Meer & Hügel
Algarve: Rennrad-Reisen in Portugal – Strecken, Touren, Tipps
in Reise
Ich sehe ihn schon von Weitem – er steht oben auf der Hügelkuppe mitten auf der Straße und schaut mich an. Mein nächster Gegner, mein nächstes Hindernis. Der Hund. Ich habe keine Wahl. Ich muss an ihm vorbei. Hinter mir liegt der Anstieg zum Alto da Alferce – 1,6 Kilometer mit knapp 150 Höhenmetern. Es ist der, gefühlt, zwanzigste Hügel meiner heutigen Tour. Ich bin fast oben, am höchsten Punkt, auf 410 Metern über dem Meer.
Meine Herzfrequenz: 175 Schläge pro Minute. Und das schon, bevor ich den großen hellbraunen Streuner vor mir gesehen habe. Und er mich. Gedanklich spielt Musik in meinem Kopf. Der Filmsong des Italo-Westerns „Spiel mir das Lied vom Tod“. Wie vor einem Duell starren wir uns an, er und ich. Dies ist mein fünfter Tag, hier im Südwesten Portugals, an der Algarve. Solche Begegnungen hatte ich bereits.
Ich weiß, ich habe zwei Optionen. Erstens: stehen bleiben und hoffen, dass der Hund das Interesse verliert. Wobei es natürlich sein kann, dass man dieses Gedulds-Duell verliert – und dann schlimmstenfalls umkehren und einen Umweg fahren muss. Zweitens: einfach weiterfahren, den Hund beobachten und zur Not auf die eigenen Sprint-Fähigkeiten vertrauen. Diese Methode ist vor allem bergab und im Flachen zu empfehlen. Jetzt gerade geht es bergauf. Doch ich probiere es dennoch mit der offensiven Methode. Auch weil ich mein Intervall unbedingt zu Ende bringen will. Ich fahre auf den Hund zu. Er bleibt stehen und starrt mich an.
Sonne und Intervalle
Noch zehn Meter, noch fünf. Doppel-Sprint: Der Hund sprintet auf mich zu – und ich von ihm weg. Kein Nachdenken mehr, kein Zögern, 100 Prozent Intensität. Acht Prozent Steigung, 30 km/h – vieles ist möglich, mit genug Angst und Adrenalin im Blut. Ich sehe die Hügelkuppe direkt vor mir. Und höre den Hund hinter mir. Wir sind fast gleichauf. Doch ich bin oben, am höchsten Punkt des Anstiegs. Es wird flacher. Noch einmal trete ich an. Mein Verfolger gibt auf. Er hat sein Revier erfolgreich verteidigt. Erst jetzt spüre ich meinen Herzschlag und den Schmerz in den Beinen und der Lunge. Abfahrt. Ich lasse mein Rad rollen, ohne zu treten. Dies ist das Land der 10.000 Hügel. Ständig geht es auf und ab, meist nicht lange, aber oft steil.
Erst 15 Minuten später bin ich wieder einigermaßen erholt, sodass ich die Landschaften um mich herum genießen kann. Vor mir schlängelt sich das schmale Asphaltband der Straße durch eine grüne Hügel-Szenerie. Dies könnte auch das Alpen-Vorland sein. Doch hinter der Hügelkuppe erstreckt sich der Atlantik. Und über ihr steht die Sonne über einem wolkenlosen Himmel. Die Temperaturen: 21, 22, 23 Grad. Und das jetzt, Mitte Februar. Zu einer Jahreszeit, in der die Tage zu Hause in Deutschland meist kurz, kalt und dunkel sind.
Ich bin seit vier Stunden unterwegs – und habe die meiste Zeit über die Straße für mich allein. Das Hinterland der Küste ist weit und leer. Die Straßenverhältnisse: top. Die Asphaltdecke, über die ich gerade fahre, ist schlaglochfrei, glatt, neu. Ich rolle nach Silves. Die Stadt am Rio Arade war einst das kulturelle Zentrum während der maurischen Herrschaft in Portugal. Heute ist das historische Städtchen mit seinen rund 11.000 Einwohnern im Hinterland der Algarve vor allem: schön und ruhig. Von hier sind es noch 15 Kilometer bis ans Meer und noch 30 bis an mein Tagesziel, Albufeira. Das ehemalige Fischerdorf ist heute das größte Ferienresort an der Algarve.
Hier gibt es mit der Praia dos Pescadores einen der bekanntesten und größten Strände Portugals. Die portugiesische Küche ist hier sehr fleischlastig. Die meisten Gerichte, aus denen ich am Abend wähle, enthalten Lamm, Schwein, Wild oder Geflügel. Ich entscheide mich für einen Klassiker: das „Bife à Portuguesa“, ein Rindersteak portugiesischer Art mit Schinken und Bratkartoffeln.
An der Küste der Algarve
Auch an der Küste bleibe ich den großen Straßen fern. Ich fahre über Neben- und Schleichwege. Von Dörfchen zu Dörfchen. Bis an mein Ziel. Während meiner Zeit hier an der Algarve ziehe ich mehrmals um. Denn: Ich will so viel von der Region sehen wie möglich. Den Osten nahe der spanischen Grenze, Tavira, die Stadt der engen Straßen und der vielen Lagunen, Faro, Portimão, Lagos, Sagres, den südwestlichsten Zipfel des europäischen Kontinents, Rogil weiter im Norden – und vor allem das hügelige, ruhige, leere Hinterland.
Neben dem Leihen meines „Urlaubsrennrads“, einem KTM Revelator Alto mit einer Shimano-Ultegra-Di2-Disc-Gruppe, hat mich das Team des größten Radshops der Umgebung, Bikesul in Albufeira, auch enorm bei meiner Routenplanung unterstützt. Neben dem umfangreichen Sortiment an KTM-Leihrädern, das vom E-Stadtrad über Mountainbikes bis zu High-End-Rennrädern alles abdeckt, bieten die Locals auch etliche geführte Touren an.
Neben täglichen Ausfahrten für jedes Konditionsniveau werden auch Mehrtagestrips von zwei bis hin zu acht Tagen angeboten. Dank eines Begleitautos wird man zudem bei den Touren mit allem, was man braucht, versorgt. Wer dagegen lieber allein unterwegs ist, kann die vielen Routenvorschläge der eigenen Bikesul-App nutzen.
Algarve: Top-Strecken und Herausforderungen
Auch von den Strecken des WorldTour-Profi-Rennens „Volta ao Algarve“ ließ ich mich inspirieren. Die Route der zweiten Etappe führte von Faro aus durchs Hinterland, über die Straße zum Portela da Corcha und den Ort Cachopo nach Tavira. Aufgrund des Profils der zweiten Etappenhälfte endete das 200 Kilometer lange Rennen der Profis mit einem Massensprint. Ich habe meine dritte Tagestour hier an der Algarve auf die spektakulärsten beziehungsweise aus meiner Sicht schönsten Strecken-Abschnitte dieser Etappe beschränkt.
Mein Ausgangspunkt: Loulé, eine kleine Marktstadt im Binnenland der Algarve. Zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten hier gehören vor allem die alte Burg und die Kapelle Nosso Senhora da Conceição sowie die historische Markthalle. Die Daten meiner Tour: 110 Kilometer mit 1700 Höhenmetern. Der Beginn: einfach, szenisch, angenehm, traumhaft.
Loulé liegt rund 200 Meter über dem Meeresspiegel, was für mich bedeutet, dass es erst einmal vor allem bergab geht. Ich rolle gen Tavira und genieße die Aussichten. Irgendwann fahre ich über eine Hügelkuppe und sehe vor mir: das weite glitzernde Meer, teils felsige Küsten, teils Sandstrände. Die Anblicke hier an der Algarve sind häufig postkarten- und teils schon kitschig-schön. Dazu kommt auch noch, dass ich Rückenwind habe. Er weht von Osten gen Westen – genau in die richtige Richtung. Zumindest gerade jetzt. Die Temperatur, die Sonne, die oft leeren schmalen Sträßchen, die Ausblicke – alles passt. Alle Sinne können genießen. Denn immer wieder rolle ich durch Orangen- und Zitronenplantagen: Die Bäume und ihre Früchte duften wunderbar, nach Sommer.
Konstant bergauf
An der Küste wird die Straße breiter, der motorisierte Verkehr nimmt zu. Eine Stunde nach meinem Aufbruch habe ich 35 Kilometer hinter mir. Ich erreiche Tavira, und biege dort in Richtung Norden gen Cachopo ab. Ab jetzt leidet meine Durchschnittsgeschwindigkeit massiv – denn es geht 20 Kilometer lang konstant bergauf. Die Steigung ist relativ gleichmäßig. Die Steigungsprozente liegen im moderaten Bereich zwischen drei und sechs Prozent.
Jetzt komme ich zwar deutlich langsamer vorwärts, dennoch bemerke ich, wie sich das Landschaftsbild um mich herum nach und nach ändert: Aus einer grünen und stärker besiedelten Region fahre ich in eine deutlich leerere, weitere, braunere, felsigere Landschaft. Irgendwann bin ich oben, am höchsten Punkt des langen Anstiegs – und sehe von dessen Kuppe aus das, was vor mir liegt: ein Meer aus vielen Hügeln. Kleine Straßen, die sich zwischen und über sie schlängeln. Perfekter Asphalt. Kein Auto. Die einzigen Geräusche, die ich während der nächsten Zeit höre, sind mein Atmen, das Surren der Kette und das Abrollen der Reifen.
Auch über diese Straßen führte die „Volta ao Algarve“. Erst gestern „flogen“ die Profis diese Anstiege hinauf. Auf dem Asphalt stehen noch viele ihrer Namen. Ich bin zwar nicht gemeint, fühle mich aber dennoch motiviert. Nach einer Stunde erreiche ich den Punkt, an dem tags zuvor die Bergwertung vergeben wurde. Ein weißer Strich auf der Straße ist der einzige Hinweis darauf, was gestern hier los war. Windjacke anziehen. Abfahrt. Die Bergab-Passage ist – wie vieles hier an der Algarve – ein Rennradfahrer-Traum: Es geht durch etliche Serpentinen, schnell, flowig, auf gutem Asphalt. Kein Auto vor mir, keines hinter mir, keines kommt mir entgegen.
Berge und Täler
Es ist ein einziges Aufgehen-im-Moment. Glückshormone durchströmen meinen Körper. Erst unten im Tal lässt meine Euphorie nach – und dann mit jedem Meter, den es am nächsten Hügel sofort wieder bergauf geht, immer stärker. Zum ersten Mal am Tag spüre ich die Müdigkeit und Anstrengung. Direkt aus der Abfahrt kommend, fühlen sich meine Beine an wie Beton. Die Steigungsprozente sind diesmal deutlich höher: sieben, acht, neun Prozent. „Flacher“ als sechs Prozent wird es nie. Ich motiviere mich selbst mit der Aussicht auf eine Pause mit Kaffee und Kuchen im kleinen Dorf Cachopo.
Seit zwei Stunden Fahrzeit, seit ich in Tavira gen Norden abgebogen bin, bewege ich mich quasi außerhalb der „Zivilisation“. Um mich herum: Natur, Felsen, Sträucher, kleine Bäume. Keine Autos, keine Städte, keine Dörfer, keine Tankstelle, kein Café. Meine beiden großen Trinkflaschen sind mittlerweile genauso leer wie meine Kohlenhydratspeicher. Ich brauche einen Kohlenhydrat-Koffein-Boost. Als ich die wenigen Häuser des Dörfchens Cachopo vor mir sehe, bin ich extrem erleichtert. Vor der ersten Café-Bar, die ich sehe, halte ich an. Wasser, Cappuccino, zwei große Stücke Kuchen. Ich sitze in der Mittagssonne, auf einer am Hang liegenden Terrasse, 400 Höhenmeter über dem Meer. Der Ausblick auf die Täler und Hügel der Umgebung: ein Traum. Am Horizont verschwimmen die Konturen der Berge zu bläulichen Silhouetten.
Was muss ich für Touren durchs Hinterland der Algarve einplanen?
Irgendwann muss ich weiter. Mein GPS-Radcomputer zeigt, was noch vor mir liegt: 42 Kilometer mit 500 Höhenmetern. Während der nächsten 40 Kilometer passiere ich keine einzige Ortschaft. Was lerne ich daraus: Für größere Runden durchs Hinterland der Algarve sollte man in seiner Routenplanung die teils wenigen Verpflegungsmöglichkeiten mit einplanen.
Obwohl ich meine Energiereserven aufgefüllt habe, ist der Rückweg „zäh“. Was vor allem an dem sägezahnartigen Höhenprofil der Strecke liegt. Auf und ab und auf und ab. Doch dann, irgendwann, erreiche ich die letzte Hügelkuppe und sehe die Häuser Loulés vor mir. Es fühlt sich ein bisschen an, als käme ich aus einer anderen Welt – einer Rennradfahrer-Optimal-Welt – zurück in die Zivilisation.
Dieser Artikel erschien in der RennRad 6/2023. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.
Algarve: Region und Strecken
Die Algarve ist die südlichste Region Portugals – sie liegt am südwestlichen Ende des europäischen Festlandes, am Atlantik. Wegen ihres ganzjährig milden Klimas ist sie ein ideales Ziel für Aktivurlauber. Neben langen Sandstränden und idyllischen Badebuchten erwarten den Besucher ein hügeliges Hinterland mit viel intakter Natur, geschichtsträchtige Städte, Kultur und Kulinarik.
Der Flughafen Faro wird von allen großen deutschen Flughäfen angeflogen. Der Flug dauert meist knapp drei Stunden. Das Wetter ist mit 13 Grad Durchschnittstemperatur im Dezember und Januar am kältesten und bewegt sich, durchschnittlich, von November bis April zwischen 13 und 20 Grad. Insgesamt weist die Region laut Statistik nur etwas mehr als 40 Regentage pro Jahr auf.
Zu den vielen touristischen Highlights gehören vor allem die Strände Praia dos Pescadores, Praia Marinha und Praia do Carvalho. Die Praia dos Pescadores bietet einen der größten Sandstrände und eine sehr seichte Brandung. Die Profi-Rundfahrt Volta ao Algarve gehört zu den hochklassigen mehrtägigen Radrennen und ist Teil der UCI ProSeries. Der bereits seit 1977 alljährlich ausgetragene Wettbewerb ist für die Fahrer besonders reizvoll – streckenweise führt er nahe am Atlantik entlang, die Bergetappen wiederum stellen eine Herausforderung dar.
Volta ao Algarve Experience
Parallel zur Volta ao Algarve findet das von Bikesul angebotene Programm „Volta ao Algarve Experience“ statt. Radsportler haben hier die Möglichkeit, sich auf ausgewählten Teilstrecken an den Zeiten der Profis zu messen. Zur Wahl stehen ein vier- und ein siebentägiges Programm.
Ein Highlight ist dabei der Radmarathon Grand Fondo Algarve am 19. Februar, der in Lagoa gestartet wird. Bikesul ist einer der größten Radsportanbieter der Algarve. Der zentrale Standort in Albufeira liegt günstig und lässt sich von allen größeren Orten schnell und einfach erreichen. Das Verleihsortiment beinhaltet alle Rad-Gattungen – auch modernste hochklassige Rennräder. Neben vielfältigen Routenvorschlägen über eine App bietet Bikesul geführte Touren mit Supportautos und ortskundigen Guides für alle Fitnesslevel an.
Weitere Informationen: www.bikesul.pt/en / www.visitalgarve.pt/de