Effektives Training
Effektives Rennrad-Training: Zeitspiel und neue Ideen

Effektives Training: Zeitspiel

Effektives Rennrad-Training: Zeitspiel und neue Ideen

Radsport ist ein Anachronismus. Der Alltag beschleunigt sich, Zeit wird zum Luxus. Es ist das Zeitalter der ständigen Erreichbarkeit, der ständigen Verfügbarkeit von Informationen, Nahrung, Arbeitnehmern.
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Es ist das Zeitalter des Pappbechers mit Plastikdeckel, die Kaffee-To-Go-Ära. Die Welt wird immer schnelllebiger. Der Radsport nicht. Es braucht Jahre, um auf ein hohes Niveau zu kommen, Abertausende von Kilometern, Stunden um Stunden, Rennen um Rennen. Die wenigsten Rennradfahrer haben das Gelbe Trikot als Ziel, sondern Radmarathons, Jedermannrennen, Gruppenausfahrten, das eigene Wohlfühlen.
Doch auch diese Ziele zu erreichen, kostet Zeit. Training ist eine Investition in den eigenen Körper: Man investiert Zeit, Mühe, Schweiß, Schmerz und hofft, damit etwas zu bewirken. Die Ressource Zeit ist eine der wertvollsten, die ein Mensch hat. Deshalb geht es für viele darum, sie möglichst effektiv zu investieren. Wenig Aufwand, hoher Ertrag. Geht das?

Profitraining

Die Medien sagen „ja“. Am Zeitschriftenregal lockt auf gefühlt jeder zweiten Titelseite eine Zeile wie „Fit in 4 Wochen“ oder „Das Schnell-Trainingsprogramm“ mit der einzig wahren Wahrheit, mit Formeln für mehr Ausdauer, weniger Fett, den ultimativen Waschbrettbauch. Auch wir von der RennRad haben im vergangenen Jahr Trainingspläne für ein vierwöchiges Programm vorgestellt.

Es gibt sicher nicht den einen Trainingsplan, die eine Weisheit, die eine Wahrheit. Menschen haben völlig unterschiedliche physische und psychische Voraussetzungen, Ziele und Motive. Fest steht nur: Niemand kann innerhalb weniger Wochen vom Radsporteinsteiger zum Spitzenfahrer werden. Was die Gestaltung des Trainings angeht, gibt es selbst bei den Profis ganz unterschiedliche Ansätze.

Statistisch gesehen trainiert ein Radprofi jährlich zwischen 1000 und 1350 Stunden und fährt zwischen 80 und 150 Rennen. In seiner Karriere kommt er durchschnittlich auf 400.000 bis 600.000 Kilometer. Sein Herz wiegt mit 500 Gramm 200 Gramm mehr als das Herz eines normalen Menschen. Pro Herzschlag pumpt es 150 Milliliter Blut durch die Arterien, fast doppelt so viel wie ein normales Herz. Profis können eine Stunde lang eine Dauerleistung zwischen 400 und 450 Watt bringen, normale gesunde Menschen gleichen Alters nur 170 Watt (Quelle: Achim Schmidt, DSHS Köln).

Neue Studien, neue Wege

In der Welt des Profiradsports und vor allem in Deutschland bestimmte lange das reine Grundlagenausdauertraining den Alltag: lang, überlang, sechs, sieben Stunden, niedriger Puls, Ökonomisierungstraining. In Italien oder den Niederlanden werden schon seit Jahrzehnten andere Ansätze verfolgt, das Stichwort lautet: Intervalltraining. In den letzten Jahren ist die Experimentierfreude unter Radprofis und -trainern weltweit gewachsen. Die Profis des Teams Sky fahren im Training regelmäßig über viele Kilometer an ihrer individuellen anaeroben Schwelle: In diese Passagen, in denen man leicht unterhalb der Schwelle fährt, werden simulierte Attacken eingebaut. Nach diesen sehr hohen Belastungen folgt keine aktive Pause wie bei gewöhnlichem Intervalltraining, sondern man fährt weiter in hohem Tempo, wieder leicht unter der Schwelle.

„Spiked Efforts“ nennt Sky-Trainer Tim Kerrison diese Methode. In einem Interview mit dem Guardian erklärte er sie näher: „Bei dem, was wir jeden zweiten Tag im Training machen, geht es darum, mit Geschwindigkeitsänderungen umgehen zu können. Darum, um, sagen wir von 350 Watt für kurze Zeit auf 650 Watt zu erhöhen und danach mit 350 Watt weiterfahren zu können. Es geht um die Sekunden, die man braucht, um eine Lücke reißen zu können.“ Was bei vielen von Chris Froomes Attacken zudem aufgefallen ist: Er attackierte oft im Sitzen. Kein Aus-dem-Sattel-Gehen, kein Wiegetritt, Froome beschleunigt quasi aus dem Stand – wie ein Moped. Der Grund ist einfach: Im Sitzen ist der Windwiderstand geringer.

Was Hobbyfahrer aus den Experimenten der Profis lernen können, ist, dass die Qualität des Trainings viel wichtiger ist als die Quantität. Auch für Nichtprofis bietet Intervalltraining viele Möglichkeiten, allerdings besteht auch das Risiko, ins Übertraining abzugleiten. Deshalb ist es besonders wichtig, nach harten Einheiten ausreichend zu regenerieren.

Gerade beim Thema Grundlagenausdauer haben viele Studienergebnisse zu einem Umdenken geführt. So wurden in mehreren Untersuchungen nach kurzen, hochintensiven Intervallen ähnliche metabolische Anpassungen gefunden wie nach langen Ausdauereinheiten. Zu diesem High Intensity Training zählen etwa 30-Sekunden- oder Ein- oder Fünf-Minuten-Intervalle. In einer norwegischen Studie wiesen Probanden, die ein Trainingsprogramm aus vierminütigen Intervallen bei einer Intensität von 90 bis 95 Prozent ihrer maximalen Sauerstoffaufnahme absolvierten, eine stärkere Verbesserung dieser auf als jene Probanden, die viel länger nach der Dauerleistungsmethode trainierten.

Die Trettechnik

Intervalle sind das eine, ein anderes Thema ist die Trettechnik. Auch darüber wurde schon viel geschrieben. Nur: Die Datenlage ist widersprüchlich. So ergab eine Untersuchung mit zwölf Weltklassefahrern, dass der Wirkungsgrad der Tretbewegung bei 400 Watt bei ihnen alles andere als gleich war. Er reichte von 20,9 bis zu 28 Prozent. Die unteren Werte sind auch für Nichtprofis zu erreichen.

Auch hier gibt es verschiedene Wege, die zum Ziel führen können: Sowohl ruhiges, langes Grundlagentraining bei etwa 70 bis 75 Prozent der maximalen Herzfrequenz kann, wie eine Studie der Fraser University gezeigt hat, die Effizienz des Krafteinsatzes verbessern – als auch eine sechswöchige Trainingsphase mit Sprint-Intervalltraining. In der Untersuchung der University of Kent konnten die moderat trainierenden Radsportler dadurch ihre Effektivität um durchschnittlich 1,6 Prozent steigern. Auch wenn beim Thema Tretökonomie noch viele Fragen offen sind, ist klar, dass auch hier Monotonie im Training vermieden werden sollte. Frequenzänderungen ab und an sorgen für Abwechslung und eine erhöhte Sensibilität für den eigenen „Tritt“.

Die Mischung machts

Treteffizienz, Intervalle, Grundlagen-, Sprint-, Berg-, Athletikeinheiten – die Trainingsplanung ist komplex. Klar ist: Es kommt auf die richtige Zusammensetzung und Periodisierung an. Eine Art Synthese der Methoden propagieren Forscher der University of Stirling. Das Ergebnis ihrer 29-wöchigen Untersuchung: Für die von ihnen getesteten Radfahrer war eine Mischung aus 80 Prozent ruhigem Grundlagen- und 20 Prozent intensivem Intervalltraining am effektivsten. Der Rat des Studienleiters Dr. Stuart Galloway lautet: Die meisten Radsportler sollten die ruhigen Einheiten ruhiger und die intensiven Einheiten mit höherer Intensität absolvieren, als sie es bisher tun. Die Studien und Erfahrungsberichte zeigen, dass man auch im Radsport mit relativ geringem Zeitaufwand viel erreichen kann. Im organischen System Mensch herrscht ein Fließgleichgewicht, auch Homöostase genannt, zwischen Anforderungen an ihn und den Reaktionen des Organismus. Training ist eine Homöostaseauslenkung. Der Körper muss etwas leisten, als Reaktion nimmt er Anpassungen vor, um für zukünftige Belastungen gewappnet zu sein.
Wer immer dasselbe trainiert, setzt keinen ausreichenden Trainingsreiz. Auch deshalb geht es im Alltag darum, keine Monotonie aufkommen zu lassen. Wer zu viel, zu hart, ohne ausreichende Regenerationsphasen trainiert, nimmt dem Körper die Möglichkeit sich anzupassen. Man „trainiert“ sich in den Keller.

Wenig Zeit, großer Effekt – Trainingsideen

1. Die Team-Sky-Methode: Man sucht sich pro Trainingseinheit zwei Passagen, am besten lange Anstiege, in denen man an der anaeroben Schwelle fährt, bei mehreren simulierten Attacken überschreitet man diese deutlich. Nach den Belastungsspitzen wird nicht pausiert, sondern an der Schwelle weitergefahren.

2. 20/40: Auch diese Intervalle lassen sich sehr gut an einem längeren Berg fahren: 20 Sekunden volle Belastung wechseln sich mit 40 Sekunden lockerem Treten ab. Dauer eines Durchgangs: fünf Minuten, zwei bis fünf Wiederholungen.

3. 4 x 4: Vier Mal vier Minuten (später fünf Mal fünf) leicht oberhalb der anaeroben Schwelle bei 90 bis 95 Prozent der maximalen Herzfrequenz. Pausenlänge: zwei bis vier Minuten.
Wichtig: Auf solch intensives Training sollte in der Regel mindestens ein Ruhetag, an dem nicht oder nur regenerativ trainiert wird, folgen. Für die meisten Nichtprofis oder -amateure genügt zu Beginn eine solche intensive Einheit pro Woche.

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