Everesting, Petersberg, R2C2
Everesting am Petersberg: Strategien, Erfahrungen, Tipps

Everesting: Ein Drama in fünf Akten

Everesting am Petersberg: Strategien, Erfahrungen, Tipps

Das Prinzip von Everesting ist einfach: Man fährt so häufig auf einen Berg, bis man 8848 Höhenmeter erreicht hat. R2C2-Mitglied Kay Tuschen hat den Selbstversuch gemacht.
TEILE DIESEN ARTIKEL

Das Vorspiel, oder auch: Warum macht man sowas?

Die Antwort auf diese Frage kann ich vorwegnehmen: Ich weiß es nicht, und daran hat sich auch nach der Aktion nichts geändert. Zurzeit häufen sich ja extrem lange Strecken bei Strava, und man schämt sich fast, Aktivitäten unter 100km Länge hochzuladen, und auch ich habe in dieser Zeit Spaß an langen Einheiten. Als ich über ein paar Ecken vom Everesting gehört habe, hat die Idee auf jeden Fall gleich gezündet. Das Wetter war den ganzen April über schon super, wegen der Corona-Pandemie gibt es keine Rennen, und irgendwie muss man ja Form abbauen. Aus Sorge, dass ich die Motivation schnell wieder verliere, entscheide ich mich für Samstag, den 2. Mai – es sollte das erste regnerische Wochenende seit Februar werden.

Ich lebe seit kurzem in Bonn und hatte davon gehört, dass der Ultracyclist Norman Franke vor zwei Jahren schon ein Everesting am Petersberg gemacht hat. Der Anstieg eignet sich mit knapp zwei Kilometern Länge, 183 Höhenmetern und damit 9,1% Steigung im Schnitt ganz gut – man braucht mit ca. 50 Wiederholungen und knapp 200 km nicht allzu viel Strecke, um das Everesting zu erreichen.

Alle Informationen zur R2C2-Mitgliedschaft gibt es hier.

Strategien für das Everesting

Bei einem Test habe ich vorab ein paar verschiedene Strategien ausprobiert und herausgefunden, dass ich mich bei 270 bis 300 Watt recht wohl fühle und darauf achten muss, an den steilen Stellen nicht zu sehr über die Schwelle hinauszutreten. Damit brauche ich ca. 13 Minuten für Auf- und Abfahrt. Ich plane mal großzügig 15 Minuten ein und rechne mit maximal 12,5 Stunden Fahrtzeit. Die 50 Wiederholungen will ich in fünf Sätzen à zehn Wiederholungen fahren.

Meine Verpflegungsstrategie ist recht simpel: Zwei Körbe voll mit Essen (Bananen, Schokobrötchen, Nudeln, Stroopwaffels, Pepsi, Wasser), damit ich viel Auswahl in meinen Pausen habe. Unterwegs gibt’s Riegel und Gels. Am Vorabend steige ich leicht aufgeregt ins Bett.

R2C2, Banner

Der RennRad Cycling Club – Deine Leidenschaft. Dein Club. Jetzt alle Informationen einsehen!

Erster Akt: Reh zum Frühstück

Um vier Uhr klingelt der Wecker und Regen trommelt auf die Dachfenster. „Spitzenidee“ sage ich mir, werfe mich in die Radklamotten und rolle bei angenehmen 4°C die 15km zum Fuß des Petersbergs. Kurz nach fünf starte ich in meine erste Auffahrt, an deren Ende ich erstmal meinen Verpflegungsbeutel für die erste Pause oben positioniere.

Die Strecke ist ziemlich nass und auf den Abfahrten friere ich ziemlich, aber ich finde meinen Rhythmus und die Rundenzeiten pendeln sich rund um 13,5 Minuten ein, während ich im Dunkeln auf meine Wattwerte starre und ab und zu einen Riegel esse. Gleich zu Beginn produziert der Garmin-Höhenmeter schon nur noch Chaos – daran sollte sich im Tagesverlauf nichts mehr ändern, ist mir aber auch wurscht. In der Dämmerung schauen ein paar Rehe vorbei und wundern sich wahrscheinlich über mich. Ich fahre den ersten Block komplett durch, schnappe mir oben meinen Beutel und verpflege mich ein paar Minuten, bevor ich gut motiviert in den zweiten Block starte.

Zweiter Akt: Kann mal jemand die Heizung anstellen?

Nach der Pause bin ich richtig kalt, und auf der Abfahrt fällt mir fast der Zinken ab. Die erste Auffahrt ist ziemlich zäh und ich frage mich das erste Mal, ob es jemand merken würde, wenn ich einfach wieder nach Hause fahre. Zum Glück wird es schnell besser und ich finde zurück in den vielbesungenen Flow. Dieser wird leider ab und zu unterbrochen, weil sich immer wieder vom Regen heruntergefallene Blüten und Blätter von der Straße in der Gabel und den Bremsen festsetzen.

Hätte nicht jemand die Straße für mich kehren können? Pünktlich zum Ende des Blocks taucht mein Bruder mit seinem Auto auf, das für den Rest des Tages mein Essenslager und Pausenraum sein wird. Die Pause im trockenen Auto tut gut und die Unterhaltung mit Mark lockert mich ein bisschen auf.

Everesting, Petersberg, R2C2

Pause im trockenen Auto

Dritter Akt: Heiter bis wolkig

Mit der Perspektive, dass die Halbzeit schon in Sicht ist und angespornt von zweistelligen Temperaturen im Sonnenschein starte ich in den mittleren Block. Mein Bruder wandert langsam den Anstieg hinab, knipst dabei ein paar Bilder und feuert mich noch ein bisschen an, bevor er die Bahn nach Bonn nimmt. Die Einsicht, dass ich ab jetzt bis zum Ende des Everestings keinen Menschen mehr sprechen werde, ernüchtert mich etwas.

Gleichzeitig macht sich langsam Schmerz in den Oberschenkeln breit und Riegel kriege ich nicht mehr wirklich runter. Ich steige komplett auf Gels um und versuche mich wieder auf die Wattwerte zu konzentrieren. Die Strecke trocknet dank des etwas besseren Wetters ein bisschen ab und ich kann auf den Abfahrten deutlich besser rollen lassen. Die Rundenzeiten sind weiter einigermaßen stabil, wenn aber auch mit 14:00 min im Schnitt etwas langsamer. In der 30. Auffahrt fängt es an, in Strömen zu regnen. Ich lobe mich für mein tolles Timing und verkrieche mich für die Pause ins Auto. Die Pause fällt etwas länger aus und ich nutze die Zeit, um mich gut zu verpflegen und trockene Radklamotten anzuziehen.

R2C2-Mitglied Kay Tuschen auf Instagram.

Vierter Akt: Drücken, Ziehen, Drücken, Ziehen

Der Regen legt sich langsam und nach einem kurzen inneren Disput bin ich davon überzeugt, dass ich die letzten beiden Sätze jetzt auch irgendwie über die Bühne kriege. Das Anrollen auf der wieder nassen Strecke fällt mir schwer, und auf der ersten Abfahrt nach der Pause rutsche ich zweimal fast weg. Außerdem ist es wieder richtig kalt und trotz der trockenen Kleidung fröstele ich schnell wieder. Scheint ein Spitzenblock zu werden. Die Wattvorgabe einzuhalten, fällt zusehends schwerer, was bei meinem Setup (52/36 zu 11-28) bedeutet, dass ich an den steileren Abschnitten eine unangenehm niedrige Trittfrequenz treten muss (alles unter 70 finde ich persönlich sehr unbequem).

Meine schmerzenden Beine freuen sich über diese zusätzliche Belastung. Ich versuche, konsequent alle zwei Wiederholungen ein Gel aufzunehmen, um nicht vom Rad zu kippen. Dank des Regens setzen sich auch die Bremsen und die Gabel immer mal wieder zu, einmal muss ich wegen der Blockade mit über 400 Watt über die Kuppe drücken, um nicht im Anstieg anhalten zu müssen. Was da das kleinere Übel gewesen wäre, kann sich jeder selbst ausmalen. Zum Ende des Blocks finde ich mich im Auto wieder und weiß nicht recht, wie ich ihn geschafft habe. Zehn noch, das klingt wenig.

R2C2, Kay Tuschen, Everesting

Das Everesting bringt R2C2-Mitglied Kay Tuschen an seine Grenzen

Fünfter Akt beim Everesting am Petersberg: Von Fans und Krämpfen

Auf der wieder deutlich trockeneren Strecke rolle ich halbwegs gefasst den Anstieg hinunter. Auf halber Strecke kommt mir eine winkende Gestalt auf einem Trekkingrad entgegen und brüllt mich aus voller Kehle an. Peter! Mein Mitbewohner ist aus Bonn rüber geradelt, um mich anzufeuern und versucht bei der nächsten Auffahrt gleichzeitig mitzufahren und mir seine Anfeuerungen zuzurufen. Ich hänge ihn zwar schnell ab, doch die gemeinsamen Meter tun mir unfassbar gut. Peter kündigt ein fulminantes Abendessen mit der ganzen WG an und macht sich auf den Rückweg.

Zusätzlich motiviert, wühle ich mich durch den letzten Block. Mein Magen quält mich und ich muss jetzt immer anhalten, um mich zu verpflegen, sonst werden die Krämpfe zu krass. Zur Mitte des Blocks überholt mich ein junger Typ auf seinem Rennrad und ich rufe ihm ein paar Anfeuerungen zu. Er zeigt sich empathisch und meint, ich sei sicher nur langsamer, weil ich ja schon zum zweiten Mal hochfahre (er hat mich unten beim Wenden gesehen). Als ich ihm erkläre, dass ich schon zum 46. Mal unterwegs bin, kippt er erst fast vom Rad und feuert mich dann eine ganze Weile an. Das hilft.

Everesting, Petersberg, R2C2

Eine harte Prüfung

Everesting am Petersberg: Am Ziel

Meine Rundenzeiten und Wattwerte liegen mittlerweile jenseits von Gut und Böse und sind mir nun auch herzlich egal. Insgesamt habe ich ans Fahren in diesem Block nicht so viele Erinnerungen. Ich will das Ding nur noch zu Ende fahren und motiviere mich mit Gedanken an Burger (kein Plan, wo die auf einmal herkommen) und vergangene Radrennen. Vor der letzten Runde stopfe ich nochmal alles rein, was ich in meiner Trikottasche finde und fahre irgendwie noch einmal auf der letzten Reserve den verdammten Berg hoch.

Nach 11 Stunden, 38 Minuten und 23 Sekunden habe ich es geschafft. In der Summe habe ich am Ende 9150 Höhenmeter erklommen. Ziemlich überwältigt muss ich mich oben erstmal hinlegen. Ich kann nicht wirklich realisieren, was ich da gerade geschafft habe und räume schweigend mein Fahrrad ins Auto und tausche die nassen Radklamotten endlich gegen eine trockene Jogginghose. In meiner WG werde ich mit Applaus und Veggieburgern empfangen – das muss wohl Gedankenübertragung gewesen sein. Laut Strava habe ich über 8000 Kalorien verbrannt, auf der Waage habe ich sogar 2,5 kg Körpergewicht verloren. Es gibt also Einiges aufzuholen.

Studie: Macht Schokolade schneller?

RennRad, Komoot, Ride Local, Banner

Ride Local! 2x RennRad und ein Komoot-Regionenpaket für nur 6,90 Euro!

Schlagworte
envelope facebook social link instagram