Rundfahrer
Lennard Kämna im Porträt: Werdegang, Stärken, Fahrertyp, Ziele
in Race
Als Lennard Kämna auf dem Prat d’Albis den Zielstrich überquert, jubelt er nicht. Dabei ist dies einer der wichtigsten Tage seiner bisherigen Karriere. Die 15. Etappe der Tour de France führt über vier Pyrenäenpässe und endet in der Nähe von Foix auf knapp 1200 Metern Höhe. Eine halbe Minute vor Kämna erreicht Thibaut Pinot das Ziel, der Beste der Tour-Favoriten an diesem Tag. Nur zehn Sekunden vor ihm überqueren Egan Bernal und Emanuel Buchmann die Linie. Die anderen Anwärter auf das Gelbe Trikot, Steven Kruijswijk, Geraint Thomas und Alejandro Valverde kommen erst nach Kämna ins Ziel. Bei einer schweren Bergankunft in den Pyrenäen.
In den Alpen wiederholt der damals 22-Jährige seine Leistung und wird Vierter bei der Etappe über den Col d’Izoard und den Col du Galibier. Neben Buchmanns starker Leistung ist es Lennard Kämna, der sich aus deutscher Sicht abhebt. Dementsprechend zufrieden fasst er im Nachgang seine erste Tour zusammen: „Die erste Woche lief ja noch bescheiden, ich hatte ja nur eine Helferrolle. Aber dann habe ich gemerkt, dass es immer besser wird. Ich habe viel mitgenommen von meiner ersten Tour. Es war eine Riesenerfahrung und hat viel Spaß gemacht. Weil ich freie Fahrt hatte, konnte ich es auch genießen.“
Konstitution von Lennard Kämna: Rundfahrer
Wer mit 22 Jahren die Tour de France genießen kann, ist wohl automatisch ein Top-Talent – ein Hoffnungsträger für die Zukunft. Das nahm auch Ralph Denk so wahr, der Teamchef der Equipe Bora-Hansgrohe, und stattete Lennard Kämna noch im August des vergangenen Jahres mit einem Zweijahresvertrag aus. „Lennard ist unbestritten ein großes Talent“, sagt Denk. „Es war beeindruckend zu sehen, wie er sich in der letzten Tour-Woche präsentiert hat. Immer aktiv, immer vorne dabei und das jeden Tag.“
Seine Stärke in den Bergen, aber auch seine Qualität im Zeitfahren machen Kämna zu einem Anwärter auf die Gesamtwertung bei Rundfahrten. Schon im Junioren-Alter überzeugte er in diesen Disziplinen. „Lennard war schon sehr früh stark und ehrgeizig. Wenn man ihm etwas sagte, fragte er nicht, sondern setzte es um“, sagt sein Jugendtrainer Siegfried Schreiber.
Als Nachwuchsfahrer gelang ihm das vor allem im Kampf gegen die Uhr: Weltmeister bei den Junioren, Europameister in der U23. Und bei den Profis: Weltmeister im Mannschaftszeitfahren an der Seite von Tom Dumoulin, Michael Matthews und anderen. Mit 20 Jahren. Nur wenige Tage später gewann er die Silbermedaille im Straßenrennen der U23. Im Jahr 2018 jedoch wurde seine Erfolgsgeschichte gebremst.
Die unfreiwillige Chance für Lennard Kämna
Der Start in die Saison verlief nicht wie erhofft. Er kam nicht in Form, wurde von Verletzungen und Krankheiten aufgehalten. Also nahm er Urlaub. „Sommerferien“ nannte er das im Interview mit dem Spiegel, sechs oder sieben Wochen lang setzte er sich gar nicht auf sein Rennrad und zog von Köln zurück nach Bremen. Vielleicht war dies die entscheidende Auszeit für das folgende Jahr. „Danach bin ich wieder ganz normal eingestiegen und war etwas frischer im Kopf. Seitdem läuft es besser“, sagt er heute.
Die Verletzung von Tom Dumoulin, der als Kapitän für die Sunweb-Mannschaft bei der Tour eingeplant war, wurde unfreiwillig zur Chance für Lennard Kämna. So musste er keine Helferdienste leisten, sondern konnte „auf Ergebnis“ fahren. Er konnte frei fahren. Und fuhr bei der Tour de Suisse auf den 17. Platz der Gesamtwertung und überzeugte wenige Wochen später bei der Tour de France mit zwei Top-Ten-Platzierungen und dem siebten Platz der Nachwuchswertung.
Neues Team, neue Ziele
Ab dieser Saison startet er für Bora-Hansgrohe, ein Team, in dem er langsam an große Aufgaben herangeführt werden soll. „Wohin die Reise mit ihm geht, werden wir in den nächsten Jahren sehen. Aber wir werden ihn genauso behutsam aufbauen, wie wir das schon mit Emanuel Buchmann oder Pascal Ackermann gemacht haben. Er wird seine Chancen bekommen, aber wir werden sicher nichts überstürzen“, sagte Ralph Denk bei der Teampräsentation in Kolbermoor.
Lennard Kämna freut sich auf seine erste Saison beim deutschen Team. „Der Wechsel fühlt sich sehr gut an“, sagt er. „Wenn man sieht, wie breit die Mannschaft mit jungen Fahrern in die Spitze vorgedrungen ist, kann man nur sagen: Dort wird vieles richtig gemacht.“
RennRad 4/2020: Die Inhalte der Ausgabe im Überblick
Steigt der Rummel um Lennard Kämna?
Dass mit einer erfolgreichen Saison auch der Rummel um seine Person steigen wird, sieht er noch gelassen. Er wolle hier den nächsten Schritt machen, wie er selbst sagt. Wie könnte der aussehen? Im Zeitfahren habe er zuletzt stagniert, sagte er im vergangenen Jahr, das müsse wieder besser werden. Auch in den Bergen wolle er sich weiter verbessern.
Irgendwann wolle er bei den Grand Tours um Platzierungen kämpfen. „Dort will ich mich beweisen und Top-Ten-Resultate einfahren. Ob es irgendwann für mehr reicht oder nicht, wird man sehen.“ Mit einem Gewicht von 65 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,81 Metern besitzt er die passenden Anlagen, um diese Ziele zu erreichen. Für den erweiterten Tour-Kader dürfte sich Ralph Denk den Namen Kämna bereits notiert haben. Ob die Form danach noch reicht, um zu den Olympischen Spielen nach Tokio zu fliegen, bleibt zunächst offen. „Der Körper bekommt das hin. Das ist nicht das Problem“, sagt Kämna. „Aber die Olympischen Spiele stehen in meiner Prioritätenliste nicht auf Platz eins.“ Stattdessen wird er an sich arbeiten. Und an seinem Ziel: ein Spitzenrundfahrer zu werden.
Zeitfahren: Wattwerte
Bei der U23-EM 2016 – Fahrer: Filippo Ganna
Der Zweitplatzierte war 31 Sekunden langsamer als der Sieger Lennard Kämna
- Distanz: 24,5 Kilometer
- Dauer: 34:29 Minuten
- Durchschnittsleistung: 477 Watt – normalisiert
- Relative Leistung: 5,82 Watt/Kilogramm
- Dauer Schlussanstieg: 5:30 Minuten
- Durchschnittsleistung: 517 Watt
- Relative Leistung: 6,30 Watt/Kilogramm
Erfolge von Lennard Kämna: Zeitfahren und mehr
- 2019 der Tour de Suisse 2019
- 2019 2 x Top Ten Tour de France 2019
- 2017 Silber WM U23 Straßenrennen 2017
- 2017 Weltmeister im Mannschaftszeitfahren 2017
- 2016 Europameister U23 Einzelzeitfahren
- 2015 Bronze WM U23 Einzelzeitfahren
- 2014 Weltmeister Junioren Einzelzeitfahren
- 2014 Europameister Junioren Einzelzeitfahren