Radsportler und Ausgangssperren: Spanien & Italien
Lockdown: Mallorca und Gardasee
in Allgemein
Coronavirus-Lockdown: Auf Mallorca und am Gardasee durften Radsportler wochenlang nicht auf den Straßen trainieren. In Deutschland waren die Ausgangsbeschränkungen deutlich weniger einschneidend. Wie erlebten Rennradfahrer in den Radsport-Nationen Spanien und Italien die Ausgangssperren?
Carola Skarabela ist Countrymanagerin für Deutschland und Österreich beim italienischen Bekleidungshersteller Alé. Sie pendelt seit einigen Jahren zwischen München und dem Gardasee. Philipp Schulze wohnt seit vier Jahren in Port de Pollenca auf Mallorca. Dort vermietet er seine Villa Veloco vor allem an Rennradfahrer. Beide sind ambitionierte Radsportler mit umfangreichen Trainingszeiten und Wettkämpfen.
In vielen europäischen Ländern werden die Ausgangsbeschränkungen jetzt gelockert. In Italien und Spanien gab es besonders schwere Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie – und auch besonders schwere Einschränkungen. Wie habt Ihr den Beginn des Ausbruchs in Euren Ländern wahrgenommen?
Carola: Es ist irgendwie recht plötzlich gekommen. In Italien wurde die Ausgangssperre zuerst in der Lombardei verhängt. Darauf folgten auch die anderen Regionen. Im Veneto ging die Ausgangsperre am 10. März los. Ich war zu dem Zeitpunkt seit zwei Wochen wieder in Italien und wollte schnellstmöglichst wieder zurück nach München. Da es aber unmöglich war, einen Coronatest zu bekommen, habe ich mich entschlossen, die Ausgangssperre in Italien auszusitzen.
Lockdown: vom Coronavirus überrascht
Philipp: Auch in Spanien hat mich das Coronavirus total überrumpelt. Natürlich habe ich die Bilder und Berichte aus China und Italien verfolgt. Aber das alles schien so weit weg. In der ersten Märzwoche hatte ich einen Radverein aus der Nähe von Heinsberg in der Villa Veloco zu Gast. Selbst das hat mich zu dieser Zeit nicht beunruhigt. Erst unmittelbar vor der Verkündung des Lockdowns am 15. März habe ich begriffen, dass das sehr weitreichende Folgen haben wird. Ab diesem Moment war mir bewusst: Die Frühjahrssaison auf Mallorca ist gelaufen. Mein ganzes Leben wurde innerhalb weniger Tage auf den Kopf gestellt. Ein großes Gefühl der Verunsicherung machte sich breit.
Coronavirus-Krise auf Mallorca: Ausbruch und Einschränkungen
Im Gegensatz zu Deutschland gab es in Italien und Spanien einen „harten“ Lockdown mit einer totalen Ausgangssperre. Wie habt Ihr die vergangenen Wochen erlebt?
Carola: Im Veneto gab es sieben Wochen lang eine totale Ausgangsperre. Nur zum Einkaufen konnten wir raus – aber auch dafür benötigten wir eine Art Passierschein. Erst nach zwei Monaten durften wir wieder aufs Rad – alleine und beschränkt auf unser Gemeindegebiet. Meine Gemeinde ist zum Glück so groß, dass ich einen 30 Kilometer langen Kurs fahren konnte. Generell bin ich für den Indoorsport gut ausgerüstet, ich habe einen Rollentrainer und Hanteln. So konnte ich mich bei Zwift austoben, Kraftsport und Yoga machen. Während des Lockdowns habe ich sehr viel telefoniert, gelesen, Netflix geschaut und sämtliche Gratis-Testmonate ausprobiert. Diese Zeit konnte ich eigentlich sehr gut für mich nutzen, musste aber drauf achten, dem Thema Corona nicht zu viel Raum zu geben. Ich habe es vermieden, auf Facebook die ganzen Verschwörer-Posts zu lesen und mich darauf beschränkt, nur einmal am Tag die Nachrichten zu checken.
„Erst nach zwei Monaten durften wir wieder aufs Rad – alleine und beschränkt auf unser Gemeindegebiet. Meine Gemeinde ist zum Glück so groß, dass ich einen 30 Kilometer langen Kurs fahren konnte.“
–Carola Skarabela, Alé
Mentale Herausforderung für Radsportler
Philipp: In Spanien durften wir das Haus nur zum Einkaufen oder für Arztbesuche verlassen. Dadurch waren wir sieben Wochen komplett zuhause. Auch an Sport war nicht zu denken. Wer auf dem Rennrad erwischt wurde, musste 601 Euro Strafe zahlen. Ich war nur einmal wöchentlich einkaufen und wurde dabei jedes Mal von der Polizei kontrolliert. Ich musste sogar Quittungen zu den Einkäufen vorzeigen – der voll beladene Kofferraum hat als Beweis nicht ausgereicht. Zum Glück konnte auf Mallorca die Ausbreitung des Virus schnell eindämmt werden. Die Bevölkerung hat sich vorbildlich an die Ausgangsbeschränkungen gehalten. Während all der Wochen habe ich mich nie unsicher gefühlt. Mental war das aber natürlich eine harte Zeit, denn niemand wusste, wie lang dieser Zustand anhalten würde.
Totale Ausgangssperren: Geldstrafen für Radsportler
Ihr seid beide aktive Radsportler, trainiert viel und bereitet Euch gezielt auf Rennen vor. Ging das in dieser Zeit?
Carola: Generell fehlt mir vor allem das normale Leben sehr. Mit den Wettkämpfen habe ich ziemlich schnell abgeschlossen und mich einfach darauf konzentriert, fit zu bleiben. Nach einem Sturz im Januar war das auch ganz gut. Mein Trainer hat mich mit abwechslungsreichen Intervallen auf der Rolle motiviert, immer wieder auch intensiv zu trainieren. Das hat sogar richtig Spaß gemacht. Aber die Natur, der Gardasee, der Wind, die Freiheit – all das hat extrem gefehlt.
Philipp: Ich wollte eigentlich im April meinen Vorjahres-Sieg bei Mallorca 167 verteidigen und war dementsprechend gut in Form, als es zum Lockdown kam. Es wäre gelogen zu behaupten, dass mir die Ausgangssperre nicht zugesetzt hat. Ich konnte noch nicht einmal die Strava-App öffnen, weil es mich so traurig gemacht hat, dass man dem schönsten Hobby der Welt selbst nicht nachgehen konnte. Vom Kopf her habe ich es nicht geschafft mich auf die Rolle zu setzen – ich war also sieben Wochen komplett raus. Während dieser Zeit habe ich begriffen, dass es ein riesiges Privileg ist, sich draußen frei bewegen und Radfahren zu können. Jeden Tag beim Aufwachen blicke ich auf die Bergkette von Formentor. Obwohl sie zum Greifen nah ist, erschien sie in diesen Tagen unendlich weit weg.
„Ich konnte noch nicht einmal die Strava-App öffnen, weil es mich so traurig gemacht hat, dass man dem schönsten Hobby der Welt selbst nicht nachgehen konnte.“
–Philipp Schulze, Villa Veloco
Folgen des Lockdowns für die Radbranche
Die dramatischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben sicherlich auch Folgen für die Radbranche in den beiden Ländern?
Carola: Ja, Italien und natürlich die Region um den Gardasee leben vom Tourismus und den vielen Radfahrern. In Italien finden sehr viele Amateur-Rennen und Granfondos statt. Und dann all die ganzen großen Klassiker wie Mailand – San Remo und der der Giro d’Italia! Dass diese Veranstaltungen nicht stattfinden konnten, ist sehr traurig für den Radsport.
Tourismus am Boden: Mallorca
Philipp: Auf Mallorca lebt ein Großteil der Bevölkerung direkt vom Tourismus. Knapp 50 Prozent der Beschäftigten wurden in Kurzarbeiterprogramme geschickt oder haben ihren Job verloren. Das Sozialsystem war aufgrund der Vielzahl an Hilfsanträgen überlastet, so dass in den ersten zwei Monaten der Krise kein Geld ausgezahlt wurde. Der Radtourismus hat seine Hauptsaison in den Monaten März bis Mai. Für die großen Radsportanbieter ist das Jahr also gelaufen. Auf Mallorca werden Mieten oft im Voraus bezahlt und eventuell aufgenommene Kredite für Mieträder müssen beglichen werden. Das führt zu einer hohen finanziellen Belastung dieser Unternehmen. Kleinere Vermieter und Werkstätten können noch hoffen, dass im Sommer der Tourismus wiederauflebt und verloren gegangene Umsätze teilweise kompensiert werden können.
Lockdown und die Einschränkungen für Radsportler
Sind auch eure Unternehmen von den Einschränkungen betroffen?
Carola: Die Firma Alé hat noch bis Mitte März produziert und ich arbeite sowieso immer im Homeoffice. Danach war es dann aber totenstill, da auch in meinen Vetriebsbereichen in Deutschland alle Geschäfte schließen mussten. Alé konnte bereits vor der allgemeinen Lockerung schrittweise wiedereröffnen. Die Firma hat zusammen mit einem wichtigen italienischen Unternehmen dringend benötigte Schutzbekleidung hergestellt. Seit dem 4. Mai ist die Firma wieder im Normalbetrieb, aber immer noch nicht mit der vollen Leistung und mit weniger Personal.
Lockerung und Optimismus: Radsport-Boom
Die Wiedereröffnung verliäuft behutsam, da das Unternehmen weiterhin verschiedene Vorsichtsmaßnahmen einhalten muss, um maximale Sicherheit und Schutz für alle Mitarbeiter zu gewährleisten. Wir haben den Vorteil, dass Alé den größten Teil seiner Produkte in Italien selbst produziert. Dadurch konnten wir die Produktion einfacher wieder hochfahren. Zwei Monate Produktionsausfall sind ein harter Schlag. Wir haben große Einbrüche, bleiben aber dennoch optimistisch, denn insgesamt wird mehr denn je Rad gefahren.
Coronavirus-Infektion: Bleibende Schäden möglich?
„Alé hat während der Krise statt Radsportbekleidung auch dringend benötigte Schutzbekleidung hergestellt.“
– Carola Skarabela
Philipp: Wir mussten innerhalb weniger Tage unseren Betrieb einstellen. Es ist uns gelungen, unsere Gäste gerade noch in einen der letzten Flieger nach Deutschland zu setzen. Innerhalb einer Woche wurde das gesamte Frühjahrsgeschäft storniert. Wir standen plötzlich ohne Einnahmen da, obwohl wir eigentlich für das komplette Jahr ausgebucht waren. Neben den Radsportlern haben wir in der Villa Veloco im Hochsommer auch viele Familien als Gäste. Sollte der Tourismus wieder aufgenommen werden, könnten wir noch auf Einnahmen hoffen.
Ende des Lockdowns: Entspannung in Italien
Seit knapp zwei Wochen werden die Ausgangssperren nun auch in Italien und Spanien langsam wieder gelockert. Was hat sich seitdem verändert?
Carola: In Italien ist es regional sehr unterschiedlich. Im Veneto konnten wir ab dem 28. April mit Mundschutz alleine in der jeweiligen Gemeinde fahren. Seit dem 4. Mai ist es erlaubt seine Familie zu besuchen. Einige Unternehmen sind wieder aktiv und man kann in der ganzen Region alleine Rad fahren. Generell gilt eine Maskenpflicht, außer beim Sport. Seit dem 18. Mai befinden wir uns jetzt in der nächsten Phase der Lockerung. Es haben wieder mehr Geschäfte geöffnet und man kann auch seine Freunde besuchen. Dennoch bleiben einige Einschränkungen, die erst mit der nächsten Phase im Juni aufgehoben werden.
„Wer auf dem Rennrad erwischt wurde, musste 601 Euro Strafe zahlen. Ich war nur einmal wöchentlich einkaufen und wurde dabei jedes Mal von der Polizei kontrolliert. Ich musste sogar Quittungen zu den Einkäufen vorzeigen – der vollbeladene Kofferraum hat als Beweis nicht ausgereicht.“
– Philipp Schulze, Villa Veloco
Nach dem Lockdown: schrittweise zur Normalität
Philipp: In Spanien gibt es ein Vier-Phasen-System der schrittweisen Lockerungen. Erwachsene dürfen für Freizeitaktivitäten jetzt von sechs bis zehn Uhr und 20 bis 23 Uhr vor die Tür. Zu diesen Uhrzeiten darf auch Rad gefahren werden, allerdings nur alleine und in dem eigenen Gemeindegebiet. Die Bewegungsfreiheit ist somit noch eingeschränkt und große Trainingsausfahrten nicht möglich. Erste Geschäfte und Restaurants können bereits unter strengen Sicherheitsvorkehrungen öffnen. Grundsätzlich hat man das Gefühl, dass Spanien sehr bemüht ist, bei den Lockerungen nichts zu überstürzen. Ab dem 22. Juni erreichen wir dann die Phase Vier und damit die neue Normalität.
Die beiden Länder werden sicherlich noch einige Zeit benötigen, um zur Normalität zurück zu kehren. Wie sind eure Zukunftsprognosen?
Carola: Ich mache mir große Sorgen um die Leute hier aus der Tourismusbranche und hoffe, dass nicht allzu viele ihre Existenzgrundlage verlieren. Was Alé und meine Arbeit betrifft, bin ich allerdings sehr optimistisch. Da überall wieder viel Rad gefahren wird, brauchen auch viele Leute neue Radtrikots.
„Solange kein Impfstoff vorhanden ist, wird sich der Tourismus zwangsläufig verändern müssen. Wie überall auf der Welt wird auch auf Mallorca der Urlaub nur mit gewissen Anpassungen möglich sein.“
– Philipp Schulze, Villa Veloco
Chancen für einen „neuen Tourismus“ auf Mallorca?
Philipp: Solange kein Impfstoff vorhanden ist, wird sich der Tourismus zwangsläufig verändern müssen. Wie überall auf der Welt wird auch auf Mallorca der Urlaub nur mit gewissen Anpassungen möglich sein. Unabhängig von der aktuellen Lage versucht die mallorquinische Regierung bereits seit einigen Jahren den Qualitäts- und Individualtourismus zu stärken. Klasse statt Masse ist hier die Devise. Vielleicht ist Corona die Initialzündung für eine Veränderung im Tourismuskonzept auf der Insel.
In einem Ferienhaus wie der Villa Veloco ist es sehr leicht, die Regeln des Social Distancing einzuhalten. Aber auch wir müssen uns der veränderten Situation stellen. Wir haben ein umfangreiches Hygienekonzept entwickelt. Damit können wir garantieren, dass alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, die unsere Gäste während des Aufenthalts schützen. Als Gruppe kann man bei uns am Pool entspannen, alle nötigen Einkäufe werden erledigt und auf Wunsch wird das Abendessen von Restaurants in die Villa geliefert. So kann man seinen Urlaub bei uns sorgenfrei genießen.
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