Ötztaler Radmarathon 2019: Die Analyse
Ötztaler Radmarathon 2019: Leistungsdaten, Leistungsmessung, Analyse
in Race
Beim Ötztaler Radmarathon 2019 herrschten für viele Fahrer optimale Bedingungen, um ihre beste Leistung herauszukitzeln. Wie gut gelang ihnen das? Woran haperte es im Zweifel. RennRad erklärt Details zur Leistungsmessung und zeigt die Leistungsdaten und -analyse von vier Fahrern: Markus Hertlein, Jonas Leefmann, Felix Hegar und Lisa Brunnbauer.
Leistungsmessung beim Ötztaler Radmarathon
Leistung, Power, Watt: Bei Wettkämpfen wie Radmarathons führt meist eine möglichst konstante und hohe Dauerleistung zum Erfolg. Hierfür gilt die Wattleistung als entscheidender und verlässlicher Parameter zur Steuerung der Intensität. Diese lässt sich mit einem am Rennrad verbauten Leistungsmesser, einem sogenannten Powermeter, erheben. Er kommuniziert via ANT+ oder Bluetooth mit einem Radcomputer.
Es gibt verschiedene Powermeter-Systeme. Klassischerweise arbeiten sie mit Dehnmessstreifen. Diese länglichen Sensoren sind meist an den Kurbeln angebracht und erkennen selbst minimale Verformungen des Materials. Sind sie richtig kalibriert, kann anhand dieser gemessenen Materialverformung die Leistung des Fahrers errechnet werden. Powermeter können außer im Kurbelarm auch in der Hinterradnabe, am Kettenblatt-Spider oder in den Pedalen verbaut werden.
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Garmin Vector im Test
Für unsere Analyse der Ötztaler-Werte nutzten wir die Vector-3-Pedale von Garmin. Ein Vorteil von Pedal-Powermetern ist, dass sie wie „normale“ Pedale schnell zwischen unterschiedlichen Rädern getauscht werden können. Auch die Montage erfolgt extrem schnell und einfach. Zudem lässt sich damit stets die Effizienz der Links-Rechts-Kraftverteilung beim Pedalieren überwachen.
Die Messgenauigkeit gibt Garmin mit +/- einem Prozent an. Mit 316 Gramm ist das Mehrgewicht im Vergleich zu Standard-Pedalen gering. Unsere Tester hatten die Vector 3 über Wochen, teils Monate hinweg im Einsatz – ohne Mängel oder Ausfallerscheinungen. Die Vector sind mit Look-Kéo-Schuhplatten kompatibel. Der Preis pro Paar beträgt 899,99 Euro.
Mehr Informationen über die Vector-3-Pedale von Garmin erhalten Sie auf der offiziellen Website.
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Leistungsanalyse vom Ötztaler Radmarathon: Die Strecke
Sölden (1377 Meter) – Längenfeld – Umhausen – Oetz (820) – Kühtai (2020) – Kematen (610) – Völs – Innsbruck (600) – Sonnenburgerhof – Schönberg – Matrei am Brenner – Steinach am Brenner – Gries am Brenner – Brenner (1377) – Sterzing – Jaufenpass (2090) – St. Leonhard im Passeiertal – Timmelsjoch (2509) – Sölden (1377 Meter)
Leistungsanalyse: Begriffsklärung
- FTP: Functional Treshold Power, funktionelle Schwellenleistung – die maximale Leistung, die ein Athlet theoretisch über einen Zeitraum von einer Stunde konstant erbringen kann. Sie dient häufig als Orientierungswert für das Pacing. Die FTP lässt sich in Leistungsdiagnostiken oder durch einen selbst durchgeführten 20-Minuten-Belastungstest sowie etwa durch eine Automatik-Funktion auf der Online-Trainingsplattform Zwift ermitteln. Die Formel: Man multipliziert die 20-Minuten-Durchschnittswattleistung mit 0,95.
- FTP (rel.): steht hier für das Verhältnis der FTP-Watt-Leistung zum Körpergewicht. Dieses ist entscheidend für die Leistungsfähigkeit an Anstiegen.
- NP: Normalized Power, die gewichtete Wattleistung.
- W/Kg: Watt pro Kilogramm Körpergewicht.
- Hf: Herzfrequenz in Schlägen pro Minute.
Der Experte: Markus Hertlein analysiert die Ötztaler-Leistungsdaten
Markus Hertlein, 26, ist Sportwissenschaftler. Er absolvierte sein Sportstudium aus Liebe zu den Bergen in Salzburg. Sein Wissen kombiniert er mit Leidenschaft für den Radsport und Jahren der Rennerfahrung, was sich etwa in einer Ötztaler-Zeit von 7:07 Stunden zeigt. Er arbeitet in München als Trainer für Radsportler und Triathleten. www.wattschmiede.at | facebook.com/wattschmiede
Markus Hertlein: Analyse der Leistung beim Ötztaler Radmarathon 2019
Alter | 26 |
Gewicht | 58,8 kg |
FTP (abs.) | 310 |
FTP (rel.) | 5,27 |
Zeit | 07:07:24 |
NP | 235 |
Einordnung des Experten Markus Hertlein
„Mein Knackpunkt: der Brenner. Ähnlich wie viele andere Starter des Ötztaler Radmarathons habe ich hier deutlich überzogen. Die Umstände mit der Position in der Spitzengruppe waren sicherlich besonders, aber das Phänomen ist typisch für den Ötztaler Radmarathon: Die Gruppe am Brenner fährt zu schnell, aber zurückfallen lassen will man sich nicht. Bei mir kommt hinzu, dass die Gruppe den gesamten Brenner über gekreiselt ist und ich damit zusätzlich dauerhaft an der Führungsarbeit beteiligt war.
Die Durchschnittsleistung mit 243 Watt bei einer Schwellenleistung von 310 Watt wirkt auf den ersten Blick zwar nicht enorm hoch. Doch entscheidend ist, wie sich diese Leistung zusammensetzt. Ich wechselte dauerhaft zwischen 270 bis 300 Watt, also knapp unter der Schwelle während der Führungsarbeit, und lockeren 150 bis 200 Watt im Windschatten.
Ein Parameter, der meine hohe Belastung deutlich besser darstellt, ist die Herzfrequenz. 162 Schläge pro Minute im Durchschnitt, bei einer Schwellenherzfrequenz von 169, ist sehr intensiv – wohl zu intensiv. Auch wenn ich mich in diesem Moment noch „sehr stark“ fühlte und im Anschluss sogar noch die ersten 15 Minuten des Jaufens mit den Top-3-Fahrern mithalten konnte. Die Rechnung für die Aktion am Brenner bekam ich viel später: am Timmelsjoch. 229 Watt und eine Herzfrequenz von 159 zeigen den Einbruch. Am Kühtai waren es noch 275 Watt, am Jaufen 276 Watt.“
Jonas Leefmann: Analyse der Leistung beim Ötztaler Radmarathon 2019
Alter | 37 |
Gewicht | 72,3 kg |
FTP (abs.) | 320 |
FTP (rel.) | 4,43 |
Zeit | 08:10:15 |
NP | 237 |
Einordnung des Experten Markus Hertlein
„Jonas paced das Rennen sehr gut. Die im Vorfeld mit seinem Trainer erarbeitete Rennstrategie setzt er bis zum Jaufenpass nahezu perfekt um. Mit 88 Prozent der Schwellenleistung, 284 Watt am Kühtai, 72 Prozent, also 233 Watt am Brenner, und 83 Prozent, also 268 Watt, am Jaufenpass läuft alles nach Plan. Er kann die Werte gut einhalten.
Leider bekommt Jonas mit Fortdauer des Rennens immer mehr Probleme mit seinem Magen. Er muss sich schon am Brenner zwingen, feste Nahrung zuzuführen, und irgendwann sind auch Gels keine Option mehr, da er sie nicht bei sich behalten kann. Das rächt sich im zweiten Teil des Timmelsjochs. In der ersten Hälfte reicht es noch zu guten 248 Watt und er kommt bei knapp über 6,5 Stunden zur Verpflegung in der Schönau an. Mit weiterhin 240 bis 250 Watt und rund 3,5 Watt pro Kilogramm Körpergewicht hätte es noch für eine Zeit von unter acht Stunden gereicht. Doch nun kommt der „Mann mit dem Hammer“.
Aufstieg nagt an der Motivation
Nach der Verpflegung in Schönau reichen seine Energiereserven „nur“ noch für 203 Watt. Der Puls fällt von 140 auf 130 Schläge im Schnitt und er braucht noch über 50 Minuten bis zum Gipfel. Mit etwa 60 bis 65 Prozent der Schwellenleistung ist das nur mehr der untere Grundlagenbereich und auch der Puls mit 130 Schlägen im Durchschnitt zeigt, wie erschöpft Jonas zum Ende des Rennens war.
Zusätzlich nagt der Aufstieg an seiner Motivation: Er erkennt, dass er eine Zeit unter acht Stunden mit dieser Leistung wohl nicht mehr erreichen wird. Genauso kommt es dann auch. Um 14.22 Uhr erreicht er das Timmelsjoch. In 23 Minuten hinab nach Sölden? Das schaffen selbst die Schnellsten nicht.
Das Rennen von Jonas liefert ein sehr gutes Beispiel für die Komplexität eines Rennens vom Format des Ötztalers. Eine gut geplante und perfekt umgesetzte Pacingstrategie ist nichts wert, wenn man keine darauf abgestimmte und vor allem am Renntag funktionierende Verpflegungsstrategie hat.“
Felix Hegar: Analyse der Leistung beim Ötztaler Radmarathon 2019
Alter | 41 |
Gewicht | 83,0 kg |
FTP (abs.) | k.A. |
FTP (rel.) | k.A. |
Zeit | 09:12:22 |
NP | 235 |
Einordnung des Experten Markus Hertlein
„Felix überzieht trotz der Warnungen seiner Freunde bereits am Kühtai deutlich. Er begeht zwei typische Fehler, die sehr viele Starter des Ötztalers machen. Erstens: Er lässt sich von seinem guten Gefühl zu Beginn des Rennens täuschen. Er hatte sich im Vorfeld aufgrund fehlender Richtwerte keine richtige Pacingstrategie zurechtgelegt und sich daher auf sein Gefühl verlassen müssen.
Im Nachhinein schätzt er seine Fahrweise am Kühtai als sehr konservativ ein. Die Leistungsaufzeichnungen zeigen jedoch ein komplett anderes Bild. Er fährt das Kühtai im Schnitt mit 258 Watt. Diese Leistung setzt sich allerdings aus sehr ungleichmäßigen Abschnitten zusammen. Zu Beginn fährt er etwa fünf Minuten lang bei 275 Watt. Das Steilstück überwindet er sogar mit 288 Watt über sechs Minuten. Leider kennt er seine FTP nicht. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Werte deutlich darüber liegen. In diesen Abschnitten erreicht seine Herzfrequenz mit 162 bis 165 Schlägen auch die höchsten Werte des ganzen Rennens.
Verpflegungsstrategie beim Ötztaler Radmarathon
Gerade diese intensiven Abschnitte führen zu einem stark erhöhten Energieverbrauch, womit wir zum zweiten Fehler kommen. Die verbrauchte Energie, die Felix am Kühtai investiert, fehlt ihm in den späteren Abschnitten des Rennens. Dafür verantwortlich ist auch seine Verpflegungsstrategie, die ausschließlich auf kohlenhydrathaltigen Getränken basiert. Der konstante Abfall in den Leistungen der vier Anstiege – 258, 229, 225 und 202 Watt – deutet daraufhin, dass seine Energiereserven immer kleiner wurden. Das erklärt auch, warum er am Timmelsjoch „nur“ noch 202 Watt treten kann.
Aufgrund fehlender Leistungsdaten vor dem Ötztaler ist es schwer abzuschätzen, was mit einer besser geplanten Verpflegungs- und Pacingstrategie wirklich möglich gewesen wäre. Allein mit etwas mehr Kohlenhydraten hätte es aber sicher für eine Zeit von weniger als neun Stunden gereicht.“
Lisa Brunnbauer: Analyse der Leistung beim Ötztaler Radmarathon 2019
Alter | 37 |
Gewicht | 55,0 kg |
FTP (abs.) | 220 |
FTP (rel.) | 3,45 |
Zeit | 09:23:23 |
NP | 158 |
Einordnung des Experten Markus Hertlein
„Die Strategie von Lisa, das Kühtai mit 184 Watt, also etwa 83 Prozent ihrer Schwellenleistung von 220 Watt, zu fahren, ist zwar konservativ, aber vernünftig. Allerdings weicht sie von dieser Strategie am Einstieg zum Brenner ab und fährt dort fast 30 Minuten lang mit 175 Watt, also fast 80 Prozent ihrer Schwellenleistung. Diese Aktion kostet viel Energie. Dennoch schafft sie es, nicht komplett einzubrechen.
Die 175-Watt-Leistung vom Brenner kann sie ebenfalls über den Jaufenpass abrufen. Mit 160 Watt am Timmelsjoch, 73 Prozent der Schwellenleistung, ist ihre Ermüdung im Vergleich zu anderen Fahrern deutlich geringer. Entscheidend hierfür ist neben einem extrem hohen Trainingsumfang von 26.000 Kilometern ihre Verpflegungsstrategie. Mit 90 Gramm pro Stunde führt sie während der rund 9,5 Stunden enorm viele Kohlenhydrate zu. Zu hinterfragen ist sicherlich, ob 26.000 Kilometer und 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde aus trainingswissenschaftlicher und physiologischer Sicht wirklich sinnvoll sind.
Mit etwas mehr Fokus auf Qualität statt auf Quantität, in beiderlei Hinsicht, hat sie sicher noch Potenzial in ihrer Leistungsfähigkeit. Dennoch ist die grundlegende Herangehensweise von Lisa durchaus richtig und durchdacht und bietet mit etwas Feintuning an den richtigen Stellschrauben fraglos Potenzial für Verbesserungen.“