Berge & Chance
Giro d’Italia 2023: Vorschau, Strecke, Etappen, Favoriten
in Race
Fünf Pässe an einem Tag, einem Tag in einem Rennrad-Traumrevier, den Dolomiten, einem Tag, der jener der Entscheidung sein könnte: der 26. Mai 2023. Es ist der Tag einer der Königsetappen des Giro d’Italia 2023.
Der 19. Tages-Abschnitt führt von Longarone hinauf zu den Tre Cime di Lavaredo – zu den legendären Drei Zinnen. Die Daten der Strecke: 182 Kilometer und 5400 Höhenmeter. Die Pässe: Campolongo, Valparola, Passo Giau, Passo Tre Croci, Tre Cime di Lavaredo. Allein die finalen sieben Kilometer bis zur Bergankunft auf rund 2320 Metern Seehöhe weisen eine Durchschnittssteigung von fast neun Prozent auf. Die „Cima Coppi“, der höchste Punkt der gesamten Giro-Strecke, befindet sich recht genau auf der Grenzlinie zwischen Italien und der Schweiz: auf der Passhöhe des Col du Grand St. Bernard, auf rund 2470 Metern über dem Meer. Die Auffahrt aus dem Aostatal umfasst weit mehr als 30 Kilometer und 1900 Höhenmeter.
Königsetappen des Giro d’Italia 2023
Die 16. ist die zweite Königsetappe: Die Strecke führt teils an den Ufern des Gardasees entlang – und endet auf dem berühmten Monte Bondone. Die Daten: 198 Kilometer, 5650 Höhenmeter. Die Anstiege: der Passo di Santa Barbara, der Passo Bordala, Matassone, Serrada, Monte Bondone. Allein der Schlussanstieg ist 22 Kilometer lang – und weist bis zu 15 Prozent steile Rampen auf. Viele der weltbesten Berg- und Rundfahrer fokussieren sich in diesem Jahr auf den Giro d’Italia.
Aus deutscher Sicht lautet die wohl spannendste Frage, die die Rundfahrt betrifft: Mit welchen Zielen – und in welcher Form – reist Lennard Kämna nach Italien? Wird er sich – erstmals – primär auf die Gesamtwertung fokussieren oder auch auf „Etappenjagd“ gehen? Kämna gilt als deutscher Hoffnungsträger.
Im Vorjahr gewann er die erste Bergetappe hinauf zum 1892 Meter hohen Vulkan Ätna auf Sizilien – vor dem Spanier Juan Pedro López, mit dem er allein an der Spitze lag. Dabei sah es kurz vor dem Gipfel nicht nach einem Triumph des 26-jährigen Deutschen aus. Denn: López konnte sich im Finale leicht von ihm absetzen. „Ich habe kurz vor dem Ziel fast gedacht, dass ich die Etappe schon verloren habe.“ Doch er kämpfte sich zurück – und gewann die Etappe im Sprint. Es war sein erster Sieg beim Giro. Gleichzeitig übernahm er das Trikot des Bergbesten. „Das ist das erste Trikot, das ich in meiner Profikarriere trug. Es machte mich sehr stolz. Doch jetzt bin ich 26 Jahre alt. Jetzt kommt langsam die Zeit, in der man sagt: Man probiert es mal – oder eben nicht. Wenn ich mich gut und bereit fühle und fit bin, werde ich mit Sicherheit nicht absichtlich schon in der ersten Woche Zeit verlieren. Ich werde es einfach einmal versuchen und schauen, wie weit ich komme. Ich glaube, ich habe noch nicht alles Potenzial ausgeschöpft. Es gibt noch Luft nach oben.“
Im Vorjahr belegte der Norddeutsche, der im Rennverlauf noch je einmal als Tagessechster und -siebter überzeugte, den 19. Gesamtrang. Und das, obwohl er auch Helferdienste für den Kapitän seines Bora-Hansgrohe-Teams leistete: Jai Hindley. Der Australier gewann am Ende den Giro – und damit auch die erste Grand Tour überhaupt für das deutsche WorldTour-Team.
Giro d’Italia 2023: Favoriten und Pässe
Der Titelverteidiger wird in diesem Jahr fehlen. Auch der deutsche Bergspezialist Emanuel Buchmann verzichtet auf den Giro. Er wird, genau wie sein australischer Teamkollege, seinen Saison-Schwerpunkt auf die Tour de France legen. Umso mehr Freiheiten könnte der „Joker“ der Raublinger Equipe erhalten – Lennard Kämna. „Lenny hat Zeitfahr-Qualitäten“, sagt der Bora-Hansgrohe-Sportdirektor Rolf Aldag. „Und wir haben viele Zeitfahren im Verlauf dieses Giros. Die Berge liegen ihm auch. Er hat also gute Chancen. Wir werden ihn aber nicht unter Druck setzen, sondern einfach einmal schauen, wie weit wir kommen.“
Die drei Einzelzeitfahren, mit denen der Giro in diesem Jahr aufwartet, kommen dem Deutschen Zeitfahrmeister und früheren Junioren-Weltmeister entgegen. Hier kann er – potenziell –gegenüber reinen Bergspezialisten Boden gutmachen. Wenngleich dies gegenüber den Top-Favoriten, etwa Remco Evenepoel und Primož Roglič, extrem schwierig werden könnte. Das Team wird ihm alle Freiheiten geben – doch die erste Kapitänsrolle ist für einen anderen Fahrer vorgesehen: den Russen Aleksandr Vlasov. Der Sieger der Tour de Romandie und Gesamtfünfte der Tour de France des Vorjahres zählt zum Favoritenkreis.
Ganz oben auf der Favoritenliste steht naturgemäß der Vorjahres-Vuelta-Sieger und Weltmeister: Remco Evenepoel. Der 23-jährige Belgier war bisher erst einmal beim Giro am Start – 2021. Damals trat er zur 18. Etappe nicht mehr an. Dennoch geht das „Wunderkind des Radsports“ – wie bei fast jedem Rennen, bei dem er an den Start geht – als Top-Favorit in den Giro.
Zu seinen größten Konkurrenten wird wohl der dreimalige Vuelta-Sieger Primož Roglič zählen. Der 33-jährige Slowene stieg spät in die Renn-Saison 2023 ein und setzte vor allem auf mehrere sehr lange Höhen-Trainingslager auf Teneriffa. Zudem ist sein Jumbo-Visma-Team, auf dem Papier, deutlich stärker als etwa Evenepoels Soudal-Quickstep-Helferriege. Genau wie der Giro-Gesamtsieger Jai Hindley wird auch der Zweite von 2022 und Gesamtsieger von 2019, Richard Carapaz, Team EF Education-EasyPost, auf den Giro verzichten und bei der Tour an den Start gehen. Dafür plant Egan Bernal, der 2022 im Frühjahr so schwer verletzte Kolumbianer aus dem Team Ineos-Grenadiers, eine Rückkehr zur Italien-Rundfahrt.
Zeitfahren und Finale beim Giro d’Italia 2023
Der Giro 2023 ist wieder eine Rundfahrt für die Kletterer – doch die Strecke ist extrem abwechslungsreich. Mit seinen drei Einzelzeitfahren bietet er vor allem eine große Chance für die bergfesten Klassementfahrer, die auch starke Zeitfahrer sind. Schon zum Auftakt wird das Rosa Trikot im Kampf gegen die Uhr vergeben. Die Strecke: von Fossacesia Marina nach Ortona über 18,4 Kilometer. Eine Woche später, während der neunten Etappe, müssen sich die Fahrer erneut gegen die Uhr messen: 30,6 Kilometer sind rund um Cesena zurückzulegen.
Die schwierigste Zeitfahr-Prüfung wartet am vorletzten Tag – mit dem 18,6 Kilometer langen Bergzeitfahren hinauf zum Monte Lussari. 889 Höhenmeter mit einer durchschnittlichen Steigung von zwölf Prozent im 7,3 Kilometer langen Schlussanstieg – dies ist ein „Scharfrichter“. Und vielleicht der Berg der Entscheidung. Hier, am Tag vor dem Finale des Giro, wird der Gesamtsieger feststehen. Entschieden wird dieser Giro an den Pässen und Anstiegen. Rechnet man das Abschluss-Zeitfahren hinzu, warten sieben Bergankünfte auf die Fahrer. Insgesamt legen die Profis im Verlauf der drei Wochen 3449 Kilometer und 51.300 Höhenmeter zurück. Auf dem Programm: sechs Bergankünfte, ein Bergzeitfahren, zwei flache Zeitfahren und sechs Sprintetappen.
Kurzer Abstecher ins Ausland
In diesem Jahr macht die Italien-Rundfahrt nur einen kurzen Abstecher ins Ausland: Die 13. Etappe endet in Crans Montana in der Schweiz. Im Verlauf der 208 Kilometer sind 5100 Höhenmeter zurückzulegen.
Ein erstes „Kräftemessen“ der Favoriten könnte es bereits während der siebten Etappe geben, die rund um Neapel über den Gran Sasso d’Italia führt und mit 218 Kilometern der längste Tagesabschnitt des diesjährigen Giro ist. Spätestens hier werden sich die Sprinter aus den ersten Reihen des Gesamtklassements verabschieden. Bergig wird es auch einen Tag später zwischen Terni und Fossombrone. Am zweiten Ruhetag können die Fahrer noch einmal Kraft schöpfen, bevor es erst durch die hügelige Toskana und dann in die wohl entscheidenden Etappen geht. Anders als in den vergangenen Jahren ist diesmal nicht Mailand das finale Ziel der Rundfahrt – sondern Rom, in der Nähe des Kolosseums. Der Sieger des Giro 2023 könnte wohl nicht geschichtsträchtiger gefeiert werden.
Giro d’Italia 2023: Die Etappen im Überblick
Datum | Etappennummer | Wo wird gefahren? | Distanz |
6. Mai 2023 | 1. Etappe | Marina – Ortona – Einzelzeitfahren | 18,4 km |
7. Mai 2023 | 2. Etappe | Teramo – San Salvo | 204 km |
8. Mai 2023 | 3. Etappe | Vasto – Melfi | 210 km |
9. Mai 2023 | 4. Etappe | Venosa – Lago Laceno | 184 km |
10. Mai 2023 | 5. Etappe | Atripalda – Salerno | 172 km |
11. Mai 2023 | 6. Etappe | Neapel – Neapel | 145 km |
12. Mai 2023 | 7. Etappe | Capua – Campo Imperatore | 218 km |
13. Mai 2023 | 8. Etappe | Terni – Fossombrone | 207 km |
14. Mai 2023 | 9. Etappe | Savignano – Cesena – Einzelzeitfahren | 30,6 km |
15. Mai 2023 | Ruhetag | ||
16. Mai 2023 | 10. Etappe | Scandiano – Viareggio | 198 km |
17. Mai 2023 | 11. Etappe | Camaiore – Tortona | 208 km |
18. Mai 2023 | 12. Etappe | Bra – Rivoli | 179 km |
19. Mai 2023 | 13. Etappe | Borgofranco d’Ivrea – Crans-Montana | 207 km |
20. Mai 2023 | 14. Etappe | Sierre – Cesano Maderno | 194 km |
21. Mai 2023 | 15. Etappe | Seregno – Bergamo | 192 km |
22. Mai 2023 | Ruhetag | ||
23. Mai 2023 | 16. Etappe | Sabbio Chiese – Monte Bondone | 197 km |
24. Mai 2023 | 17. Etappe | Pergine Valsugana – Caorle | 192 km |
25. Mai 2023 | 18. Etappe | Oderzo – Zoldo Alto | 160 km |
26. Mai 2023 | 19. Etappe | Longarone – Tre Cime di Lavaredo | 182 km |
27. Mai 2023 | 20. Etappe | Tarvisio – Monte Lussari – Einzelzeitfahren | 18,6 km |