Energieeffekt
Kalorien und Leistungsfähigkeit: Kohlenhydrate, Hunger, Energie
in Ernährung
Man fährt, man tritt, man geht aus dem Sattel, man schwitzt, man leistet etwas – und freut sich dabei. Auf das Ankommen, die Dusche, ein kühles Getränk, ein, zwei, drei Portionen von etwas Leckerem. So weit, so normal. Generell gilt: mehr Sport – weniger Gewicht. Oder? So könnte, so sollte die Gleichung lauten. Doch: Diese geht nicht immer auf. Die dem gegenlaufenden Mechanismen heißen zum Beispiel: Ausgleichs- und „Belohnungsessen“. Diesen Zusammenhang zwischen Bewegung und Essgewohnheiten untersuchten unter anderem Forscher der Technischen Universität München und der University of Nebraska, USA, in einer gemeinsamen Studie.
„Im sportlichen Kontext haben wir häufig das Phänomen, dass Menschen nach dem Sport besonders viel essen. Die Menschen wollen sich und ihren Körper dafür belohnen, dass sie aktiv sind. Wir wollten mit unserer Studie schlicht herauszufinden, warum Menschen nach dem Training mehr essen, als wenn sie nicht trainieren“, sagte Professor Karsten Köhler von der TU München. Das Experiment umfasste 23 Frauen und 18 Männer im Alter von 19 bis 29 Jahren, die nach dem Zufallsprinzip jeweils zwei Gruppen zugeordnet wurden. In einem ersten Test absolvierte eine der Gruppen eine 45-minütige Radtour – die anderen Probanden bewegten sich nicht beziehungsweise normal. Später wurden die Aufgaben zwischen den beiden Gruppen vertauscht.
Training und Hunger
Alle Teilnehmer mussten vor und nach der Trainingseinheit je Fragebögen zu ihrem Hunger-, Körpergefühl et cetera ausfüllen.
Das Ergebnis: Jene Probanden, die der Sport-Gruppe zugeteilt waren, wählten nach dem Radfahren stets sehr viel größere Portionen als die anderen. Das akute Hungergefühl wuchs enorm. Laut den Forschern ändert die Bewegung die Art und Weise, wie man, stets aktuell, über Essen denkt. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass körperliche Anstrengung diejenigen, die Sport treiben, dazu verleiten kann, nach dem Training schneller größere Mengen an Nahrung zu sich zu nehmen. Da Gewichtsverlust für viele eine Hauptmotivation für das Training ist und das Versäumnis, den gewünschten Gewichtsverlust zu erreichen, es wahrscheinlich macht, mit dem Training aufzuhören, könnte es eine gute Strategie sein, schon vor dem Training festzulegen, was man danach essen will“, sagt Professor Köhler.
Diese gefundene Erhöhung der gewünschten Kalorienmenge war sowohl unmittelbar nach dem Training als auch 30 Minuten danach je signifikant erhöht. Dieses Experiment zeigte, dass schon ein einziges recht kurzes und wenig intensives Training die Wahrnehmung der Nahrungsmenge klar änderte – hin zu einem unmittelbareren Konsum und einer deutlich gesteigerten Kalorienmenge.
Stoffwechsel trainierter Sportler
Es zeigt sich auch hier: Viele Studienergebnisse im Ernährungs- beziehungsweise Gewichtsmanagement-Bereich sind nicht ohne Weiteres auf Athleten übertragbar – denn sie werden in der Regel mit weniger sportlichen, oft übergewichtigen Menschen durchgeführt.
Trainierte Sportler haben einen anderen Stoffwechsel, einen anderen Alltag, andere Ernährungsgewohnheiten und andere potenzielle Probleme zu beachten. So kann der gezielte Gewichtsverlust häufig mit einer Abnahme der Muskelmasse und der Knochendichte einhergehen.
Dies zeigte unter anderem eine Studie von Murphy und Köhler aus dem Jahr 2020: Die Teilnehmer, trainierte Männer und Frauen zwischen 19 und 30 Jahren mit einem recht geringen Körperfettanteil, durchliefen je drei Tage eine Ernährungsstrategie mit verminderter Energiezufuhr von 15 Kalorien pro Kilogramm fettfreier Masse, wobei sie nach dem Training entweder einen Protein- oder einen Kohlenhydratshake bekamen. Die Kontrollgruppe durchlief eine Strategie mit 40 Kalorien pro Kilogramm fettfreier Masse und einem Kohlenhydratshake nach dem Training. Alle erhielten zusätzlich noch 1,2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht.
Kraft und Proteine
In vorangegangenen Studien zeigte sich die Energierestriktion als förderlich zum Abnehmen und die zusätzliche Supplementation von 1,2 Gramm Protein als Vorteil für den Erhalt der Magermasse, in Kombination mit Krafttraining. In dieser Studie konnte festgestellt werden, dass eine Kohlenhydrat-Restriktion eine endokrine anabole Resistenz bedingt, ergo der Muskelaufbau schwieriger zu stimulieren ist, selbst wenn zusätzlich noch Molkenprotein zugeführt wird.
Ein weiteres Mittel, um dem Muskelabbau während einer Phase der Kalorienreduktion entgegenzuwirken, lautet: Krafttraining. Zahlreiche Studien zeigten, dass dadurch die Muskelmasse und die Knochendichte in Gewichtsabnahme-Phasen erhalten bleiben können beziehungsweise weniger beeinträchtigt werden.
Doch die Effekte einer nicht ausreichenden Nahrungsaufnahme sind enorm. Dies verdeutlichten etwa die Befunde einer Studie von Jeukendrup et al.: Darin zeigt sich, dass bereits nach zwei Tagen des Energiemangels ein intensives Krafttraining nur noch eine abgeschwächte Hormonreaktion hervorruft.
Krafttraining im Energiedefizit
Auch in weiteren Untersuchungen sahen die Forscher ähnliche Effekte: Krafttrainingseinheiten, die im Zustand eines Energiedefizits durchgeführt werden, rufen deutlich geringere Trainingsanpassungen hervor. Der Muskelaufbau ist beeinträchtigt.
Jeukendrup und seine Kollegen fanden im weiteren Verlauf eine Art Schwellenwert. Dieser liegt bei: 500 Kilokalorien pro Tag. Ein geringeres Energiedefizit führte weder zu einem Verlust noch zu einer Zunahme der fettfreien Masse. Mehrere Studien zeigten, dass eine langsame, behutsame Kalorienreduktion, in Kombination mit einem planvollen Krafttrainings-Programm, bei den Probanden zu einem deutlichen Abbau der fettfreien Masse von einem bis zwei Kilogramm, aber parallel zu einem signifikanten Anstieg der Kraft-Fähigkeiten um 25 bis 50 Prozent führte. Jedoch gilt auch hier: Diese Untersuchungen wurden mit Nicht-Sportlern durchgeführt – und sind somit nur sehr bedingt auf Athleten übertragbar. Der Energiespeicher: Ein Gramm Fett liefert 9,3, ein Gramm Protein und ein Gramm Kohlenhydrate je 4,1 Kalorien.
Intensität verlangt Kohlenhydrate
Intensive Anstrengungen verlangen nach Kohlenhydraten. Aufgenommene und nicht sofort verbrauchte Kohlenhydrate werden zunächst als Glykogen in der Leber und der Muskulatur eingelagert. Dies ist der Energiespeicher des Körpers. Untrainierte können 300 bis 400 Gramm, ausdauertrainierte Sportler können dagegen, je nach ihrer Muskelmasse, bis zu 600 Gramm Glykogen speichern.
Für den Wettkampf gilt: Nach etwa 90 Minuten Belastung sind die Vorräte aufgebraucht. Schon bevor die gespeicherte Energie vollständig verbraucht ist, sollte die Verpflegung während des Wettkampfes beginnen. Pro Stunde können zwischen 60 und 90 Gramm – jüngsten Studien zufolge auch bis zu 120 Gramm – Kohlenhydrate zugeführt und verarbeitet werden, während bis zu 200 Gramm pro Stunde verbraucht werden können. Ideal ist hier eine Glukose-Fruktose-Mischung – diese kann die Aufnahme erhöhen, da die beiden Zuckerarten über verschiedene Stoffwechselwege zur Energiegewinnung genutzt werden.
Carbo-Loading
Eine Methode, die von ambitionierten Athleten oft vor wichtigen Wettkämpfen eingesetzt wird, lautet: Carbo-Loading. Das „Aufladen“ beziehungsweise maximale Befüllen der eigenen Kohlenhydrat-Speicher.
Dazu existieren unterschiedlich radikale beziehungsweise umfangreiche Ansätze, etwa die Saltin- oder Schweden-Diät. Auch sie setzt auf Superkompensation. An den ersten zwei bis drei Tagen in der letzten Woche vor dem Wettkampf werden die Glykogenspeicher im Training geleert, jedoch immer wieder durch erhöhte Kohlenhydratzufuhr aufgefüllt. Anschließend folgen zwei bis drei Tage mit erschöpfendem Training bei sehr kohlenhydratarmer Ernährung mit abschließender völliger Entleerung der Speicher. In den ein bis drei Tagen vor dem Wettkampf ist die Ernährung dann extrem reich an Kohlenhydraten.
Doch es bestehen Risiken: Die Saltin-Diät sorgt für eine verstärkte Wassereinlagerung und kann das Immunsystem schwächen sowie die Anfälligkeit für Infektionen erhöhen.
Hintergründe zum Carbo-Loading
Das Carbo-Loading wird häufig vor Wettkämpfen angewandt, um die Glykogen-Speicherkapazität der Muskulatur und der Leber zu erhöhen. Der Ablauf: Tage 7 bis 4 vor dem Rennen: Der Kohlenhydratanteil wird auf fast null reduziert. Es sollten pro Tag maximal 20 bis 50 Gramm Kohlenhydrate zu sich genommen werden. Parallel wird Tapering-Training betrieben.
Ab Tag 3 vor dem Rennen: Nach einem letzten längeren Training sollten die Speicher vollkommen geleert sein. Jetzt startet die Ladephase. Der Kohlenhydratanteil sollte mindestens 70 Prozent betragen. Das Training dient in dieser Phase nur noch der aktiven Erholung.
Low Carb und Grundumsatz
Zudem gilt für Phasen der hohen Energieaufnahme, auch und gerade während der Belastung: Die Wahrscheinlichkeit, während dieser Perioden Magen-Darm-Probleme zu entwickeln, ist vergleichsweise hoch.
Dies gilt im Besonderen für Ausdauerathleten wie Radsportler, Langstreckenläufer und Triathleten. Studien zeigen hier eine Prävalenz zwischen zehn und 95 Prozent. Pfeiffer et al. berichteten in ihrer großen Übersichtsarbeit bei vier Prozent der Marathonläufer und bis zu 32 Prozent der Ironman-Triathleten über schwere Magen-Darm-Beschwerden am Wettkampftag.
Das Zusammenwirken zwischen dem eigenen Training, der Leistungsfähigkeit und der Kohlenhydrataufnahme ist kaum zu unterschätzen.
Dabei liegen kohlenhydratreduzierende Ernährungsweisen, auch und gerade bei vielen Sportlern, im Trend. Diese kann, für manche und in bestimmten Phasen, klare Vorteile haben. Einen großen Hintergrundartikel zu den verschiedenen Low-Carb-Ansätzen finden Sie in der RennRad-Ausgabe 1/2021 und im Ernährungsbereich unserer Website.
Risiken von Low-Carb-Ernährung
Doch: Es mehren sich die wissenschaftlichen Hinweise, dass eine Kombination aus intensivem Sport und einer Low-Carb-Ernährung gesundheitliche Risiken birgt.
So zeigt etwa eine Studie der Universität Queensland, Australien, dass eine Zufuhr von 30 bis 60 Gramm Kohlenhydraten nach dem Training die Immunfunktionen aktivieren beziehungsweise verbessern kann. „Ich gehe davon aus, dass Sportler eine gewisse Kohlenhydratzufuhr brauchen, als grober Richtwert gilt mindestens 60 Gramm pro Tag“, sagt Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. „Bei Proteinen gehen wir von einem täglichen Bedarf von drei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht aus. Und es steht fest, dass ältere Menschen einen höheren Bedarf haben als jüngere. Abends auf Kohlenhydrate zu verzichten, kann für manche im Alltag auf jeden Fall Sinn machen. Wenn Kohlenhydrate, dann besser solche mit niedrigem glykämischen Index. Der Grundumsatz ist der Energieverbrauch im Ruhezustand, und dieser ist bei Sportlern höher als bei Nicht-Sportlern. Durch gezieltes Training kann man ihn innerhalb eines Jahres verdoppeln. Deshalb steht fest: Niemand braucht sich seinem Schicksal zu ergeben. Mit einer sanften Ernährungsumstellung und Bewegung kann jeder abnehmen. Mit diesem gesunden Weg sind bis zu zwei Kilogramm pro Monat möglich.“
Das Extrem-Beispiel in Sachen Energieaufnahme heißt: Tour de France – beziehungsweise Etappenrennen. Wer die Tour absolviert, verbrennt während der 21 Renntage rund 140.000 Kilokalorien – zusätzlich zum Grundumsatz. Diese Kalorienmenge entspricht rund 114 Kilogramm Steak oder 56 Kilogramm Eiscreme. Pro Etappe werden zwischen 5000 und 8000 Kilokalorien verbraucht. Und gebraucht. Jeden Tag. Um dies in Form von Kohlenhydraten auszugleichen, müsste ein 70 Kilogramm schwerer Fahrer rund 1400 Gramm davon essen.
Abnehmen für Athleten
Lang und ruhig – soll man trainieren, um möglichst viel Fett zu „verbrennen“. Heißt es immer wieder. Jein. Denn: Nur relativ gesehen verstoffwechselt man im Grundlagenausdauerbereich am meisten Fett – in absoluten Zahlen liegen intensivere Trainingsformen klar vorne.
So verglichen brasilianische Forscher in einer im British Journal of Sports Medicine erschienenen Meta-Analyse die Gewichtsverlust-Effekte von verschiedenen Trainingsprogrammen.
Die Ergebnisse: Es kam sowohl nach intensiven Intervall- als auch nach Grundlagen-Trainings-Programmen zu signifikanten Reduzierungen des Gesamtkörperfettanteils. Nach Ersteren zu einer Abnahme von durchschnittlich 1,5, nach Zweiteren zu einer Abnahme von im Mittel 1,44 Prozent.
Dieser geringe Effektunterschied zwischen den beiden Methoden war statistisch nicht signifikant. Ein solcher wurde jedoch bei der Reduktion der absoluten Gesamtfettmasse gefunden – mit Effizienzvorteilen für das intensive Intervall-Training.
Subgruppenanalysen zeigten zudem, dass gerade das Sprint-Intervalltraining zu den höchsten Verlusten der absoluten Gesamtfettmasse führte – um durchschnittlich 3,22 Kilogramm. Das Fazit der Forscher: Beide Trainingsformen, das moderat-intensive wie das „harte“ Intervalltraining, können den Körperfettanteil reduzieren. Doch das Intervalltraining bewirkte eine um 28,5 Prozent höhere Reduktion der absoluten Gesamtfettmasse als das „lockere“ Grundlagentraining.
Ernährung ist für Abnehmerfolge verantwortlich
In zahlreichen anderen Studien zeigte sich: Die Ernährung ist demnach durchschnittlich zu rund 75 Prozent für Abnehmerfolge verantwortlich – die Qualität und Quantität des Trainings „nur“ zu 25 Prozent. Doch bei den Themen Diäten und Abnehmen zählten Athleten zu einer „Risikogruppe“ – denn eine starke Kalorienreduktion führt in der Regel auch immer zu einem Abbau von Muskeln.
Dies zeigte etwa eine Studie von Pasiakos et al. Für diese setzten die Forscher ihre Probanden, körperlich aktive Militärangehörige, 30 Tage lang auf Diät. Ihre Kalorienzufuhr wurde um 40 Prozent reduziert.
Die Effekte: Die Probanden nahmen um durchschnittlich 3,3 Kilogramm ab – doch 1,9 Kilogramm davon, 58 Prozent, waren Muskelgewebe. Es kam demnach zu einem extrem ungewollten Effekt, den gerade Athleten um jeden Preis vermeiden sollten, der jedoch gerade Sportler besonders betrifft. Mögliche Gegenmittel: ein möglichst langsamer Gewichtsverlust – von bis zu 0,7 Prozent des Körpergewichts pro Woche. Und: die zusätzliche Zufuhr von Proteinen während einer Abnehmphase. Diese kann, so suggerieren es mehrere Studienergebnisse, einem ungewollten Muskelabbau vorbeugen.