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Radfahrer als Feindbild medialer Kampagnen: Stereotype und Pauschalurteile

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Radfahrer als Feindbild medialer Kampagnen: Stereotype und Pauschalurteile

Immer wieder werden mediale Kampagnen gegen bestimmte Gruppen gefahren – in diesem Sommer sind, wieder einmal, die Radfahrer dran. Einblicke.
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Die XY sind alle gleich, alle haben dieselben niedrigen Motive, alle verhalten sich auffallend negativ. Fügen Sie nun bitte für XY eine freigewählte gesellschaftliche Gruppe in den Satz ein – und denken Sie an die potenziellen Konsequenzen, wenn ein großes Medium solche pauschalen Aburteilungen von, zum Beispiel, Lehrern, Ärzten, Migranten, SPD-Wählern, Tennis-Spielern, Bürgergeld-Empfängern oder welchen „Gesellschaftsgruppen“ auch immer veröffentlichen würde. Doch es gibt „Gruppen“, die man anscheinend „über einen Kamm“, einen negativen, scheren „darf“.

In diesem Jahr sind unter anderem wir diese Gruppe: Rennradfahrer. Immer wieder heißt es: Wir gegen die. Schon in den Vorjahren gab es, je in den warmen Monaten, mediale Empörungskampagnen gegen Radfahrer. So kam etwa einst der Kabarettist Christan Springer in der „Abendzeitung“, AZ, in seinem Gastbeitrag zu „Kampfradlern“ zu dem Schluss, dass sich die meisten Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten, nur die Radfahrer nicht. Zitat: „Alle? Nein. Aber leider fast alle.“ Er unterstützte seine „Argumentation“ mit exakt zwei Zahlen, Zitat: „In Bayern gibt es jedes Jahr über 14.000 verletzte Radfahrer im Verkehr. An fast zwei Dritteln der Unfälle sind aber die Radfahrer schuld. Das ist Irrsinn.“

Irrsinn ist, wie Springer diese Zahl fehlinterpretierte und somit instrumentalisierte. Denn zu den Unfällen zählen all jene, an denen sonst niemand beteiligt ist: also jeder Sturz, jedes Wegrutschen. Aussagekräftig sind dagegen die Zahlen zu Unfällen mit zwei Beteiligten, die da zeigen: Bei Unfällen zwischen Radfahrern und Pkw waren die Autofahrer zu 75 Prozent die Hauptverursacher. Bei jenen zwischen Lkw und Radfahrern traf die Hauptschuld zu 80 Prozent die Lkw-Fahrer.

Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie man durch das Auswählen weniger und das Weglassen anderer Fakten objektiv erscheinende Informationen vermitteln kann, die die eigene Weltsicht wiedergeben – und die Wahrheit, die Realität, extrem verzerren.

Gute und schlechte Stereotype

In diesem Jahr geht es ähnlich undifferenziert und pauschal weiter. Das mediale Sommerloch muss schließlich gefüllt werden. Die Sichtweise ist dabei allzu oft eine von außen, lächerlich machend, diffamierend: Radfahrer – die fremden feindlichen Wesen.

Auffälligerweise sind es oftmals gerade Autoren und Medien, die als besonders „progressiv“ und sprachsensibel gelten, die mit Pauschalaussagen und -Urteilen um sich werfen, die – wenn sie auf andere gesellschaftliche Gruppen bezogen wären – für einen Aufschrei unter der eigenen Leserschaft, anderen Medien sowie den eigenen Journalisten sorgen würden. Eine dazu passende Definition lautet wohl: „Als Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnen wir abwertende und ausgrenzende Einstellungen gegenüber Menschen aufgrund ihrer zugewiesenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.“ Dies schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung.

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Pauschale Aussagen für Rennradfahrer

„Rennradfahren ist teuer, anstrengend und Selbstdarstellung pur. Gerade deshalb ist es der Sport unserer Zeit“, schreibt Francesco Giammarco in dem Einleitungstext zu seinem ZEIT-Artikel vom 2. Juli 2023. „Kein Wunder, dass es zum absoluten Breitensport der Gegenwart geworden ist. Nur: Warum müssen Rennradfahrer ihr Hobby so dermaßen ernst nehmen?“ In den Sozialen Medien warb ZEIT Online mit diesen Zeilen für den Artikel: „Rennradfahren funktioniert über Konsum, Nerdtum und Selbstdarstellung.“ Die Pauschalität dieser Aussage ist ein intellektueller Offenbarungseid. Natürlich enthalten Aussagen wie diese einen wahren Kern: Ja, Konsum, Nerdtum und Selbstdarstellung kommen unter Rennradfahrern vor. Auch. Sie kommen auch vor. Und nicht, wie es suggeriert wird, generell und bei allen, die diesen Sport ausüben. Das weiß jeder, der sich außerhalb einer 20-Minuten-Instagram-Recherche mit dieser Sportart beschäftigt hat und/oder in einer menschlichen Gesellschaft sozialisiert wurde.

Die genannten drei Eigenheiten beziehungsweise Motive kommen unter Rennradfahrern genauso vor wie unter SUV-, Cabrio-, Tesla-, Cargobike- oder Zugfahrern, Birkenstock-, Sneaker- oder Adiletten-Trägern, CDU-, FDP- oder Grünen-Wählern. Anders gesagt: Menschen, und ihre Motive, sind unterschiedlich. Wer heterogenen gesellschaftlichen Gruppen pauschal negative Eigenschaften zuschreibt und sie aufgrund dessen aburteilt, der ist entweder abgrundtief dumm oder hat ein niedriges Motiv – wie etwa Hetze, Spaltung oder „Klickzahlen“.

Für manche Auto- sind Radfahrer ohnehin Feindbilder – oder sie nehmen sie teils, dies haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, nicht einmal als Menschen wahr, sondern als „Hindernisse“. Studien und Hintergründe dazu finden Sie im Leitartikel der RennRad-Ausgabe 4/2022.

Pauschalurteile und Moral

In dem ZEIT-Artikel, und den Social-Media-Posts dazu, sind keinerlei Ironie oder Sarkasmus zu erkennen. Wenn solch ein Werk als Glosse überschrieben wäre, würde dies einiges ändern. So bleibt es eine plumpe Diffamierung, ein „in eine Schublade, beziehungsweise übertragen formuliert, alle in einen Sack stecken und verbal darauf einschlagen“. Das Ganze ist unterhalb der Gürtellinie – und unter dem Niveau jedes auch nur halbwegs seriösen Mediums.

Humorvoller kommt da eine Kolumne des deutschen TV-Autors und Moderators Micky Beisenherz, die im Juni auf „Stern.de“ erschien, daher. Wobei schon der dem Text vorgestellte Teaser die Richtung vorgibt: „Im Großstadtcafé, auf Mallorca – überall begegnen unserem Kolumnisten Männer um die 50, die sich glücklich zum Idioten machen: Rennradfahrer.“ Er ist fast schon ein Klassiker unter den Feindbildern beziehungsweise den lächerlich zu machenden Figuren: der „Mamil, middle aged man in lycra“, der mittelalte Rennradfahrer. Was anderes ist „der Mamil“ als ein Stereotyp? Und wie genau würde wohl die mediale Reaktion ausfallen, wenn öffentliche Figuren wie Beisenherz oder Medien wie der Stern andere negative Stereotype – zu „den Ausländern“, „den Journalisten“, „den Juristen“, „den Yoga-Betreibenden“ oder welcher gesellschaftlichen „Gruppe“ auch immer – bedienen würden?

Überspitzung und Übertreibung

In dem Fall ist es ein anscheinend „legitimes“ verbales Einprügeln auf eine Gruppe. Eine Gruppe, die, wie alle „Gruppen“, extrem heterogen ist, was ihre Motive und Charaktereigenschaften angeht. Wie man als liberaler „progressiver“ Mensch zu solchen Pauschalurteilen kommt, ist eine interessante Frage. Vermutlich ist das Ziel, durch möglichst spitze Thesen und „harte“ Aussagen online möglichst viele „Klicks“ und Kommentare zu „sammeln“. Vor Gericht würde man dabei wohl von „niedrigen Beweggründen“ sprechen.

Die sonst so hochgestellte propagierte Differenzierung wird außer Acht gelassen – wenn die „Feindgruppe“ die „richtige“ ist. Die Hauptpassagen des Stern-Texts sind teils amüsant zu lesen.

Natürlich sollte man über sich selbst beziehungsweise über Eigenheiten der „eigenen Gruppe“ auch lachen können. Wobei beim Lesen etliche Fragen aufkommen wie etwa: Wo lebt der Autor – an welchem Ort gibt es keine rennradfahrenden Frauen, junge Männer, Jugendliche, Senioren? Und wie ist noch einmal die Definition von Altersdiskriminierung – und die von „Hassrede“? „Wenn eines das deutsche Stadtbild nachhaltig geprägt hat, dann Mittfünfziger in genitalwürgenden Radlerhosen, die in Klickschuhen vorm Eiscafé sitzen und mit Fahrradhelm auf an ihrer Kugel Malaga lecken“, ist bei Stern.de zu lesen.

„Vor nicht allzu langer Zeit wurde für eine ganz besondere Spezies Großstadtmensch eine schöne Bezeichnung gefunden: Die MAMILs. Middle-aged Men in Lycra. Unter diesem Akronym versammeln sich – ja, es sind wirklich ausschließlich – Männer, in der Blüte- beziehungsweise Kunstphase(r) ihres Lebens, in der sie sich spielerisch gegen den Verfall stemmen. Mit einer an Realitätsverweigerung grenzenden Leidenschaft und jungenhaftem Wettbewerbseifer holen sie während ihrer Touren Kilometer aus Städten heraus, die die geografisch eigentlich gar nicht hergeben. Das alles in Kleidung, mit der man problemlos bei den Avengers anheuern könnte und so enganliegend, dass man bei der Vorsorgeuntersuchung beim Urologen nicht einmal ablegen müsste. (…) So viel Hingabe ist schon auch rührend. Du fühlst dich wie neugeboren. Da wird getrampelt, gepumpt, das alles getrackt und – logo! – mit allen Mitmännern im Internet verglichen. Prachtvolle Daten, die dem Zahnarzt mit ergrauendem Schamhaar hoffnungsstiftend davon künden, dass mit 56 eben doch noch was geht. (…) Haben Männer sich damals damit beschieden, mit dem Hollandrad vom lokalen Händler am Wochenende ins Ausflugslokal am Kanal zu fahren, werden heute Zweiräder gekauft im Wert eines Mittelklassewagens. Marie-Sophie kann leider nicht studieren gehen, weil Papa sich von dem neuen Carbon-Rahmen einen Durchbruch auf der Bergetappe verspricht. (…) Es ist der perfekte Sport für große Kinder mit ausreichendem finanziellem Spielraum, die am Ende einer langen Alkoholisierungsphase dem Leben nochmal etwas Leidenschaft abtrotzen wollen. Die früher so herrlich dumme Saufinsel Mallorca ist im Grunde genommen unpassierbar geworden, seitdem ganze Rotten dieses mobilen Spandex-Kalifates auf den Höhenmetern zwischen Palma und Pollença die Straßen blockieren. Mehr Ärsche in hautenger Kleidung findest du nur in Deutschrap-Videos.“

Dieser Artikel erschien in der RennRad 9/2023. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

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