Wert. Lance Armstrong soll einen Wert von 84 erreicht haben.
Aufsehenerregend waren zuletzt die beeindruckenden Werte des 22-jährigen kolumbianischen Newcomers Egan Bernal: Er erreichte einen VO2max-Wert von 91. Langlaufwettbewerbe sind zwar meist deutlich kürzer als Radrennen, dafür erfordern sie über den Zeitraum von etwa 20 Minuten bis zu zwei Stunden eine oftmals maximale dauerhafte Ausbelastung. Für das Herzkreislaufsystem ist das Langlauftraining besonders effektiv, da im Vergleich zum Radtraining deutlich größere Teile der Muskulatur gleichzeitig durchblutet werden müssen. So liegt auch die Herzfrequenz in vergleichbaren Trainingsbereichen häufig um etwa 20 bis 30 Schläge höher. Durch die Beteiligung der Arm- und Rumpfmuskulatur stärkt man zudem die Oberkörperstabilität.
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Skispringen
Radprofis müssen Belastungen von mehreren Stunden täglich teilweise über Wochen hinweg aushalten. Ein Sprung von der Schanze dauert nur wenige Sekunden. Entscheidend für Skispringer sind die Absprungkraft und die Körperstabilität bei möglichst geringem Wettkampfgewicht. Auf diese Fähigkeiten wird das Training spezifiziert. Die Optimierung der Rumpf- sowie der Beinstabilität steht im Vordergrund, ebenso verschiedenste Maximalkraft- und Sprungvariationen.
Diese Trainingselemente können auch die Radleistung verbessern. Ein geringes Körpergewicht ist bei Skispringern notwendig und auch bei Radsportlern in Relation zur Leistung am Anstieg entscheidend. Eine ausgeprägte Rumpfstabilität hilft dabei, die eingesetzte Kraft effizient auf die Pedale zu übertragen. Die größte Herausforderung für Quereinsteiger aus dem Skisprung ist es aber, die Ausdauer zu erlangen sowie eine effiziente Tritttechnik und die Renntaktik im Radsport zu erlernen.
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Laufen
Langstreckenläufer zeichnen sich in der Regel durch hervorragende Ausdauerwerte aus. Für sie ist es entscheidend, im aeroben Bereich unterhalb der Laktatschwelle hohe Leistungen zu bringen. Verzögerungen oder Taktikelemente wie im Radsport bleiben meist aus. Die Wettkampfbelastung ist am ehesten mit der bei einem Zeitfahren vergleichbar. Es wird ein konstant hohes Tempo angeschlagen. Um dies zu erreichen, ist für Läufer eine hohe Schwellenleistung essenziell. Nur so können die Athleten bei hohem Tempo einen Leistungseinbruch verhindern – sie können ihr Wettkampftempo ohne Sauerstoffschuld und ohne zu hohe Laktatproduktion durchhalten.
Das gilt für viele Wettkämpfe auf Langstrecken. Allerdings werden Distanzen wie etwa über 3000 Meter auch in hohem Maße oberhalb der Schwelle absolviert. Der Athlet geht dabei in den letzten Minuten eine teilweise erhebliche Sauerstoffschuld ein, die Laktatwerte steigen extrem. Solche Rennen sind für das Herzkreislaufsystem vergleichbare Belastungen wie kurze Zeitfahren oder harte Finalphasen in Radrennen. Die Herzkreislaufbelastung beim Laufen ist der im Radsport ähnlich. Somit werden auch die VO2max-Werte auf ähnlich hohem Niveau trainiert. Doch die muskuläre Beanspruchung ist sehr unterschiedlich.
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