Robert Müller: Der Trainings-Anarchist
Robert Müller und sein Trainingsansatz der „Reinen Lehre“ im Portrait
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Robert Müller hat Zeit. Zeit ist einer der Hauptfaktoren seiner „Reinen Lehre“, wie er seinen Trainingsansatz nennt, der viel mehr ist als ein Prinzip – er geht in Richtung spirituelle Lehre. Das Mantra: Viel hilft viel. Und: Radfahren kommt von Radfahren.
Robert Müller ist Maschinenbaustudent, A-Lizenz-Radfahrer – und er lebt den Radsport und seine Lehre. Was sich am deutlichsten in zwei Zahlen widerspiegelt: 31.000 und 290.000. So viele Kilometer und Höhenmeter fuhr er 2017 mit seinem Rennrad.
Robert Müller: Keine Kompromisse
Robert Müller geht keine Kompromisse ein. Gar keine. Er ist ein absoluter Purist. Radsport ist für ihn schlicht: Radfahren um des Radfahrens Willen. Mann gegen Mann. Bei Regen, Sonne, Wind und Kälte. Er lebt einen Anachronismus, er lebt den Radsport, wie er einst war: rein und hart und viel, ohne Hilfsmittel, ohne Schnickschnack.
Die Prinzipien: kein Rollentraining. Keine elektronische Schaltung. Keine Scheibenbremsen. Keine Trainings-Kaffeepausen. Weder Kinesio-Tapes noch Nasenpflaster. Das sind nur einige seiner vielen Regeln. Müller ist bekannt in der kleinen Welt des Lizenz-Radsports. Er fährt viel, er fährt schnell, er reist in viele Länder. Er ist prinzipientreu – und: ein Trainingsanarchist.
Training nach Gefühl
Sein Credo ist die „Reine Lehre“: „Ich habe keinen Trainer, keinen Trainingsplan. Ich fahre ohne Wattmesser, ohne Pulsmesser, rein nach Lust, Laune und Wetter. Ich höre nur auf meinen Körper und mache das, wovon ich denke, das es gut ist. Wenn schlechtes Wetter ist, fahre ich nur zwei Stunden oder auch gar nicht. Wenn Sonnenschein ist und ich habe Zeit, dann fahre ich eben sieben, acht Stunden – ganz wie ich Lust habe.“
Für jemanden, der über fast 20 Jahre Erfahrung im Lizenzrennbereich verfügt, ist das zwar ein durchaus gangbarer Weg. Doch auch Müller musste erst über viele Jahre hinweg lernen, welche Trainingsreize sein Körper wann benötigt. Oder verkraftet. Zu viel Belastung, zu wenig Belastung, zur falschen Zeit fit und so weiter. „Ich habe alle Fehler, die man machen kann, doppelt und dreifach gemacht“, gibt der 32-Jährige unumwunden zu.
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Keine Auszeit in der Off-Season
Robert Müller lernte mit der Zeit – und er weigert sich, mit der Zeit zu gehen. Anders als in früheren Jahren verzichtet er mittlerweile auf eine komplette Auszeit vom Radfahren in der Off-Season. Der Grund: Der Wiedereinstieg im November verlief seiner Meinung nach immer sehr zäh.
Stattdessen versucht der gebürtige Franke sein Leistungsniveau auch in der wettkampffreien Zeit auf einem relativ hohen Level zu halten. Um große Aufs und Abs zu vermeiden, fährt Robert Müller im „goldenen Oktober“ locker und nach Belieben lange Touren im Pfälzerwald oder im Schwarzwald. Wenn ausreichend Schnee fällt, setzt er auf Alternativsportarten wie Langlauf, seiner Meinung nach „der Ausgleichssport Nummer eins“. Joggen und Zirkeltraining mit dem eigenen Körpergewicht sind im Winter ebenfalls ein fester Bestandteil seines Trainings.
100 Kilometer Minimum
Einige Jahre lang absolvierte er stattdessen ein Krafttraining mit Gewichten. Doch: Er nahm an Muskeln und damit Gewicht zu. Das sei ihm zwar bei Sprints und Kriterien zugutegekommen, am Berg habe es sich dafür aber gerächt. Also strich er das Training mit Gewichten wieder.
Robert Müller setzt auf den aus der DDR-Trainingslehre stammenden Ansatz des „Viel hilft viel“. Konkret bedeutet das drei bis sechs ruhige und lange Ausfahrten in der Woche. Lang bedeutet in diesem Fall Touren mit Distanzen zwischen 100 und 300 Kilometern. „100 Kilometer sind das absolute Minimum. Das ist für mich Dienst nach Vorschrift“, sagt er. Seine ruhigen Ausfahrten absolviert er mit einem Stundenmittel von knapp 30 Kilometern pro Stunde.
Robert Müller und die Steigerung der Trainingsintensität
Nach einem Team-Trainingslager Ende Januar steigert Robert Müller die Trainingsintensität relativ schnell. Gleichzeitig fängt er damit an, die ersten Rennen zu fahren. Nicht selten reist er dabei mit dem Rad an.
Ein Beispiel: Von Karlsruhe aus fährt er Ende März 70 Kilometer mit dem Rad zum Rennen nach Wintershouse ins Elsass. Dort sprintet er nach 135 Rennkilometern um den Sieg und wird schließlich Siebter. Die 70 Kilometer Heimweg absolviert er wieder mit seinem Rad. Der lakonische Kommentar dazu später auf seiner Facebook-Seite: „Erstaunlicherweise ist die Heimfahrt dann deutlich besser geflutscht als die Hinfahrt, aber ich war ja auch gut warm gefahren.“ Seine Tagesbilanz: 275 Kilometer und ein Radrennnen.
Keine neumodischen Trainingsmethoden
Selbst während der Saison verzichtet Robert Müller nicht nur auf einen Trainingsplan, sondern auch auf den Einsatz „neumodischer“ Trainingsmethoden wie etwa High-Intensity-Intervalle. Aus einem einfachen Grund: „Das mag ich nicht.“ Müller ist ein Instinktfahrer, einer, der die in der Gesellschaft so selten gewordene Fähigkeit besitzt, in sich hineinzuhorchen und seinem Körper zu vertrauen.
Müller setzt auf Fahrtspiele oder er steuert die Intensität einer Einheit über das Terrain. In einer normalen Trainingswoche stehen einem echten Ruhetag in der Regel sechs Tage auf dem Rennrad gegenüber. Dabei dominieren während der Vorbereitung die langen, etwas ruhigeren Ausfahrten. Von Montag bis Freitag absolviert er je nach Wetter und Zeit mehrere Einheiten zwischen dreieinhalb und fünf Stunden Dauer. Am Wochenende trifft er sich dann mit anderen ambitionierten Fahrern der Region. Manchmal auch mit dem Ötztaler-Sieger von 2016 und RennRad-Autor Bernd Hornetz. Distanzen von 200 und mehr Kilometer sind dabei keine Seltenheit.
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Rennen als Training
Eine weitere Devise lautet: „Rennen sind das beste Training.“ Dementsprechend oft steht der Wahl-Badener an der Startlinie. Im vergangenen Jahr fuhr er 88 Radrennen. In der Woche kommt er so auf zwei bis drei, manchmal sogar auf bis zu vier Rennen.
Vom relativ beschaulichen Kirchweih-Kriterium am Freitagabend in der nahen Pfalz bis zur neuntägigen Tour de Singkarak in Indonesien (UCI-Kategorie 2.2), bei der Müller 2017 zwei Etappen und die Sprintwertung gewinnen konnte, ist alles dabei. Die Teilnahmen an Rennen dienen ihm nicht nur dazu, sich die nötige Tempohärte zu holen.
Robert Müller: „Ich habe relativ wenig Talent“
Dank der vielen Starts verfügt er mittlerweile auch über eine enorme Rennerfahrung. Müller lebt von dieser Erfahrung. „Ich habe relativ wenig Talent und sicher auch nicht die besten Leistungswerte“, sagt er. Aber das kompensiere er „durch Leidenschaft und Taktik im Rennen“, sodass er trotzdem ein ums andere Mal körperlich fitteren Fahrern den Sieg entreißen kann.
Zusätzlich zu seinen diversen „Trainings-Rennen“ umfasst eine durchschnittliche Saisonwoche Müllers in der Regel noch eine weitere intensive Einheit. Wobei intensiv hier heißt, dass er die etwa zweieinhalb Stunden dauernde Tour mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 35 Kilometern pro Stunde fährt und dabei Intervalle und Sprints einbaut.
Lockere Radtour? Vier Stunden Grundlage!
Die verbleibenden ein bis zwei Trainingstage pro Woche dienen der aktiven Erholung. Eine lockere Radtour bedeutet im Müllerschen Sinne: vier Stunden Grundlage. Pro Woche kommt er so durchschnittlich auf rund 20 Stunden Training und 800 Kilometer.
Um bei derartigen Umfängen nicht zu überziehen, versucht er sehr bewusst auf die Signale zu achten, die sein Körper sendet. Wenn er sich eine intensive Einheit vorgenommen hat, das Körpergefühl an diesem Tag aber nicht passt, dann wird eben einfach nur „ohne Druck“ gekurbelt.
Davon abgesehen achtet der 32-Jährige auf ausreichend Schlaf und – vor allem nach intensiven Einheiten – auf eine möglichst zügige, idealerweise innerhalb der ersten halben Stunde nach der Belastung erfolgende Zufuhr von schnell verfügbaren Kohlenhydraten. Dinge wie elektronische Muskelstimulation, Eisbäder, Blackroll-Übungen oder ähnliches spielen dagegen in seinem Trainingsalltag trotz der oft intensiven Phasen keine Rolle.
„Das ist mir zu aufwendig, da lege ich mich lieber auf die Couch und lese.“ Keine Modernität soll in seinen Radsport-Kosmos eindringen. Alles soll so bleiben, wie es einst war. Das Rennradfahren wird so konsequent zu dem, was es ist: einfach, anachronistisch, hart. Und pur.