Neues aus der Forschung: Abfahrt
Schneller bergab fahren: Tipps und Tricks für Radsportler
in Training
Juli 2016, die Tour de France in den Pyrenäen: Chris Froome attackiert am Col de Peyresourde. Ein kurzer Antritt, er sichert sich die Bergwertung, beschleunigt und geht in die Abfahrt. Flach geduckt sitzt er auf dem Oberrohr. Er fährt mit bis zu 90 Stundenkilometern, vergrößert den Abstand auf die Konkurrenz. Er zeigt, dass auch diese Fertigkeit den Unterschied machen kann: die Kunst des Abfahrens. Schneller bergab fahren – wir erklären die Grundlagen und geben Trainingstipps.
Schneller bergab fahren: Die Geschwindigkeit
In einer Abfahrt sind neben der grundlegenden Hangabtriebskraft verschiedene Faktoren für das Tempo verantwortlich: das Systemgewicht aus Fahrer und Rad, der Rollwiderstand und ganz entscheidend der Luftwiderstand. Etliche Versuche haben gezeigt, dass es ab einer gewissen Geschwindigkeit nicht mehr möglich ist, durch Pedalieren schneller zu werden. Allein schon die mechanisch maximal leistbare Trittfrequenz setzt Grenzen.
Auch die am Rad verbaute Übersetzung kann limitierend sein. Das Systemgewicht bleibt bergauf wie bergab gleich. Auch der Rollwiderstand ändert sich nicht. Tempozuwächse sind dann folglich nur noch über eine verbesserte Aerodynamik möglich.
Wichtigkeit der Haltung: Schneller bergab Fahren
Die Abfahrt vom Col de Peyresourde machte auch den niederländischen Wissenschaftler Bert Blocken neugierig. Er startete eine Studie. Zusammen mit einigen Kollegen forschte er zur optimalen Abfahrtshaltung: Ist Froomes Variante tatsächlich die aerodynamisch günstigste?
Rund zehn Monate lang arbeiteten die Forscher mit Windkanaltests und Computersimulationen. Neben der Froome-Position (1: auf dem Oberrohr sitzend, Hüfte weit vor dem Tretlager, Oberkörper liegt über dem Lenker) analysierten sie die Abfahrtshaltung, die Marco Pantani (2: gestreckter Oberkörper, Gesäß über dem Hinterrad) zeitweise annahm.
Zudem zwei Varianten von Vincenzo Nibali: Er hält bei Abfahrten den Oberkörper oft horizontal zum Oberrohr, während er im Sattel sitzt (3), oder er beugt Kopf und Torso dabei weit nach unten (4).
Die Wissenschaftler berechneten außerdem zwei weitere Abfahrtspositionen. Einerseits eine von Fabian Cancellara, im Sattel sitzend und den Oberkörper leicht aufgerichtet, die Arme nahezu ausgestreckt (5). Andererseits die von Peter Sagan. Dessen Position erinnert an jene von Chris Froome. Allerdings ruht bei Sagan die Hüfte nahezu über dem Tretlager, sodass der Körper und damit auch der Schwerpunkt weniger extrem über dem Lenker liegt. Sagan sitzt insgesamt gestreckter auf dem Oberrohr (6).
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Ergebnisse der Studie
Am langsamsten ist die Cancellara-Haltung (5), die dem Wind eine große Angriffsfläche bietet und entsprechend bremst.
Schon kleine Änderungen können hier große Wirkung haben, das beweisen die Daten der Nibali-Position (3): Die Geschwindigkeit steigt um acht Prozent. Noch einmal vier Prozent schneller ist man mit der zweiten Ni-bali-Variante (4). Die ungewöhnliche Pantani-Variante (2) bringt gegenüber der aufrechteren Haltung sogar 14 Prozent mehr Tempo. Die Froome-Technik erwies sich sowohl in der Windkanalsimulation als auch im Rechenmodell nur als viertbeste Möglichkeit.
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Mit ihr erreicht man lediglich einen Vorteil von neun Prozent gegenüber der ungünstigsten Cancellara-Position (5). Die optimale und damit von den untersuchten Abfahrtshaltungen schnellste Variante ist die von Peter Sagan (6). 17 Prozent beträgt der Zugewinn an Geschwindigkeit gegenüber der schlechtesten Position. Bei Sagans Position werden knapp zwei Drittel des Gesamt-Luftwiderstandes durch den Fahrer und ein Drittel durch das Rad beziehungsweise das Material verursacht.
Schneller bergab fahren: Unterschiede
Die Forscher errechneten zudem die Gewinne und Verluste für die Peyresourde-Abfahrt. Alleine durch die bessere Aerodynamik in der Sagan-Position kann man dort gut 67 Sekunden schneller als in der Froome-Position fahren, während man in der Cancellara-Position (5) 77 Sekunden verloren hätte. Froomes Verfolger fuhren auf der Etappe überwiegend in einer mit der Nibali-Variante (3) vergleichbaren Haltung.
Alleine durch die aerodynamisch deutlich schlechtere Position büßten sie nach Meinung der Wissenschaftler acht Sekunden auf Froome ein. Zwischen der aerodynamisch besten Sagan-Position und der schlechtesten Abfahrtshaltung im Can-cellara-Stil lagen demnach sogar ganze 2:24 Minuten.
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Sekundenspiel
Abgesehen von der Aerodynamik sprechen weitere Faktoren gegen Froomes und für Sagans Technik. Wichtig ist, dass gerade erstere gefährlich sein kann. Der Körperschwerpunkt liegt vor dem Tretlager, viel Gewicht lastet auf dem Vorderrad. Das Hinterrad wird stark entlastet. Sicherer – und gleichzeitig auch noch aerodynamisch optimal – ist demgegenüber Sagans Technik.
Ein Nachteil der Sagan-Technik: Kräftiges Pedalieren ist dabei kaum mehr möglich. Ähnliches gilt aufgrund der Körperhaltung und der Instabilität des Rades ebenso für die Froome-Position. Weitere Untersuchungen und Berechnungen ergaben, dass man in Cancellara-Position bei einer Geschwindigkeit von 72 Stundenkilometern auf einer fünf Kilometer langen geraden Abfahrt ohne Pedalieren 43,6 Sekunden gegenüber der Sagan-Position verliert, mit der Froome-Position immerhin noch 19,5 Sekunden.
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Schneller bergab fahren, Tipps und Tricks: Angst überwinden
Abfahren auf 23, 25 oder 28 Millimeter schmalen Reifen hat immer auch eine mentale Komponente: Viele Rennradfahrer, gerade Einsteiger, fühlen ab gewissen Geschwindigkeiten Angst. Denn auf dem Rad ist man Risiken ausgesetzt.
Diese gilt es durch ein sicheres, nicht zu riskantes Fahrverhalten und durch Training zu minimieren. Gegenmaßnahmen gibt es viele. Zum Beispiel: mentales Training (das gezielte Sich-Vorstellen, Visualisieren, einer optimalen Abfahrt). Das Konzept haben wir ausführlich in der RennRad 10/2017 erklärt. Zudem hat sich ein progressives Vorgehen bewährt: Man startet an einem Hügel – und steigert bei jeder neuen Abfahrt seine Geschwindigkeit.
So tastet man sich an eine optimale Kurvenlage heran. Zudem gilt: Man sollte sich an erfahrenen Athleten orientieren. Bei der Gruppenfahrt bergab gezielt an einem sicheren schnellen Abfahrer „dranzubleiben“ und dessen Linie zu kopieren, kann helfen positive Erfahrungen zu sammeln. Zum einen trägt die Erfahrung dazu bei, mental „ruhiger“ zu werden. Zum anderen gilt es die technischen Grundlagen auf dem Rad zu lernen. Optimal dafür geeignet sind zudem Ausflüge auf das Cyclocrossrad – hier macht man noch einmal andere Erfahrungen.
Trainingsmethoden: Wie werde ich schneller am Berg?
Schneller bergab fahren: Praxistipps
- Bei niedrigen Temperaturen und langen Abfahrten kann der Körper schnell auskühlen. Also: rechtzeitig eine Windjacke überziehen
- „Geschwindigkeit stabilisiert“, wie es oft heißt. Daran gilt es sich heranzutasten. Dennoch: Tempo kontrollieren, vorausschauend fahren und rechtzeitig vor Kurven anbremsen
- Die Bremsen (auch bei Scheibenbremsen) nicht schleifen lassen, sondern häufiger, aber kürzer und dosiert einsetzen
- Nicht zu viel Schräglage riskieren. Besser: Das Rad „drücken“ und den Körperschwerpunkt über den Rädern halten
- Um ein Aufsetzen des Pedals zu vermeiden, stets die kurveninnere Kurbel nach oben stellen, Druck auf das äußere Pedal geben
- Vor allem bei Linkskurven nicht zu weit in oder gar über der Fahrbahnmitte fahren. Oberkörper oder Kopf ragen sonst schnell auf die Gegenfahrbahn. Generell: Risiken vermeiden
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