120 Gramm/Stunde
Kohlenhydrate und Leistung: Ernährung, Gesundheit, Abnehmen
in Ernährung
Kohlenhydrate und Leistung – beides hängt zusammen. Doch: Gilt die Regel des „je mehr desto besser“? Und wie viel ist möglich? Wie viele Kohlenhydrate kann man während einer sportlichen Belastung – etwa einem Radrennen oder einem Marathon – aufnehmen und verstoffwechseln?
Dies sind Grundsatzfragen der Ernährungs- und der Sportwissenschaft. Fragen, in denen sich in den vergangenen Jahren extrem viel getan hat. Eine neue Erkenntnis folgte auf die Nächste. Einst ging man davon aus, dass maximal 50 bis 60 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde effizient aufgenommen werden können. Vor einigen Jahren wurde diese „Gewissheit“ nach einer Reihe neuer – und wie sich herausstellte valider – Studien durch eine Neue ersetzt. Die da lautet: Trainierte Athleten können während der Belastung bis zu 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde verwerten. Wenn ein bestimmter Zuckermix eingesetzt wird – ein Mix aus Fruktose und Glukose.
In einzelnen Studien wurden mit dieser Kombination bis zu 105 Gramm pro Stunde oxidiert – wenn 144 Gramm eingenommen wurden. Bei solchen Mengen kommen natürlich, neben den Parametern „Menge“ und „Leistung“, auch weitere wichtige Faktoren hinzu. Diese lauten zum Beispiel: die Verträglichkeit, die Aufnahmefähigkeit und natürlich der Geschmack.
Mehr Kohlenhydrate – mehr Leistung
Nun könnte auch diese Zahl in Frage gestellt werden. Durch Beobachtungen und darauffolgende Untersuchungen spanischer Forscher. Für ihre aktuelle, 2020 im Journal „Nutrients“ erschienene Studie, griffen sie auf Top-Athleten als Probanden zurück: Spitzen-Langdistanz-Bergläufer. Unter ihnen waren zwei Weltmeister in dieser Disziplin.
Die beeindruckenden Ergebnisse vorab: Diese legen nahe, dass Top-Athleten stündlich bis zu 120 Gramm Kohlenhydrate verwerten können – und diese Mehraufnahme im Vergleich zu Mengen von 60 oder 90 Gramm pro Stunde mit Leistungsvorteilen verbunden ist. Die Forscher ließen dazu 26 männliche Elite-Ultraausdauersportler einen Wettkampf, einen selbstorganisierten Bergmarathon, absolvieren.
Die Athleten wurden nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen unterteilt: niedrig, 60 Gramm, mittel, 90 Gramm und hoch, 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde. Die Versuchsgruppe wurde nach und nach an die erhöhte Kohlenhydrataufnahme gewöhnt. Zum Ende des Untersuchungszeitraums absolvierten alle Probanden einen „Praxis-Wettkampf-Test“: einen 4000 Höhenmeter umfassenden Ultra-Berglauf. Vor und nach dem Lauf wurden unter anderem die wahrgenommene Anstrengung und mehrere Blut-Marker für Muskelschäden, wie etwa der Kreatinkinase- oder der Laktatdehydrogenase-Wert, gemessen. Zudem absolvierten die Läufer je zweimal einen Abalakov-Sprungtest und einen maximalen Halbhockentest als indirekte Ergebnisse der neuromuskulären Funktion. Und: Sie führten einen aeroben Leistungskapazitätstest jeweils vor und 24 Stunden nach dem Rennen durch, um ihre glykolytische Kapazität festzustellen.
Interne Ermüdung
Die Ergebnisse: Die interne Ermüdung, die Zeit bis zur Ermüdung und Laktatkonzentrationen während des Leistungstests waren in der „HIGH-Kohlenhydrat-Gruppe“ signifikant niedriger als in den anderen beiden.
Ergo: Die Athleten, die während der Ausdauer-Belastung 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde zu sich genommen hatten, wiesen nach dem Wettkampf deutlich niedrigere CK- und LDH-Werte auf. Ihre muskuläre Belastung war demnach signifikant niedriger als die jener Probanden, die weniger Zucker zu sich nahmen. Somit sind positive Auswirkungen auf die Verzögerung der Ermüdung und die Verbesserung der Erholung der neuromuskulären Funktion und der glykolytischen Kapazität festzustellen.
Magen-Training
Bislang ging man davon aus, dass es nicht möglich sei, solche Mengen an Kohlenhydraten aufzunehmen. Dass dies möglich ist – und zudem Leistungsvorteile bringen kann – ist eine Nachricht, die wohl zum Erstellen mehrerer weiterer Studien führen wird.
Der Sport-Ernährungs-Experte Asker Jeukendrup kontaktierte den Erstautor dieser Studie: Aitor Viribay. Der junge Spanier fuhr einst selbst als Semiprofi in der U23-Klasse auf internationalem Niveau. Jeukendrups erste Frage an ihn: „Ist es wirklich möglich, 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde aufzunehmen?“ Aitor Viribays Antwort: „Auf jeden Fall, ja. Wir sehen das jeden Tag bei Profi-Radsportlern, die große Rennen gewinnen, und bei Eliteläufern, die neue Rekorde aufstellen. Es ist klar, dass Elite-Athleten diese Einnahme wirklich gut vertragen, wenn sie trainiert sind. Wir sahen, dass große Rennen in der Welt – wie der Giro d‘Italia, die Tour de France, der Ironman Hawaii, der Berlin-Marathon – mit ähnlichen Methoden gewonnen wurden.“
Sechs-Phasen-Plan
Viribay entwickelte, davon ausgehend, einen Sechs-Phasen-Plan, mit dem Athleten ihre Anpassung an eine erhöhte Kohlenhydrat-Aufnahme optimieren können – nach und nach. Diese Phasen sind: Mehr Flüssigkeit aufnehmen, gezielt zunächst mehr Früchte, beziehungsweise Fruktose, zu sich nehmen, zusammen mit ausreichend Flüssigkeit – in Form von isotonischen Getränken.
Danach steigert man seine Zucker-Aufnahme während des Trainings sanft: beginnend mit zehn bis 40 Gramm stündlich und dann immer weiter steigernd bis zu 90 Gramm. Die finalen Phasen sind darauf ausgerichtet, die individuell maximal tolerierte Kohlenhydrat-Menge zu erreichen – ohne Magen- beziehungsweise Verdauungsprobleme zu provozieren. Dazu sollten Trainings- und Wettkampf-Ernährungs-Protokolle geführt werden.
Gesundheit
Der Faktor „mehr Leistung durch eine optimierte Ernährung“ ist ein wichtiger Parameter für Athleten – der Faktor „eine dauerhaft gesunde Ernährung“ ein anderer. Gefühlt werden dazu, was eine „gesunde Ernährung“ ist, täglich neue Bücher veröffentlicht. Allein das Sachbuch „der Ernährungskompass“ des Journalisten Bas Kast stand monatelang auf der Bestsellerliste.
Prinzipiell ist es einfach, sich gesund zu ernähren. Mit Gemüse, Salat, Hülsenfrüchten – nach den Prinzipien: frisch, regional, bunt, selbstgekocht. Dennoch sieht die durchschnittliche „westliche Ernährung“ heute ganz anders aus. Dass Junk-Food, Chips, Limonade, Süßigkeiten, Fertigpizzen und Co. dauerhaft ungesund sind, weiß jeder. Doch es besteht in weiten Teilen der Gesellschaft eine massive Diskrepanz zwischen Wissen und Tun, beziehungsweise Essen.
Die Auswirkungen von schlechter Ernährung
Wie schnell und massiv sich eine „schlechte“ Ernährungsweise im Körper auswirken kann, untersuchten jüngst australische Forscher. Ältere Untersuchungen zeigten, dass Probanden bereits nach sieben Tagen einer Diät mit einem hohen Gehalt an Zucker und gesättigten Fettsäuren bei Gedächtnistests signifikant schlechter abschnitten – zudem wuchs ihr Appetit auf solche Junk-Food-Lebensmittel stark an.
„Frühere Arbeiten an Tieren haben gezeigt, dass Junk-Food den Hippocampus beeinträchtigt, eine Hirnregion, die an der Gedächtnis- und Appetitkontrolle beteiligt ist“, sagt Richard Stevenson, Professor für Psychologie an der Macquarie-Universität, Sydney. Er und sein Team rekrutierten 110 gesunde schlanke Probanden im Alter von 20 bis 23 Jahren. Die Hälfte von ihnen wurde nach dem Zufallsprinzip einer Kontrollgruppe zugeteilt, die sich eine Woche lang normal, wie gewohnt, ernährte. Die andere Hälfte wurde auf eine energiereiche westliche Diät gesetzt. Vor und nach diesem Zeitraum absolvierten alle Studien-Teilnehmer Wortgedächtnistests – und bewerteten nach dem Verzehr eine Reihe von sehr zuckerreichen Nahrungsmitteln, wie etwa Coco Pops, Frosties und Froot Loops.
Das Ergebnis: Die Probanden der Fast-Food-Gruppe hatten, auch wenn sie satt waren, signifikant mehr Appetit auf ungesunde stark zuckerhaltige Lebensmittel. Und: Es fand sich ein Zusammenhang zwischen dem Konsum solcher Lebensmittel und verschlechterten kognitiven Leistungen. Demnach könnte bereits eine Woche einer „westlichen Diät“ die Gehirnfunktion gesunder junger Menschen beeinträchtigen.
Gutes Fett
Dieser „westlichen“, steht die sogenannte Mittelmeer-Diät gegenüber. Diese zeigt seit Jahrzehnten in Vergleichsstudien gute oder sehr gute Gesundheitseffekte. Die Inhalte: Fettfisch, Gemüse, Kräuter, Salate, Hülsenfrüchte, Olivenöl – und mehr. Zu den Effekten hochwertigen Olivenöls finden Sie einen eigenen „Wissen-ist-Macht“-Artikel in der RennRad-Ausgabe 9/2020. Darin wird noch einmal deutlich, wie falsch man früher mit der generellen Verteufelung des „Dickmachers“ Fett lag.
Auf die „richtigen“ Fette kommt es an. So können Omega-3-Fettsäuren die Regeneration und das Immunsystem stärken. Sie werden in die Membrane der Muskelzellen eingelagert, wirken entzündungshemmend und können einen positiven Einfluss auf die Verletzungsanfälligkeit haben. Enthalten sind sie etwa in Leinöl, Kokosmilch, Makrele, Hering, Lachs.
Meiden sollte man hingegen eher Omega-6- sowie gehärtete Fettsäuren: Diese stehen in einer Relation zu Herzproblemen und -infarkten sowie einer verminderten Muskelleistung. Sie sind unter anderem in Distel-, Soja-, Sonnenblumen- oder Maiskeimöl zu größeren Anteilen enthalten.
Bedeutung des Energieträgers Fett
Die enorm wichtige Bedeutung des Energieträgers Fett – auch für das Thema „Abnehmen“ – wurde inzwischen durch etliche Studien deutlich. So etwa durch eine der Harvard University, USA. Bei dieser wurde eine sehr fettarme Ernährung mit einer relativ fettreichen verglichen.
Das Ergebnis: Die Probanden, die sich nach einem Speiseplan, wie er in Mittelmeerregionen – mit viel Fisch und hochwertigen Pflanzenfetten wie etwa aus Olivenöl – typisch ist, ernährten, nahmen mehr und nachhaltiger ab als die Fettverweigerer: durchschnittlich 4,5 Kilogramm innerhalb von 18 Monaten. Und damit 1,5 Kilogramm mehr als die Probanden, die sich fettarm ernährten.
Eine weitere wichtige Ernährungsfrage lautet: Gehören zu einer „gesunden Ernährung“ auch Nahrungsergänzungsmittel? Diese sind gerade unter Athleten weit verbreitet. Doch sie sind, so ist der Stand der Wissenschaft, in der Regel unnötig. Manche, wie etwa Vitamin C in sehr hohen Dosen, können sich sogar negativ auswirken.
Niedrige Eisenwerte bedeuten niedrige Leistungsfähigkeit
Für den Ernährungsexperten Dr. Wolfgang Feil gibt es jedoch mehrere Sonderfälle. „Vor allem zwei Mineralien: Eisen und Zink“, sagt er. „Der Ferritinwert sollte immer über 100 liegen. Damit haben viele Sportler Probleme, gerade solche, die kein oder wenig Fleisch essen. Veganer sollten am besten einmal pro Quartal ihren Ferritinspiegel messen lassen.“
Denn niedrige Eisenwerte bedeuten in der Regel auch: eine niedrige Leistungsfähigkeit. Auf Eisen beruht das für die Muskelleistung entscheidende Sauerstoff-Transportsystem des Körpers.
In einer negativen Wechselwirkung dazu steht: Zink. Das Mineral ist an mehr als 150 Stoffwechselprozessen beteiligt. Es wird etwa bei einer Virus-Belastung des Körpers stark verbraucht. „Bei vielen Sportlern ist der Zinkspiegel kritisch. Wegen seiner immunfördernden Effekte gehört es auch in jeden guten Regenerationsshake.“
Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2020. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.