Endlos
Christoph Strasser gewährt Einblicke ins Race Across America
in Race
Christoph Strasser durchquerte die USA auf einem Rennrad mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25,56 km/h – Pausen eingerechnet. 4.940 Kilometer und 50.000 Höhenmeter in rund acht Tagen. Dies war die zweitschnellste Zeit, die bei dem wohl härtesten und berühmtesten Extrem-Langstreckenrennen der Welt je gefahren wurde, dem Race Across America.
Der Rekordhalter heißt: Christoph Strasser. Dies war sein fünfter Sieg. Sein Vorsprung auf den Zweitplatzierten: ein Tag, elf Stunden und zehn Minuten. Nur zwölf Mal steigt Strasser vom Rad, um zu schlafen. Meist zwischen 25 und 70 Minuten lang. Das erste Mal nach 35 Stunden auf dem Rad – und nach 1150 Kilometern mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 31,6 Stundenkilometern. Die erste Pause: ein Power-Nap im Begleitfahrzeug. Auf dem Beifahrersitz, mitten in der zweiten Nacht des Rennens. Für wenige Minuten schließt er die Augen, entspannt. Dann fährt er weiter. Seine Gesamtschlafdauer innerhalb dieser acht Tage: acht Stunden und 18 Minuten. Wenn Strasser anhält, dann geschieht Vieles auf einmal. In der Hitze der Wüste steigt er einmal pro 24 Stunden für einen „Erfrischungsstopp“ vom Rad. Je fünf Minuten lang.
Dieser Artikel erschien in RennRad-Ausgabe 8/2018. Jetzt bestellen!
Race Across America: Ein Kampf gegen sich selbst
Zwei Betreuer stützen ihn und helfen ihm dabei, sich in den Begleitwagen zu setzen. Darin läuft die Klimaanlage. Seine Helfer wechseln Trinkflaschen, pumpen die Reifen auf, schmieren die Kette, cremen ihn mit einem Kühlgel und Sonnenschutz ein, bereiten einen Eimer voll Eiswasser vor. Strasser kühlt darin seine Hände – und schüttet sich den Inhalt danach über den Kopf. Abfahrt. Jede Pause läuft ab wie ein Boxenstopp der Formel-1.
Ralph Diseviscourt aus Luxemburg war auf dem Rad gleich schnell unterwegs, mindestens. Doch er verbrachte 36 Stunden mehr nicht auf dem Rad. „Wenn er es schafft, seine Stehzeiten zu reduzieren, wird er auf Augenhöhe sein. Viele Siegfahrer der vergangenen Jahre haben auch nur eine Stunde Schlaf pro Tag gebraucht“, sagt Christoph Strasser. Vor fünf Tagen kam er ins Ziel. Er ist bereits wieder Zuhause, in Graz. „Für einen Urlaub bin ich körperlich noch zu schlecht drauf. Man ist immer noch langsam, von den Bewegungen her, aber vor allem vom Denken.“
Dieses Race Across America (RAAM) war ein besonders für ihn. Mit seinem fünften Sieg egalisierte er den Rekord des 2010 bei einem Trainingsunfall tödlich verunglückten Slowenen Jure Robič. Dieses RAAM war auch ein Rennen mehr gegen sich selbst als gegen andere. „Wir haben ständig die Durchfahrtszeiten mit denen der Vorjahre verglichen. Die Zeit war der Gegner.“
Weniger Trinken
Christoph Strasser startet extrem schnell. Das Ziel: Noch bei Tageslicht die Rocky Mountains erreichen. Am Tag liegen die Temperaturen in den Bergen bei rund 30 Grad Celsius, nachts sind es auf den Passhöhen um null Grad. „Die Müdigkeit in der ersten Nacht war schlimm. Meine Wattleistung lag nur zwischen 180 und 200, statt zwischen 250 und 280. Generell sind die ersten Tage mit am schwierigsten. Auch weil man so gut wie keine menschliche Interaktion hat. Während den ersten vier Tagen muss das Begleitauto Abstand halten. Das heißt, dass wir meistens keine Funkverbindung haben. Man tritt also alleine vor sich hin. Das macht es psychisch noch viel schwieriger.“
Es ist fast durchgehend heiß, tagsüber, 35 bis 45 Grad. Geregnet hat es nur am letzten Tag des Rennens. Trikot und Radhose sind ständig nass vor Schweiß. Das Wasser rinnt durch den Körper – und der Durst wird von Stunde zu Stunde quälender. Denn Strasser darf nicht trinken, was und wie viel er will. „Zu viel zu trinken, ist ein großes Problem. Als ich 2015 beim RAAM ausschied, hatte ich zu viel getrunken. Ich war aufgeschwemmt. Deshalb war unser Konzept: wenig trinken, maximal ein Liter pro Stunde. Vor allem in der Hitze der Wüste, bei 42, 43 Grad, war das extrem hart. Ich habe ständig gejammert und versucht mehr zu bekommen, aber mein Team blieb hart. Sie haben dann teilweise die Trinkflaschen nur zu einem Viertel mit der Elektrolytmischung gefüllt, damit ich denke, dass ich genug neue Flaschen bekomme.
Als einzige Abwechslung zu den Mineralgetränken und meiner kalorienreichen Flüssignahrung „Ensure“ gab es pro Tag eine halbe Dose Cola. Reines Wasser ist bei einer solchen Belastung Gift.“
Christoph Strasser und das ungewöhnliche Kopfkino
Früher waren die meistgedachten Wunschgedanken während eines Langstreckenrennens jene an: ein Steak mit Kartoffeln und Gemüse – und an ein weiches Bett und genug Zeit zum Ausschlafen. Diesmal sah Strasser in seinem Kopfkino: eine Zweiliter-Flasche kaltes sprudelndes Mineralwasser mit Zitrone.
Christoph Strasser: Neuer 24-Stunden-Weltrekord
Christoph Strasser fährt streng nach den Wattzahlen seines Powermeters, immer wieder wechselt er zwischen seinem Renn- und seinem Zeitfahrrad hin und her. Sein Training hatte er zuvor umgestellt. Hin zu kürzeren, aber deutlich intensiveren Intervallen deutlich oberhalb der anaeroben Schwelle. „Die ungewohnte Belastung, der Schmerz, das war anfangs die Hölle. Aber im Rennen habe ich gespürt, dass ich harte Belastungen besser wegstecke und besser regeneriere – auf dem Rad.“ Diese Fähigkeit unterscheidet den 35-jährigen Grazer wohl von fast allen anderen Radsportlern: Er kann sich auch während eines Extremrennens wie dem RAAM während der Fahrt erholen. Und er geht anders an den Radsport heran als die meisten. „Ich mag einfach, was ich tue. Das Radfahren ist mein Beruf. Das ist ein großes Glück für mich und ich bin sehr dankbar dafür. Qualen wie während der acht Tage des RAAM nehme ich dafür in Kauf. Ich hatte eine Phase, in der hatte ich nach 36 Tagen Training meinen ersten Ruhetag. Im Durchschnitt gibt es bei mir alle drei bis vier Wochen einen Tag, an dem ich nicht Rad fahre. Wenn ich mich erholen will, fahre ich vier Stunden lang Grundlage. Die Regeneration findet auf dem Rad statt.“
Christoph Strasser: Todesangst
Auf dem Rennrad wäscht er sich, putzt die Zähne, telefoniert, debattiert mit seinen Helfern, lässt sich Emails vorlesen und Witze erzählen, trinkt seine „Ensure“-Flüssignahrung, die alles enthält, was der Körper braucht: Kohlenhydrate, Proteine, Fette, Mineralien – ein kleines Fläschchen enthält 300 Kalorien. Strasser nimmt bis zu 13.000 Kalorien pro Tag zu sich. Auf dem Rad erlebt er Glücksmomente. Sonnenaufgänge. Rehe, die vor ihm über eine unbefahrene Straße springen. Anfeuerungsrufe von vorbeifahrenden Autofahrern. Und er erlebt Abgründe. Todesangst.
„In den Appalachen mussten wir 180 Kilometer auf einem Highway fahren. Da ging es immer hoch und runter. Der Seitenstreifen war eine Müllhalde. Auf die Fahrbahn konnte man wegen des Verkehrs aber auch nicht. Nach der Passage fingen sofort die steilen Rampen an. Am Ende der ersten überholte mich ein Rie-sen-Truck, der drei Meter hoch Autoschrott geladen hatte. In dem Moment kam ein anderer Truck entgegen. Der Fahrer zieht nach rechts – und der Hänger schrammt zehn Zentimeter an mir vorbei. Ich habe sofort angehalten. Und wollte nicht mehr weiterfahren. Erst meine Crew hat mich wieder überredet.“
Christoph Strassers neuer Weltrekord durch Australien
Die letzten Stunden vor der Zieleinfahrt
Strasser steigt wieder auf sein Rad. Es ist nicht mehr weit bis nach Annapolis, bis zur Ostküste der USA, bis ins Ziel. Die letzten Stunden vor der Zieleinfahrt: „Ich war grantig, zornig. Ich habe gekämpft bis drei Stunden vor dem Ziel. Bis feststand, dass ich die Acht-Tage-Marke nicht schaffen werde. In der letzten Nacht habe ich nur 25 Minuten geschlafen – ein Power-Nap, mehr nicht. Ich habe alles versucht, alles. Deshalb war ich zu fertig, zu müde, zu ausgelaugt, um mich zu freuen. Und zudem ist die Zielanfahrt eine Katastrophe. Mit extrem viel Verkehr, schlechter Luft, Lärm. Die Trucks und Pick-Ups mit ihren Riesenmotoren sind so viel lauter als die Autos und LKW in Europa.
Wenn die dicht vorbeifuhren und Gas gaben, hat es einem fast das Trommelfell zerrissen. Der zweite Österreicher, der gut unterwegs war, Thomas Mauerhofer, hatte in dieser Phase einen Unfall mit einem Auto. Das habe ich zum Glück erst im Ziel erfahren, sonst hätte ich noch größere mentale Probleme bekommen. Auch bei der Fahrt über die Ziellinie habe ich weder Euphorie noch Glück noch Erleichterung gefühlt. Die Freude im Ziel ist mehr geschauspielert.“