Dreiländergiro 2019: Alpenpässe in drei Ländern
Dreiländergiro 2019: Radmarathon über Alpenpässe in drei Ländern
in Race
Lange habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet, genauer gesagt 8 Monate. Unzählige Trainingskilometer habe ich in den Beinen – im Keller auf der Rolle, im Erzgebirge, vor der Haustür. Ich bin unglaublich nervös, immer wieder aufkommende Zweifel – kann ich das überhaupt schaffen? Noch nie bin ich einen Alpenpass gefahren. Und mit dem Stilfser Joch habe ich mir gleich mal die Königin der Pässe ausgesucht. Mehr als 1700 Hm soll es 24 km hinauf gehen. Worauf habe ich mich bei meiner Zusage für den Dreiländergiro nur eingelassen?
Am 26.6. landen wir in Nauders, ein traumhaft schön gelegener kleiner Ort in Tirol. Das Wetter passt perfekt und soll auch die weiteren Tage ideal bleiben. Abgesehen von der teilweise drückenden Hitze am Renntag kann es nicht besser sein. Blauer Himmel, Sonne, 30 Grad. Gegen 14Uhr checken wir im Hotel ein, gegen 15:00 ist bereits die erste 70km Ausfahrt zum Reinkommen angesetzt, mit Daniel Rubisoier. Rubi – Wer? Keine Ahnung, wer das ist. Aber netter Typ.
Wir fahren in Richtung Reschensee und dann weiter abwärts in Richtung Prad. Es ist traumhaft, mein Radfahrherz schlägt schon höher. Sofort genieße ich es. Aber was ist mit meinem Puls los? Eigentlich lockere Fahrt, trotzdem 10 Schläge/min mehr als ich eigentlich gewöhnt bin. Bestimmt die Höhe, Hitze oder mangelnde Fitness? Zweifel… In Prad treten wir den Rückweg an, aber ich kann die Verkehrsbeschilderung zum Stelvio schon sehen. Ich mache mir fast ein. Auf dem Rückweg radle ich neben Daniel. Wer war Daniel nochmal? 3x den Giro gewonnen und 4x Race Across the Alps (RATA). Irre, ich radle mit einer Berühmtheit!
Profigefühl kommt auf
Die nächsten Tage sind weitere Ausfahrten angesetzt, eine schöner als die andere. Und wir sind uns nicht zu schade, längere Anstiege (800Hm) zu fahren. Daniel und Robin (will den RATA fahren) neben mir. Robin verabschiedet sich. Ich fahre also mit Daniel allein nach oben. Er hat einen 120er Puls, ich bin schon bei 150/min. Je steiler es wird schnaufe ich mehr, er lacht. Und jetzt legt er auch noch den Finger in die Wunde. Er bescheinigt mir Talent, aber bemängelt die fehlende Grundlagenausdauer. Danke, er hätte auch gleich sagen können, ich gebe mir Mühe.
Am Freitag steht ein Leistungstest mit Laktatmessung an. Allein das lässt mich fliegen. Ich fühle mich wie ein Profi. Am Abend Auswertung. Rubi gibt mir Tipps, wie ich mit meinen Leistungswerten durchkomme und es wird funktionieren. Und wie. Je näher es rückt, umso unruhiger werde ich. In Nauders tummeln sich überall Radfahrer mit rasierten strammen Beinen. Ehrlicherweise sehe ich niemanden mit Wolle an den Beinen. Wieder kommt das Profigefühl in mir auf, alles richtig gemacht. Ich krache mir noch zwei große Portionen Pasta rein (war kaum zu schaffen), aber Carboloading ist wichtig vorm Start…sagt Daniel. Bis hierhin läuft alles nach Plan, aber ich kann verdammt nochmal nicht einschlafen. Es muss gegen 1 Uhr gewesen sein, bis ich endlich schlafe.
Rad-Marathon Tannheimer Tal 2019: Erfahrungsberichte
Sonntag, 4:30Uhr
Ich habe wenig geschlafen, bin aber putzmunter. Es kribbelt höllisch. Jetzt kommt ein weiteres Problem. 5:00Uhr ist Frühstück. Wie soll ich das hinbekommen und mir um diese Zeit was reinwürgen? Das schaffe ich nicht mal 2h später. Ich zwinge mich also, irgendein Müslizeugs reinzustopfen und dazu Rührei. Die Zeit verfliegt, Anziehen. Fertig. Und los zum Start. Es ist ca. 6:10Uhr, aber Nauders ist schon gefüllt mit lauter geschmückten Radfahrern, die am Start bereitstehen. Laute Musik, Highway to Hell.
6:30 Uhr – Start
Es geht los. Wir rollen locker den Reschenpass in Richtung Reschensee. Kenn ich alles schon. Wieder beachte ich Daniels Tipps. Ein Gel vorm Start, gemacht… Dann denke ich Mist, ich habe schon Hunger, also noch ein Gel und ich trinke viel, schwitze aber nicht. Ich bin also im Bilanzplus und merke es. 3x muss ich anhalten, um zu pinkeln. Plötzlich bin ich fast Letzter im Feld. Stört mich aber nicht. Ich fahre bewusst 120Puls. Ich werde teilweise von fahrenden keuchenden Kühlschränken überholt. Wie wollen die da durchkommen? Naja, mir ist es egal. Wir sehen uns bestimmt wieder…
Prad nähert sich. Noch ein Gel, will ja nicht schon in der Anfahrt abkacken. Prad, noch mal kurze Pinkelpause. Es wird wärmer. Ich ziehe Weste und Armlinge aus. Auf geht’s, Einfahrt ins Stilfser Joch. Lange halte ich meinen Puls von 120-130/min – sehr lange, was mich selbst wundert. Locker spule ich den ersten Teil ab. Die ersten keuchenden Kühlschränke wieder neben mir. Viele schon im Wiegetritt. An Gespräche mit ihnen nicht zu denken. Ich fühle mich gut und hänge mich an eine holländische Gruppe. Schon die Eindrücke am Fuss des Stelvio sind gigantisch. Ich genieße jede Minute. Und schon ist die erste Labestation in Sichtweite – Trafoi. Wieder muss ich pinkeln…so wird es aber nicht weitergehen. Bis hierhin war alles gut. Aber ich weiß, was noch kommt und ich versuche diszipliniert weiterzufahren. Je höher wir kommen, desto stärker steigt mein Puls, aber auch die Steigung.
„…sonst zerreißt es Dich“
Ich bin im Zielbereich…220-240 Watt bei 150 Puls. „…ich würde auf keinen Fall höher gehen…, …sonst zerreißt es Dich an der Norbertshöhe…“, höre ich Daniels Worte wieder in meinen Ohren. Ok, bloß nicht überpacen. Die ersten Haarnadelkurven…geil. Ich zähle runter und schon bin ich an Kehre 24. Ich halte die Luft an. Dieser Moment ist überwältigend, der Moment, den ich nur aus Videos oder von Bildern kenne. Der Blick nach oben ist frei – im Zick Zack soll es weiter gehen. Was für ein Anblick! Aber ich habe keine Angst. Ich weiß, was auf mich zukommt, denn ich habe sie alle gelesen. Die Texte in Foren und Rennradzeitschriften. Ich weiß also, dass das Schlimmste noch bevorstehen soll. Ich fahre also weiter in meinem Zielbereich.
Ich fühle mich gut, richtig gut und lasse einen nach dem anderen hinter mir. Ich bin euphorisiert von dem Moment, der Landschaft, ich genieße jede einzelne Kehre. Blick auf den Tacho – 9%Steigung. Alles gut. Noch 5km. Was? Nur noch 5km? Ok, bloß nicht überpacen. Soll noch schwerer werden. Kehre um Kehre, ich fühle mich immer noch gut, die Beine wirbeln. 1km!? Mist…nur noch 1km. Es ist so schön. Ich bin oben. Bormio – ich fliege! Ich habe es geschafft. Warum ist es nicht noch weiter bergauf gegangen? Ich fühle mich richtig gut. Das ohrenbetäubende Getümmel auf dem Gipfel nehme ich fast nicht war. Es ist frisch, aber nicht kalt. Ich aber klatschnass, was ich jetzt erst merke.
Auf Nibalis Spuren
Nach kurzer Verpflegungspause geht es jetzt auf dem Umbrailpass bergab. Eine tolle Abfahrt. Auf der Straße die Namen berühmter Radfahrer. Nibali kann ich erkennen, Pantani auch. Wow … die waren alle hier und ich bin es jetzt auch. Es wird wieder wärmer und wir fahren in Richtung Ofenpass. Davor fürchte ich mich. Ich weiß nicht was auf mich zukommt. Es war nichts zu finden im Netz. Vielleicht liegt es daran, dass ihn keiner mag. Zäh soll er sein (oh ja). Wir sind in der Schweiz, wieder eine atemberaubende Landschaft, aber die Hitze wird spürbar. Der Asphalt brennt und scheint zu kleben. Langsam geht es hoch. Die Köpfe der anderen Fahrer hängen. Ok…Du weißt nicht was auf Dich zukommt, also selbe Strategie. Ich fahre in meinen Bereichen und es soll wieder funktionieren. Trotzdem … lieber fahre ich den Stelvio nochmal hoch als diesen Ofenpass nach oben zu kriechen. Knatternde Motorradfahrer und Busse ziehen vorbei – wie das nervt.
Dieser Ofenpass ist wirklich zäh, aber ich komme noch relativ locker hoch. Die Hitze setzt mir jetzt zu, fast 40°. Wir sind oben – geschafft. Ein Drecksberg. Ich entspanne mich, denn jetzt soll eine lange Abfahrt in Richtung Norbertshöhe kommen. Naja … auch nicht ganz ohne. Der Anfang ist toll. Wir knallen ins Tal, Gegenanstieg. Der ist ordentlich. Dann geht’s durch mehrere Tunnel auf eine ewig lange Bundesstraße. Dieser Teil gefällt mir nicht. Ein mentales Tief. Es ist heiß, ich bin alleine und es ist monoton. Bin ich noch richtig? Waren doch 1500 Teilnehmer gemeldet für diese Strecke. Kein anderes Schild gesehen… Ich fahre weiter. Mein Nacken brennt. Warum eigentlich? Sonnenbrand. Mist. Ich bleibe bei meiner Strategie…Zielbereich? Passt! Essen – diese Gels, ich könnte sie nur noch rauskotzen. Die sind so widerlich, aber ich muss die Dinger futtern. An den Labestationen gibt es auch nichts Besseres.
All out!
Die Bananen kann ich nicht mehr sehen, würge sie aber runter. Bloß keinen Hungerast. Meine Getränke sind mittlerweile warm, geschmacklich alles andere als lecker. Ein Norweger schließt auf. Gemeinsam spulen wir in Richtung Norbertshöhe. Letzter Stopp. Es ist unglaublich heiß, 45°. Der Schweiß läuft an mir in Strömen runter. Musik, ich brauche jetzt Musik. Flaschen gefüllt, Musik an und los geht’s. Die Norbertshöhe kenne ich, schön gleichmäßig geht’s 7km hoch.
Jetzt nochmal All out. Ich kurbel das Ding hoch, lasse einen nach dem anderen hinter mir, die meisten kriechen nur noch. Ich ziehe hoch wie entfesselt. Noch ein Gel, dann nichts mehr. Aber ich trinke fast 2 Flaschen auf 7km leer. Ich bin überwältigt, ich habe das Ding hier gerockt. Tränen kommen mir, die Anspannung weicht einem unglaublichen Glücksmoment. Der höchste Punkt ist erreicht. Jetzt geht es schnell bergab nach Nauders. Die Ziellinie nähert sich … ich bin durch. Ich habe es geschafft. Ich bin so stolz auf mich. 7h41min habe ich gebraucht. Ich bin erschöpft, aber weiß, dass ich wiederkommen werde!