Newcomer
Newcomer: Fünf junge deutsche Talente in der WorldTour 2020
in Race
Fünf Jahre lang hat er überlegt, wie es sich anfühlen würde – heute weiß er es. Denn er hat sein Ziel erreicht. Sein Traum wurde wahr: Georg Zimmermann wird ein Profi in der ersten Liga des Radsports sein – ein Newcomer als Teil des Teams CCC. Es war ein langer, harter Weg für den heute 22-Jährigen. Sein erstes Radrennen fuhr er im Alter von zehn Jahren. In der Saison 2019 absolvierte er 25.000 Kilometer auf dem Rennrad. Dieser Umfang soll sich auch im kommenden Jahr nicht wesentlich steigern.
Aktuell studiert er zudem „nebenher“ Internationales Management an der Fernuniversität Ansbach. Inwieweit er dieses Studium fortsetzen kann, will er abwarten. Die vergangene Saison, sein letztes Jahr in der U23-Klasse, war seine mit Abstand erfolgreichste. Diese Erfolge waren sein Ticket in die WorldTour. Er wurde bereits im Frühjahr Dritter der Istrian Spring Trophy, in Italien gewann er die Rennen Trofeo Piva und Coppa della Pace, die wichtige Tour de l’Avenir schloss er mit Rang fünf ab, die Bergwertung der Österreich-Rundfahrt gewann er und beim Weltmeisterschafts-Straßenrennen der U23-Klasse in Yorkshire wurde er Zwölfter.
Nicht wenige Beobachter stellen Parallelen zwischen Georg Zimmermann und dem vier Jahre älteren Emanuel Buchmann fest. Beide sind ähnliche Fahrertypen: leicht, ausdauernd, Bergspezialisten.
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Newcomer Georg Zimmermann: Berg-Spezialist
Beide konnten bei der berühmten Tour de l’Avenir in die Top Ten fahren – Buchmann wurde 2017 Siebter. Beide sind ruhige, nachdenkliche, eher introvertierte Menschen. „Ich habe Emanuel vor der Tour de France zufällig getroffen und war beeindruckt von seinem Leistungsvermögen“, sagt Zimmermann. „Ich konnte mir bis dahin kaum vorstellen, dass jemand so schnell im Training unterwegs sein kann.“
An die Tour de l’Avenir denkt er gerne zurück: „Am schönsten war die Schlussetappe. Ich habe mich im Gesamtklassement zwar kontinuierlich gesteigert, aber eigentlich hatte ich bis zum letzten Tag nichts in der Hand, keinen Etappensieg, nichts. Ich bin nur jeden Tag ein wenig im Klassement nach oben geklettert. Aber es hätte noch so viel passieren können. Ich hätte in einem schwachen Moment aus den vorderen Rängen rausfliegen können, dann hätte ich nichts gehabt, nichts. Aber je näher wir dem Ziel der letzten Etappe kamen, umso mehr ist meine Anspannung gewichen. Als ich dann über den Zielstrich fuhr – das war ein ganz großer Moment.“
Der gelernte Leichtathlet
Als Kind lief er: als Leichtathlet über die Mittel- und Langstrecke. Er stammt aus der Nähe von Augsburg in Bayern und liebt die Berge. „Ich liebe Rundfahrten und dabei besonders die Bergetappen. Im Gegensatz zu den viel hektischeren Eintagesrennen hat man in den Bergen viel mehr Ruhe, kann seinen eigenen Rhythmus fahren, seine Leistung abrufen. Es gibt weniger Kurven, man muss keine Ellenbogen ausfahren.“
Zimmermann geht sehr überlegt an seine Aufgaben heran – auch an die Rennen, die er bestreitet: „Ich hatte mir 2019 vier Rennen ausgesucht, bei denen ich gut fahren wollte. Dazu gehörte auch die Tour de l’Avenir.“ Bei dieser „Tour de France der U23-Klasse“ lernte er viele Pässe der französischen Alpen kennen. „Am liebsten mag ich den Col de l’Iseran“, sagt er. „Das ist der höchste Berg, den ich je gefahren bin. Von der einen Seite aus ist der Anstieg 50 Kilometer lang. Da geht eine einzige Straße rauf, mitten in einem Naturschutzgebiet, und von oben hat man einen phantastischen Blick. Ich liebe das.“
In den heimischen Bergen unterwegs
Auch in seiner Freizeit ist er gern in den heimischen Bergen unterwegs: Er geht wandern oder fährt mit dem Mountainbike. „Ich mag es, in der Natur zu sein, abzuschalten und einfach nur die Landschaft zu genießen.“ Nach zwei Jahren im Team Tirol KTM geht er nun neue Wege. „Ich hatte bei Tirol viel Spaß, wir haben sehr gut harmoniert, das war eine tolle Zeit, aber jetzt freue ich mich auf die WorldTour mit CCC.“
Schon am Ende der vergangenen Saison fuhr er als Stagiaire im orangenen Trikot des polnischen Teams – unter anderem bei der Slowakei-Rundfahrt. „Am beeindruckendsten fand ich zu Anfang, dass einem alles abgenommen wird. In einem kleineren Team ist man ja irgendwie nur zu 50 Prozent Radfahrer und die restliche Zeit über Logistiker. Da verbringt man viel Zeit damit zu überlegen, wie das eigene Rad von A nach B kommt und solche Sachen.“
Newcomer auf der WorldTour: Träume und Ziele
Dass er bei CCC auf zwei Landsleute trifft, könnte ihm den Einstieg ins Profimetier erleichtern: Jonas Koch und Simon Geschke starten ebenfalls für das polnische Team. Beide kennt er von gemeinsamen Einsätzen für die Nationalmannschaft – auch wenn Zimmermann bislang für das deutsche U23-Team startete.
Nie für die Nationalmannschaft im Einsatz war dagegen Jannik Steimle aus Weilheim an der Teck. Der 23-Jährige ging einen anderen, eher ungewöhnlichen Weg. Nach seinem ersten U23-Jahr wechselte er nach Österreich. 2016 und 2017 fuhr er für das Team Felbermayr Simplon Wels, seit 2018 für Vorarlberg Santic. Dort entwickelte er sich zum Siegfahrer. 2018 gewann er bei Rundfahrten zwei Rennen und gleich vier Wertungstrikots. Schon in diesem Jahr wurde seine enorme Vielseitigkeit deutlich: Steimle gewann sowohl aus Fluchtgruppen heraus als auch die Bergwertungen großer Rennen. Im Vorjahr holte er Etappensiege bei der Österreich-Rundfahrt, beim Flèche du Sud in Luxemburg, bei der CCC-Tour und der Oberösterreich-Rundfahrt, deren Gesamtwertung er ebenfalls für sich entschied. Insgesamt holte er sieben Saisonsiege.
Der Werdegang von Newcomer Jannik Steimle
Schon im Sommer bekam er seine Chance: Er durfte als Stagiaire, eine Art Praktikant, für das erfolgreichste Team der Welt fahren – Deceunink-Quick-Step. Dabei gelang ihm ein Traumstart in der WorldTour. Bei seinem ersten Einsatz im blauen Quick-Step-Trikot gewann er den „Textielprijs“ von Vichte. Die Team-Verantwortlichen zögerten nicht lange und legten Steimle ein Vertragsangebot vor. Kurz nach der Unterzeichnung gewann er die „Meisterschaft von Flandern“.
Auch beim Münsterland Giro war er einer der bestimmenden Fahrer und wurde am Ende Achtzehnter. „Mit diesem Vertrag ist ein Kindheitstraum für mich in Erfüllung gegangen,“ sagt er. „Diese Zeit werde ich genießen. Ich bin kein Fahrertyp, der in der zweiten oder dritten Reihe steht, sondern ich will relativ schnell im nächsten Jahr an die Erfolge der aktuellen Saison anknüpfen.“
Der Weg des Martin Salmon
Die Chancen dafür stehen gut. Im Team Deceuninck-Quick-Step wurden bereits viele Talente zu Siegfahrern. Gefühlt fährt in diesem Team jeder schnell. Einen „traditionelleren“ Weg in die erste Radsport-Liga ging ein anderer deutscher Fahrer: Martin Salmon.
Der heute 22-Jährige wurde im Nachwuchsteam einer Profi-Equipe „ausgebildet“. In der neuen Saison wird er nun von diesem Development- in das WorldTour-Team von Sunweb wechseln. Der Pfälzer, der in Aachen Physik studiert, unterschrieb einen Zweijahresvertrag. Salmon überzeugte bereits als Juniorenfahrer mit einem fünften Platz bei der Straßen-WM 2015.
Er ist ein guter Allrounder, der dabei ist, sich auf anspruchsvolle Eintagesrennen zu spezialisieren und sich wohl vor allem auf die Klassiker fokussieren wird, auch wenn die vergangenen beiden Saisons weniger erfolgreich für ihn verliefen als erhofft. Denn es stehen wenige Top-Platzierungen in seiner Ergebnisliste. Dennoch gewann er 2019 die Bergwertung der Slowakei-Rundfahrt. „Ich liebe die Strukturen bei Sunweb – und die Unterstützung, die man als junger Fahrer in dieser Mannschaft bekommt“, sagt er. Mit ihm wird auch der österreichische Junioren-Weltmeister von 2015, Felix Gall, vom Nachwuchs- zum Sunweb-Profi-Team wechseln.
Juri Hollmann: Vom Super Stagiaire zum Newcomer auf der WorldTour
Am Erfolg des jüngsten deutschen Neuprofis haben auch wir von RennRad einen – wenn auch sehr kleinen – Anteil. Denn Juri Hollmann gewann im Sommer 2019 das von RennRad und Katusha Sports veranstaltete Casting und wurde der „Super Stagiaire“ 2019. Damit erhielt er mit gerade einmal 19 Jahren einen Stagiaire-Vertrag im WorldTour-Team Katusha Alpecin und konnte somit Rennen auf höchstem Niveau absolvieren.
Dort überzeugte er mit seinen Helferdiensten, als unermüdlicher Arbeiter im Wind. In der nächsten Saison wird er für die spanische Movistar-Equipe antreten.
Top-Talent Jonas Rutsch
Ganz sicher bereit für die WorldTour ist Newcomer Jonas Rutsch aus Erbach im Odenwald – auch wenn er erst im Januar seinen 22. Geburtstag feierte und noch ein Jahr in der U23-Klasse hätte fahren können. Rutschs Lebensmotto lautet: Geht nicht, gibts nicht. Und genauso fährt er Radrennen: offensiv und kämpferisch. „Ja, ich bin nicht der große Taktikfuchs, da muss ich sicher noch viel lernen“, sagt er.
Oft führte seine Angriffslust aber auch zum Ziel. Wie beim belgischen Klassiker Gent-Wevelgem. Im Rennen der U23-Klasse attackierte er vier Kilometer vor dem Ziel – und kam durch. Es war sein größter Sieg. Jonas Rutsch scheint schon von der Statur her prädestiniert für schwere Eintagesrennen: Bei einer Größe von 1,97 Meter wiegt er 82 Kilogramm. Dennoch überzeugte er auch bei bergigen Rennen und kleineren Rundfahrten. So wurde er etwa Sechster der Tour Alsace. Das schwere WM-Rennen von Yorkshire beendete er als Fünfzehnter.
Rutschs Laufbahn begann schon im Alter von zehn Jahren: Bereits 2010 gewann er die Gesamtwertung der Internationalen Kids-Tour in Berlin. 2012 wurde er deutscher U15-Meister und erhielt 2017 einen Vertrag beim Team Lotto-Kern Haus. 2018 wurde er Deutscher Bergmeister und Vizemeister auf der Straße. 2019 gewann er die Einzelwertung der Rad-Bundesliga. „Ich bin sehr froh, dass ich im Team Lotto-Kern Haus die Chance bekam, mich zu entwickeln – und dass ich meine Zeit dort mit dem Gesamtsieg in der Bundesliga abschließen konnte“, sagte er. Aktuell absolviert er noch eine Ausbildung bei der Polizei in Wiesbaden. Ob sich diese mit dem Profileben vereinbaren lässt, will er abwarten. „Ich werde keine voreiligen Entscheidungen treffen.“
Regen und Kopfsteinpflaster
Ab 2020 wird er nicht in Grün, sondern in Rosa unterwegs sein, den Teamfarben der US-amerikanischen Equipe EF Education. Sein Ziel: sich zu einem Klassiker-Spezialisten entwickeln. Gerade die Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix könnten „seine“ Rennen werden. „Das ist die Richtung, die ich einschlagen will. Ich möchte mich zu einem guten Klassikerfahrer entwickeln. Ich finde, das sind die spannendsten aller Rennen. Man muss sich sehr gezielt vorbereiten, hat nur diesen einen Tag Zeit, seine Leistung abzurufen. Und es gibt Kopfsteinpflaster und schlechtes Wetter – da fühle ich mich wohl.“
Sein neuer Teamchef bei EF Education hat große Ziele mit dem jungen Deutschen: „Der Junge ist eine Maschine. Eine gut abgestimmte Maschine wie Arnold Schwarzenegger bei Terminator“, sagt der Teammanager und Ex-Profi Jonathan Vaughters. „Ich denke, er wird ein großartiger Klassikerfahrer. Ich meine, er hat Gent-Wevelgem der U23-Klasse gewonnen, und ich glaube, er ist ein zukünftiger Paris-Roubaix-Sieger.“
WorldTour-Vorschau auf die Saison 2020: Teams, Wechsel, Favoriten
Perspektive der deutschen Newcomer
Der U23-Bundestrainer Ralf Grabsch über die neuen deutschen Newcomer auf der WorldTour:
Jonas Rutsch
„Er ist ein extrovertierter Mensch, mit dem es Spaß macht zu arbeiten. Ich habe mit ihm in der vergangenen Saison sehr viel an Trainingsmethodik gearbeitet und einiges umgestellt. Das hat sich für ihn ausgezahlt. Jonas hat 2019 eine konstant gute Leistung gezeigt, keine Leistungssprünge gehabt wie noch im Jahr zuvor und hat mehr Rennübersicht gewonnen. Trotzdem muss er taktisch noch einiges lernen. Er haut noch oft zu viele Körner raus.“
Juri Hollmann
„Juri ist ein sehr ruhiger Fahrer, einer der alles hinterfragt und der eine enge Bindung an seinen Coach braucht. Für ihn wäre es wünschenswert, wenn ihn ein älterer erfahrener Profi zu Beginn seiner Karriere leitet. Juri befindet sich mitten im Ausbildungsprozess. Vielleicht hätte er mit der WorldTour noch ein Jahr warten können. Aber ich kann verstehen, dass man ein solches Angebot nur schwer ablehnen kann.“
Jannik Steimle
„Über ihn kann ich am wenigsten sagen, da er nie zum Kader gehörte. Leider ist Jannik nie ein einziges Bundesligarennen gefahren, wie es selbst die Fahrer von Sunweb tun. Aber deutsche Fahrer müssen sich auch auf deutscher Ebene ins Gespräch bringen. Er ist eine starke Saison gefahren und wird in den Eintagesrennen und Klassikern sicher seinen Platz finden.“
Martin Salmon
„Martin hat in der letzten Saison seine alte Klasse wiedergefunden. Seine ersten Jahre in der U23 waren leider alles andere als erfolgreich, doch jetzt ist er wieder viel stärker. Er hat die Qualität, die er im letzten Jahr bei den Junioren zeigte, wieder zurückgewonnen. Er wird auch mental wieder freier und fährt gut.“
Georg Zimmermann
„Georg braucht das Gefühl, dass man für ihn da ist, sich kümmert, dann geht es ihm gut und er fährt auch entsprechend. Georg kann alles, ist ein sehr offensiver, sehr aggressiver Fahrer. Ich habe an ihm am meisten gemocht, dass er immer versucht hat, Rennen selbst zu entscheiden, sich nicht zu verstecken.“