Doping, Hobbysportler
Warum dopen Hobbysportler? Leitartikel für die Motive zum Sportbetrug

Doping & Psyche

Warum dopen Hobbysportler? Leitartikel für die Motive zum Sportbetrug

Warum dopen Hobbysportler? Wie kann es so weit kommen? Eine Suche nach den Motiven für das Unerklärliche.
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Dass Doping zum Profisport gehört, ist ein Fakt. Wer diesen negiert, ist entweder naiv, Profiteur beziehungsweise Teil des Systems oder Mannschaftsarzt des FC Bayern und der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.* Natürlich sind die wenigsten Profiathleten Betrüger. Doch solange nicht jedes Dopingmittel sofort nachweisbar ist und solange es im Profisport, wie das Wort unzweideutig impliziert, um Geld geht, so lange wird auch betrogen werden. Denn auch der Sport ist nur ein Teilsystem der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, deren Antriebsmittel wie folgt heißt: Geld.

Die Spirale, die sich wohl nach und nach im Kopf eines dopenden Profiathleten entwickelt, ist – „rational“ und nicht moralisch gesehen – nachvollziehbar: „Andere tun es, mit denen muss ich mithalten, meine Leistung stagniert, das Training ist zu hart, ich erhole mich zu schlecht, mein Vertrag läuft aus, ich brauche einen neuen, mit mehr Geld, deshalb brauche ich jetzt gute Ergebnisse, und meine Karriere dauert nur wenige Jahre und danach bin ich ein Mitte-30-Jähriger, der nichts hat außer einem Schulabschluss und dem Geld auf dem Konto, das die Erfolge eingebracht haben, das, was der eigene Körper geleistet hat – also ‚optimiere‘ ich diesen Körper, mit allen Mitteln.“

Warum dopen Hobbysportler? Geld als Motiv?

Marco Morrone ist 31 Jahre alt und Radsportler. In diesem Mai musste er nach einem Wettkampf zu einer Dopingkontrolle der nationalen Anti-Dopingagentur Italiens. Der Test war positiv. In der Probe wurde das Epo-Mittel CERA festgestellt. Was klingt wie ein fast alltäglicher Fall, ist es nicht, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: Marco Morrone ist kein Profiathlet – er ist ein Hobbysportler. Wenn auch einer, der sein Hobby offensichtlich sehr ernst nimmt, denn: Er ist einer der besten Radmarathon-Fahrer Italiens. Seine positive Dopingprobe stammt von einer Wettkampfkontrolle bei einem der größten und bedeutendsten Radmarathons des Landes, dem Nove Colli – 205 Kilometer und 3800 Höhenmeter. Marco Morrone trainiert offensichtlich sehr viel, sehr hart, seit vielen Jahren. Wahrscheinlich bekommt er auch, wie einige der Top-Granfondo-Fahrer in Italien, etwas Gehalt, Material, Preisgelder, bezahlte Trainingslager. Doch er lebt nicht von diesem, von seinem Sport.

Weshalb betrügt ein Hobbyathlet? Weshalb riskiert er seine Gesundheit – und Strafen? Denn die Statuten der Veranstalter des Nove-Colli-Radmarathons sehen für dort überführte Doper eine Strafzahlung von 50.000 Euro vor, die der Jugendsportförderung zugutekommen soll. Warum wird ein solcher Mensch zum Doper? Bei Profiathleten ist die Antwort auf diese Frage – vermeintlich – einfach. Sie lautet: Homo homini lupus est. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Wenn es um Geld geht etwa. In Verbindung mit dem ansozialisierten Streben nach Erfolg. Wo es Möglichkeiten gibt, „anders“, etwa durch Betrug, ans Ziel zu gelangen, wird es auch immer Menschen geben, die diese Möglichkeiten nutzen.

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Mensch wird zum Homo Oeconomicus erzogen

Die moderne Erklärung lautet: Der moderne Mensch wird zum Homo Oeconomicus erzogen. Nach Konsum und Gewinn strebend. Humankapital – aus Sicht der Bestimmenden. Wie das Bildungssystem willentlich in diese Richtung – und weg vom humboldtschen Bildungsideal des weitläufig gebildeten, wissenden mündigen Menschen – umgebaut wird, hatte ich im Leitartikel der RennRad 6/2019 ausführlich dargelegt. Das Ziel ist offenbar, sofern man Naivität als Ursache außen vorlässt und eine Absicht unterstellt, der Wissen nur noch reproduzierende Konsument zum einen und eine Kommerzialisierung, ergo eine US-Amerikanisierung des Bildungssektors, zum anderen. Profiathleten wurden in fast allen Fällen zuvor im Leistungssport sozialisiert. Somit ist es offensichtlich, dass die Optimierung der Leistung im Mittelpunkt des Denkens steht. Wer keine Leistung mehr bringt, fliegt aus dem System. Der verliert seine Bezugspunkte, große Teile seines Alltags, seines Lebens, seiner Identität.

Denn jeder Mensch braucht Dinge, Eigenschaften, Besonderheiten, über die er sich definiert. Mit denen er sich von anderen abgrenzt. Früher hießen diese Fixpunkte der Identität in der Regel: Religion, Familie, Schichtleiter bei der Firma XY. Heute sind die identitätsstiftenden Kräfte dieser Instanzen oft sehr viel schwächer oder lösen sich gar auf. An ihre Stelle treten etwa gesunde Ernährung, Verzicht, das Abgrenzen von und Abarbeiten an „politischen Gegnern“, die Zahl der Instagram-Follower – oder der obsessive Sport.

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Die Suche nach dem Ich

Manche Soziologen sprechen von den Generationen der Verlorenen, der Suchenden. Es ist auch die Suche nach Sinn – nach sinnstiftenden Tätigkeiten. Die Wohlstandsgesellschaft hat zu einer wachsenden Bedeutung der Freizeit geführt, zu Hedonismus, zu mehr Wahlfreiheit – und Verlorenheit. Dazu kommt die Abnahme des Gefühls der Sicherheit. Der Vertrauensverlust in soziale Sicherungssysteme, in die Sicherheit des Jobs, des Mietvertrags, der Rente.

Stichworte: Die deutsche Rekord-Steuer-und-Abgaben-Quote, die sowohl Freiheitsgrade als auch die soziale Mobilität extrem einschränkt, die kommende statistisch glasklar absehbare Altersarmut eines Großteils der aktuell arbeitenden Bevölkerung mit einer Rentenquote, die schon heute 20 Prozent unter dem EU-Durchschnitt liegt, Rekord-Mieten und -Immobilienpreise, deren Haupttreiber die Politik mit der alternativlosen Euro-Rettung ist, vulgo die Nullzinsen, die zudem dazu führen, dass man Erspartes an den nur noch politisch getriebenen Börsen investieren muss, wenn man durch die Inflation nicht täglich ärmer werden will – und das dank der geplanten Transaktionssteuer, die wieder einmal die völlig Falschen trifft, nun noch einmal besteuert werden soll –, die ideologische Spaltung der EU, die Ungewissheit über die Zukunft der dauerhaft zu rettenden Währung. Und so weiter.

Wer seine Trainingsfahrten per Handy aufzeichnet und etwa mit der weit verbreiteten App Strava postet, erhält „Kudos“ von anderen. Ergo: Anerkennung – ein digitales Schulterklopfen. Wer einen der großen Granfondos gewinnt, wird zum Star der Szene. Wer etwa beim Maratona dles Dolomites in die Top Ten fährt, erntet Respekt und Bewunderung.

Anerkennung & Sinn

Wer beim Ötztaler Radmarathon schneller ist als im Vorjahr, schneller als seine Freunde, erhält Lob, Popularität, große Dosen an Endorphinen – Glückshormonen. Wer dies einmal erlebt hat, will es wieder. Es ist der Treibstoff für die Arbeit an der eigenen Identität – in diesen Fällen der für Viele wichtigen Teil-Identität als Rennradfahrer. Als einer, der besser ist als die anderen „Hobbyfahrer“. Der härter trainiert, der „mehr Talent“ hat. Immer wieder werden solche Fälle wie jener von Marco Morrone gemeldet.

Kurz nachdem sein Fall bekannt wurde, wurde auch der eines noch bekannteren Radmarathon-Fahrers publik: jener des Enrico Zen. Der 33-jährige Italiener war einst Radprofi. 2015 gewann er den Ötztaler Radmarathon, 2017, 2018 und 2019 siegte er beim Granfondo Sportful Dolomiti. Nach der Austragung in diesem Jahr wurde er positiv auf das Mittel Triamcinolon und dessen Metabolit Catina getestet. Auch ihm steht eine Strafzahlung von 50.000 Euro bevor. Zen ist der Schwager und ehemalige Teamkollege eines weiteren ehemaligen Stars der Radmarathon-Szene: Roberto Cunico. Dieser gewann den Ötztaler Radmarathon in den Jahren 2013 und 2014 – 2015 wurde er nach dem Granfondo Sestriere positiv auf Epo getestet.

Warum dopt ein Hobbysportler? Suche nach der Motivation

Was ist die Motivation, die einen zum Betrüger werden lässt? Anerkennung, Prestige – und damit ein gesteigertes Selbstwertgefühl. Das Gefühl, „jemand“ zu sein. Der Star der Trainingsgruppe. Derjenige, den die anderen um Rat fragen, wenn es ums Training geht.

Derjenige, über den die Regionalzeitung schreibt. Der Versuchung nachzugeben, auch mit „moralisch falschen“ Mitteln an der eigenen Identität zu arbeiten – sie ist menschlich. Dieser Aspekt, der im Hobbysport wohl der Haupttreiber ist, spielt sicher auch bei Profiathleten eine wichtige Rolle. Denn wenn sie keine Top-Leistungen erbringen, verlieren sie nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern auch ihr soziales Umfeld – und vor allem: ihre Identität. Ihre erarbeitete Rolle.

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Doping im Hobbysport: Jemand oder niemand?

Allein bei einem Radmarathon, dem Granfondo New York, wurden 2019, wie bereits öfter in den Vorjahren, gleich zwei Fahrer positiv getestet. In den Dopingproben
eines Kolumbianers und eines Argentiniers wurden jeweils Spuren von Epo-Mitteln gefunden. Die dortigen Dopingkontrollen werden vom Veranstalter selbst bestellt und bezahlt.

Die Konsequenz: Wer positiv ist, wird lebenslang für alle Events der Rennserie gesperrt. Das nennt man konsequent. Es ist eine Konsequenz, die man sich von noch viel mehr Event-
Veranstaltern wünschen würde.

Dieser Leitartikel erschien in RennRad-Ausgabe 9/2019. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen!

*Entschuldigung für die Polemik. Doch dies lässt sich aus Sicht des Autors leider nur mit Sarkasmus thematisieren. Es bezieht sich auf extrem vereinfachende Aussagen des langjährigen DFB- und FC-Bayern-Teamarztes Dr. Müller-Wohlfahrt. Auf Zitate wie jene aus einem ZEIT-Interview: „Im Fußball, soweit ich das übersehe, gibt es kein Doping.“ Und: „Wenn ein Spieler Stimulanzien nimmt, dann ist der Akku anschließend leer, und er erleidet im nächsten Spiel einen Leistungsabfall.“ Die FAZ reagierte darauf völlig richtig, mit einem Kommentar unter der Überschrift „Was hat ­Müller-Wohlfahrt geschluckt?“

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