Giro d’Italia 2022: 51.000 Höhenmeter
Giro d’Italia 2022: Etappen, Strecke, Favoriten
in Race
1940 stand Fausto Coppi hier, an diesem Schicksalsberg, kurz davor aufzugeben – als sein Teamkollege ihn anschrie und ihm Schnee ins Gesicht warf. Coppi fuhr weiter. Und gewann am Ende seinen ersten Giro d’Italia. Sein Teamkollege wurde danach zu seinem größten Konkurrenten. Sein Name: Gino Bartali. Seitdem war dieser Pass Dutzende Male ein Teil der Giro-Strecke. So auch in diesem Jahr. Er liegt in den Dolomiten, führt auf bis zu 2239 Meter über dem Meer – und ist einer der schönsten Pässe der Welt: der Passo Pordoi. Hier erreichen die Fahrer, am vorletzten Tag der Rundfahrt, den höchsten Punkt des Giro d’Italia 2022.
Entscheidet sich hier der Kampf um die Gesamtwertung? Klar ist: Bei der Auffahrt von Canazei aus müssen die Profis auf rund 12,5 Kilometern 774 Höhenmeter überwinden. Am Ende der Etappe haben sie die rund 51.000 Gesamt-Höhenmeter des Giro 2022 fast komplett absolviert – und damit rund 4000 mehr als im Vorjahr.
Allein die potenzielle Königsetappe, die 16. von Salò nach Aprica, weist 5440 Höhenmeter auf. Zwischen dem Start in Budapest am 6. Mai und dem Finale in Verona stehen 21 Etappen, vier Bergankünfte, zwei Einzelzeitfahren und insgesamt 3410 Kilometer auf dem Programm. Wieder einmal ist der Giro ein Rennen für die Bergfahrer.
Der Start in Ungarn war bereits für 2020 geplant –musste jedoch pandemiebedingt verschoben werden. Nun ist es so weit. Die erste Etappe wird voraussichtlich eine für die Sprinter werden. Erst danach folgt der Prolog: ein 9,2 Kilometer kurzes Zeitfahren durch die historische Altstadt Budapests.
Mortirolo und Blockhaus
Auch das zweite Zeitfahren dieses Giro d’Itala am Schlusstag in Verona fällt kurz aus. Die Distanz: 17,1 Kilometer. Somit weist die Gesamtstrecke in diesem Jahr nur 26,3 Zeitfahrkilometer auf – so wenige wie seit 1962 nicht mehr.
Nach drei Etappen und einem ersten Ruhetag folgt die erste Etappe auf italienischem Boden. Und zwar ganz im Süden: auf Sizilien. Diese vierte Etappe wird die erste wirklich anspruchsvolle des Giro. Nach dem Start in Avola geht es über 166 Kilometer hinauf zum Ätna, zur ersten von vier Bergankünften. Drei weitere sowie zwei zusätzliche Bergetappen folgen in den kommenden zweieinhalb Wochen.
Nach dem zweiten Ruhetag startet das Peloton zunächst mit einer welligen Etappe in die zweite Woche. Es folgen zwei Sprint- und drei hügelige Etappen, bevor das bergige 15. Teilstück nach Cogne im Aostatal die zweite Rennwoche beendet. Die Rennstrecken in der Schlusswoche sind extrem anspruchsvoll. Sie beginnt mit der 5440-Höhenmeter-Königsetappe, während der der Giro potenziell entschieden werden könnte. Denn an diesem Tag steht den Fahrern der wohl härteste Anstieg der Rundfahrt bevor: der legendäre Mortirolo. Er gilt als einer der schwierigsten, fordernsten und steilsten Berge des Profi-Radsports. Seine Daten: 12,6 Kilometer, 962 Höhenmeter. Die Durchschnittssteigung: 7,6 Prozent. Die Maximalsteigung: 16 Prozent.
Nach dieser Etappe wird es kaum „einfacher“, denn schon am nächsten Tag warten die nächsten Pässe: Allein während der finalen 40 Kilometer dieser 17. Etappe sind zwei Anstiege der ersten Kategorie zu überwinden –der 12,4 Kilometer lange Passo del Vetriolo und der 772 Höhenmeter aufweisende Monte Rovere. Es folgt eine recht flache potenzielle Sprinter-Etappe – ehe das große Finale der Rundfahrt beginnt: mit der Bergankunft in Castelmonte. Die folgende 20. Etappe führt über den Passo San Pellegrino, den Passo Pordoi und den Passo Marmolada. Dies ist ein Tag, an dem das Klassement gemacht werden könnte.
Wer gewinnt den Giro d’Italia 2022?
Wer den Giro gewinnt, steht nach dem 17,1 Kilometer langen Einzelzeitfahren am Schlusstag in Verona fest. Die Streckenführung des Giro mit seinen wenigen Zeitfahrkilometern spricht naturgemäß vor allem Berg-Spezialisten an. Einer von ihnen: Der deutsche Tour-de-France-Vierte von 2019, Emanuel Buchmann. Er hat sich entschieden, in diesem Jahr auf die Tour zu verzichten und stattdessen den Giro als einen Saison-Höhepunkt einzuplanen. „Der Giro ist das erste ganz große Ziel für uns. Dort wollen wir aufs Gesamtklassement fahren. Deshalb nehmen wir auch keinen Sprinter mit ins Team“, sagt der Bora-Hansgrohe-Sportchef Rolf Aldag.
Neben Buchmann werden der Australier Jai Hindley und der Niederländer Wilco Kelderman im Giro-Aufgebot stehen – zwei Fahrer, die 2020 bereits einmal in die Top Drei der Gesamtwertung fuhren: Hindley als Zweiter, Kelderman als Dritter. Das deutsche Team Bora-Hansgrohe tritt demnach mit einer Dreier-Spitze in Italien an.
Emanuel Buchmann hat hier noch etwas gutzumachen: Im Vorjahr lag er zur Rennhälfte auf Rang sechs der Gesamtwertung – bis er während der 15. Etappe stürzte und den Giro verletzt aufgeben musste. Nun kehrt er zurück. Mit großen Ambitionen: „Nachdem die Strecke der Tour de France präsentiert wurde, haben wir im Team entschieden, dass diese Tour nicht wirklich für mich gemacht ist und ich mich stattdessen auf den Giro konzentrieren werde“, sagt er. „Der Giro ist in diesem Jahr extrem schwer“ – schwerer als die Tour. Wir werden mit einem Superteam antreten und versuchen, aufs Podium zu fahren.“
Titelverteidiger Egan Bernal nicht am Start
Der Vorjahres-Sieger wird nicht zu den Konkurrenten der Bora-Hansgrohe-Dreier-Spitze zählen. Denn: Egan Bernal verletzte sich im Januar bei einem Sturz in seiner Heimat schwer und musste mehrfach operiert werden. Statt Bernal könnte der Olympia-Sieger Richard Carapaz der Giro-Kapitän des einstigen Grand-Tour-„Über-Teams“ Ineos Grenadiers werden.
Neben dem Giro-Sieger von 2019 hat die britische Equipe auch seinen Nachfolger in ihren Reihen: Tao Geoghegan Hart gewann die Italien-Rundfahrt 2020 – völlig überraschend. Seitdem konnte er ähnliche Leistungen nicht wiederholen. Bis jetzt. Hart ist erst 26 Jahre alt. Sein australischer Teamkollege Richie Porte ist elf Jahre älter. Für ihn wird dieser Giro sein letzter werden. Diesmal wird er, der trotz seines Talents und seiner herausragenden Ergebnisse bei anderen Rennen nie eine Grand Tour gewinnen konnte, wohl als Helfer an den Start gehen.
Mit dem Niederländer Tom Dumoulin zählt ein weiterer früherer Gesamtsieger zu den Favoriten dieses Giro. Er kehrt damit an den Ort zurück, an dem seine Karriere 2019 beinahe tragisch zu Ende gegangen wäre: Während der vierten Etappe von Orbetello nach Frascati stürzte er und verletzte sich schwer am Knie. Noch im Vorjahr nahm er sich eine längere mentale Auszeit vom Profi-Radsport. Seither arbeitet er an seiner Rückkehr in die Weltspitze. Als Co-Kapitän seines Teams Jumbo-Visma könnte der junge Norweger Tobias Foss fungieren. Der heute 24-Jährige fuhr im Vorjahr dreimal in die Etappen-Top-Ten und auf den neunten Gesamtrang.
Giro d’Italia: Favoriten und Talente
Mit Thibaut Pinot aus dem Team Groupama-FDJ zählt ein weiterer großer Fahrer, der bislang enormes Verletzungspech hatte, zum erweiterten Favoritenkreis. Die beste Grand-Tour-Platzierung des 31-jährigen Franzosen stammt aus dem Jahr 2014: Gesamtdritter der Tour de France. Auch sein Landsmann Romain Bardet zählt seit Jahren zu den französischen Top-Bergfahrern. Er plant, in dieser Saison sowohl den Giro als auch die Tour zu bestreiten.
Völlig unabhängig von seiner Form, seiner Fahrweise und seiner Platzierung steht bereits jetzt einer der Stars dieses Giro fest: Vincenzo Nibali. Der „Hai von Messina“ wird nicht nur in seiner Heimat Sizilien gefeiert. Inzwischen ist der Giro-Gesamtsieger von 2013 und 2016, Vuelta-Sieger von 2010 und Tour-Sieger von 2014 37 Jahre alt.
Zu einem italienischen Helden machte sich im Vorjahr auch sein Landsmann Damiano Caruso: Der 34-Jährige startete als Helfer in den Giro – und beendete ihn als Etappensieger und Gesamtzweiter. Jedoch wird er wohl in diesem Jahr nicht in seiner Heimat starten. Der Giro-Kapitän seines Teams Bahrain Victorious wird aller Voraussicht nach Mikel Landa heißen. Der Spanier gewann im Vorjahr die Burgos-Rundfahrt –absolvierte aber eine eher schwache zweite Saisonhälfte. Ein Name, der seit Jahren traditionell auf den Favoriten-Listen auftaucht, lautet: Yates. Der eine Zwilling, Adam, startet für das Team Ineos – der andere, Simon, für die Equipe BikeExchange-Jayco. Im Vorjahr fuhr der Vuelta-Gewinner von 2018 beim Giro auf Rang drei. In dieser Saison will er mehr.
Zukünftiger Grand-Tour-Sieger
Zu den absoluten Top-Favoriten wird wohl auch der Portugiese João Almeida zählen: Er gilt als zukünftiger Grand-Tour-Sieger. Jedoch ist er nicht der Einzige innerhalb seines Teams: Vor dieser Saison wechselte er von Deceuninck – Quick-Step zum UAE Team Emirates – und damit in die Equipe des zweimaligen Tour-de-France-Siegers Tadej Pogačar. Almeida trug bereits 2020 15 Tage lang das Rosa Trikot des Gesamt-Führenden. Mit seinen erst 23 Jahren gilt er als Top-Talent.
Das gilt auch für einen weiteren Favoriten des Giro 2022 – einen Fahrer, der noch einmal fast zwei Jahre jünger ist als der Portugiese: Remco Evenepoel. Der Belgier lag im Vorjahr bis zur 15. Etappe auf Platz acht der Gesamtwertung. Und erlebte dann am Passo Giau in den Dolomiten einen Einbruch. Nur einen Tag später stürzte er – und musste aufgeben. Der 22-Jährige gewann bislang als Radprofi drei Eintagesrennen und sieben Rundfahrten. Er scheint kein Limit zu haben. Was er bei Grand Tours zu leisten imstande ist, wird dieser Giro d’Italia zeigen.
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Zahlen zum Giro d’Italia 2022
- 000 – Höhenmeter, 4000 mehr als im Jahr 2021, sind auf die 21 Etappen des Rennens verteilt
- 2239 – Meter hoch liegt der Pordoi-Pass – der höchste Punkt des Giro d’ Italia
- 201 – Kilometer ist die längste Tagesdistanz, am 3. und 11. Tag
- 176 – Fahrer werden am 6. Mai in Budapest an den Start gehen. Acht Fahrer pro Team
- 26,3 – Zeitfahrkilometer sind es insgesamt, verteilt auf zwei kurze Etappen
- 14 – der Auftakt in Budapest wird der 14. Auslandsstart des Giro seiner Geschichte sein
- 5 – Bergankünfte sind geplant: Ätna, Blockhaus, Cogne, Santuario di Castelmonte und Passo Fedaia
- 3 – Länder bereist der Giro in diesem Jahr: Ungarn, Italien und, kurz, Slowenien
Giro d’Italia 2022: Die Etappen
Etappe | Datum | Strecke | Streckenlänge |
1. Etappe | 6. Mai 2022 | Budapest – Visegrád | 195 Kilometer |
2. Etappe | 7. Mai 2022 | Budapest – Budapest – Einzelzeitfahren | 9,2 Kilometer |
3. Etappe | 8. Mai 2022 | Kaposvár – Balatonfüred | 201 Kilometer |
Ruhetag | 9. Mai 2022 | ||
4. Etappe | 10. Mai 2022 | Avola – Ätna | 166 Kilometer |
5. Etappe | 11. Mai 2022 | Catania – Messina | 172 Kilometer |
6. Etappe | 12. Mai 2022 | Palmi – Scalea | 192 Kilometer |
7. Etappe | 13. Mai 2022 | Diamante – Potenza | 198 Kilometer |
8. Etappe | 14. Mai 2022 | Neapel – Neapel | 149 Kilometer |
9. Etappe | 15. Mai 2022 | Isernia – Blockhaus | 187 Kilometer |
Ruhetag | 16. Mai 2022 | ||
10. Etappe | 17. Mai 2022 | Pescara – Jesi | 194 Kilometer |
11. Etappe | 18. Mai 2022 | Santarcangelo di Romagna – Reggio Emilia | 201 Kilometer |
12. Etappe | 19. Mai 2022 | Parma – Genua | 186 Kilometer |
13. Etappe | 20. Mai 2022 | Sanremo – Cuneo | 157 Kilometer |
14. Etappe | 21. Mai 2022 | Santena – Turin | 153 Kilometer |
15. Etappe | 22. Mai 2022 | Rivarolo Canavese – Cogne | 177 Kilometer |
Ruhetage | 23. Mai 2022 | ||
16. Etappe | 24. Mai 2022 | Salò – Aprica | 200 Kilometer |
17. Etappe | 25. Mai 2022 | Ponte di Legno – Lavarone | 165 Kilometer |
18. Etappe | 26. Mai 2022 | Borgo Valsugana – Treviso | 146 Kilometer |
19. Etappe | 27. Mai 2022 | Marano Lagunare – Castelmonte | 178 Kilometer |
20. Etappe | 28. Mai 2022 | Belluno – Passo Fedaia/Marmolada | 165 Kilometer |
21. Etappe | 29. Mai 2022 | Verona – Verona – Einzelzeitfahren | 17,1 Kilometer |