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Gran Fondo Via del Sale: Radmarathon in der Emilia-Romagna

Saisonauftakt in der Emilia Romagna

Gran Fondo Via del Sale: Radmarathon in der Emilia-Romagna

152 Kilometer und 1960 Höhenmeter durch die Emilia-Romagna. Der Saisonauftakt beim Gran Fondo Via del Sale. Die Reportage.
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14 Prozent Steigung. Ich bin am Limit. Der Fahrer direkt vor mir tritt an. Ich blicke mich um: Aus unserer kleinen Gruppe von rund 25 Fahrern kann offenbar niemand folgen. Ich gefühlt eigentlich auch nicht.

Doch ich versuche es. Ich beschleunige im Wiegetritt und fokussiere mich auf das Hinterrad des Italieners vor mir. Meter um Meter komme ich ihm näher. Nach etwa einer halben Minute hole ich ihn ein. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass wir uns von den anderen Fahrern abgesetzt haben.

Wir sind zu zweit – und zwischen der Spitzen- und einer größeren Verfolgergruppe. Hier, bei einem der größten und wichtigsten Gran Fondos in Italien: dem Gran Fondo Via del Sale in der Emilia-Romagna. Der Radmarathon findet immer Anfang April statt – und ist für viele italienische Gran-Fondo-Fahrer das erste Saisonhighlight im Frühjahr.
Rund 5000 Teilnehmer aus ganz Europa nehmen hier jedes Jahr teil. Auch aus Deutschland, Österreich und Frankreich kommen immer etliche Fahrer.

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Gran Fondo Via del Sale: Meer & Hügel

Vor knapp drei Stunden bin ich in Cervia gestartet. Schon im Startblock um 07:30 Uhr ist es hier, direkt an der Adria, angenehm mild für diese Jahreszeit. In Deutschland hat es am Tag zuvor noch geschneit. Hier hat es bereits jetzt am frühen Morgen 15 Grad, die Sonne scheint.

Um mich herum: tausende, größtenteils italienische Radsportler. Während für mich der Gran Fondo Via del Sale das erste Radrennen in dieser Saison ist, haben die meisten Fahrer um mich herum bereits an ein paar Rennen in diesem Frühjahr teilgenommen. Doch der Gran Fondo heute ist der bisher wichtigste Radmarathon der noch jungen Saison.
Viele Fahrer sind dementsprechend nervös.

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Gran Fondo Via del Sale: Stark besetztes Fahrerfeld

Wie groß der Stellenwert des Rennens ist, erkenne ich auch an dem stark besetzten Fahrerfeld. Der amtierende Gran-Fondo-Weltmeister aus Tirol, Stefan Kirchmair, der französische Radmarathon-Spezialist Loïc Ruffaut, der italienische Ex-Profi Manuel Senni – sie alle nehmen an dem Rennen teil.

Als um 08:00 Uhr das Rennen beginnt, bekomme ich einen Schock: Das Tempo ist sofort extrem hoch. Von der neutralisierten Startphase bekomme ich nichts mit. Fast jeder versucht, irgendwie nach vorne zu kommen. Die eigentlich recht breite Straße auf den ersten Kilometern ist längst viel zu schmal.

Die Nervosität im Feld ist groß. Auf den ersten 40 Kilometern verläuft die Strecke fast komplett flach. Eigentlich war mein Plan, bis zum ersten Anstieg möglichst viel Kraft zu sparen und einfach mit dem Feld mit zu rollen. Doch immer wieder gehen vor mir Lücken auf, die ich zusprinten muss.
Wieder einmal merke ich, wie unwohl ich mich in so einem dichten Fahrerfeld fühle. Ich fahre extrem vorsichtig und hoffe, dass es vor mir keinen Sturz gibt.

Mit jedem weiteren Kilometer werde ich weiter nach hinten durchgereicht. Obwohl ich im ersten Startblock starten durfte, bin ich bereits nach etwa 20 Kilometern sehr weit hinten im Fahrerfeld platziert.

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Gran Fondo Via del Sale: vier steile Anstiege

Ich sehne den ersten der insgesamt vier Anstiege immer mehr herbei. Doch er kommt zu spät für mich. Als es nach 40 Kilometern endlich bergauf geht, bin ich längst einige Minuten hinter der Spitze zurück. Mit dem Ausgang des Rennens habe ich bereits jetzt nichts mehr zu tun.

Dementsprechend frustriert und enttäuscht, aber auch wütend über meine vorsichtige Fahrweise bin ich. Mit sehr viel Wut im Bauch sprinte ich in den Montecavallo, den ersten Anstieg des heutigen Tages. Dessen Daten: 8,2 Kilometer, 356 Höhenmeter. Die durchschnittliche Steigung: sechs Prozent.

Doch ich kann keinen gleichmäßigen Rhythmus fahren. Das Fahrerfeld kommt hier, recht weit hinten im Hauptfeld, fast zum Stillstand. Einige Fahrer sind in dem 40 Kilometer langen Flachstück offenbar weit nach vorne gefahren, und sind nun mit der Steigung offenbar völlig überfordert. Ich fahre Slalom zwischen den Fahrern hindurch, immer wieder muss ich abbremsen und wieder beschleunigen.

Doch ich mache Position um Position gut. Oben, kurz vor der Passhöhe auf 460 Metern über dem Meeresspiegel, schließe ich zu einer größeren Gruppe auf – und muss erst einmal durchatmen. In der schnellen, technischen Abfahrt versuche ich, mich etwas zu erholen.
Unten im Tal merke ich, dass meine Gruppe sehr gut zusammenarbeitet. Nach wenigen Kilometern holen wir eine andere Gruppe ein – und ich erfahre, dass nur noch die Spitzengruppe mit etwa 40 Fahrern vor uns ist.

Gran Fondo Via del Sale: steile Rampen & Bergwertung

Nur ein paar Kilometer später geht es erneut bergauf. Der zweite Anstieg nach Ciola ist vergleichbar mit dem ersten – nur deutlich schöner. Immer wieder bieten enge Kehren spektakuläre Aussichten über die Emilia-Romagna. Doch: Ich kann sie nicht genießen. Dafür ist das Tempo viel zu hoch. Immer wieder attackieren einzelne Fahrer. Ich fühle mich gut und setze immer wieder nach.
Unsere Gruppe wird immer kleiner. Von ursprünglich rund 30 Fahrern sind bald nur noch 15 übrig.

Abfahrt. Unten im Tal führt die Strecke rund zehn Kilometer flach durch kleine italienische Dörfer. Wir sind so schnell unterwegs, dass von hinten niemand mehr aufschließen kann. Doch die Spitze des Feldes ist zu weit weg, um sie noch einzuholen.
Nach etwa 90 Kilometern beginnt der dritte und vorletzte Anstieg. Hier, hinauf auf den Montevecchio, gibt es eine Bergwertung: die Cima Pantani, benannt nach dem ehemaligen italienischen Radprofi Marco Pantani.

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Die Cima Pantani

Er galt als einer der besten Bergfahrer der Welt und gewann unter anderem 1998 die Tour de France und den Giro d’Italia. Pantani stand allerdings auch immer wieder unter Dopingverdacht.

Am 14. Februar 2004 wurde Marco Pantani tot in einem Hotelzimmer in Rimini aufgefunden. Laut offiziellem Autopsie-Bericht starb Pantani an einer Überdosis Kokain und weiterer Substanzen durch Herzversagen. In der Emilia-Romagna, Pantanis Heimat, sind allerdings bis heute noch viele Menschen davon überzeugt, dass er umgebracht wurde.
Wie sehr Pantani hier immer noch von vielen fast schon verehrt wird, zeigt sich unter anderem daran, dass es in Cesenatico sogar ein Marco Pantani Museum gibt – und dass hier in der Region in jedem Radrennen eine Bergwertung nach ihm benannt ist.

 

Attacken & Durst

Kaum beginnt der Anstieg, attackieren die ersten Fahrer. Doch niemand kann sich absetzen. Unsere Gruppe wird immer kleiner. Wir sind nur noch zu zehnt.
Immer wieder zeigt mein Radcomputer zweistellige Steigungszahlen an. In einer dieser steilen Rampen setze ich mich mit dem italienischen Fahrer ab. Ein paar Minuten später sind wir oben auf dem Montevecchio.

Hinter uns ist niemand mehr zu sehen. Stattdessen holen wir einen anderen Fahrer ein, der aus der Spitzengruppe zurückgefallen ist. Zu Dritt geht es in die schnelle Abfahrt – und unten angekommen sofort in den vierten und letzten Anstieg hinauf nach Collinello. Mit nur 230 Höhenmetern ist es der kürzeste Anstieg des Gran Fondos.

Doch er ist steil. Die maximale Steigung: 15 Prozent. Doch mein größtes Problem ist nicht die Steigung, sondern mein Durst. Meine beiden Trinkflaschen sind längst leer. Ich fühle, wie ich immer durstiger werde – und immer schwächer.

Doch auch meine beiden Begleiter fühlen sich offenbar nicht besser. Im Gegenteil: In den steileren Rampen des letzten Anstiegs haben sie große Mühe, meinem Tempo zu folgen. Doch wir bleiben zusammen. Wir wissen: Wenn wir nach der Abfahrt auf den 35 flachen Kilometern bis ins Ziel nicht von der Gruppe hinter uns eingeholt werden wollen, müssen wir zusammenbleiben.

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Finale & Flamingos

Immer wieder blicken wir uns um. Hinter uns ist keine Gruppe in Sicht. Offenbar ist unser Vorsprung recht groß. Stattdessen sehen wir vor uns eine größere Gruppe. Können wir sie vielleicht sogar noch einholen? Wir wechseln uns gut im Wind ab. Die Geschwindigkeit: weit über 40 km/h – trotz des Gegenwindes.

Wir überholen immer mehr Fahrer, die bei der 105 Kilometer langen Strecke des Medio Fondos an den Start gegangen sind. Irgendwann holen wir Vidar ein, einen norwegischen Radsport-Journalisten. Zusammen mit ein paar anderen Journalisten wurden uns in den Tagen zuvor einige touristische Highlights der Region rund um Cervia gezeigt. Im Jahr 2024 führen nach dem Grand Départ in Florenz drei Etappen der Tour de France hier durch die Emilia-Romagna.

Wir kommen der Gruppe vor uns immer näher – doch der Vorsprung ist zu groß, wir holen sie nicht mehr ein. Kurz vor dem Ziel kommen wir an den berühmten Salinen von Cervia vorbei. Das Salz hier wird immer noch auf traditionelle handwerkliche Weise mit antiken Holzwerkzeugen und nach antiken Traditionen gewonnen. Und plötzlich sehen wir sie direkt neben uns: hunderte Flamingos. Es ist ein faszinierender Anblick.

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Nach vier Stunden und 15 Minuten komme ich ins Ziel. Die Durchschnittsgeschwindigkeit: 35,7 km/h. Platz 36 insgesamt, Platz 16 in meiner Altersklasse.
Ein sehr zufriedenstellender Saisonauftakt in der Emilia-Romagna.

 

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Zur Website des Gran Fondos Via del Sale kommen Sie hier: www.granfondoviadelsale.com

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