Nils Politt, Tour de France, Portrait
Nils Politt: Tour-de-France-Etappensieger im Portrait

Traum & Realität

Nils Politt: Tour-de-France-Etappensieger im Portrait

Nils Politt ist 27 Jahre alt, Klassikerjäger, Teamplayer, Familienvater, Hürther – und nun auch: Tour-De-France-Etappensieger. Er erfüllte sich damit einen Kindheitstraum. Ein Portrait.
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Ein Kilometer noch bis zum Ziel – und Nils Politt weiß, dass er gewinnen wird. Er schüttelt den Kopf und klopft sich drei Mal auf den Helm. Dies, der achte Juli 2021, ist sein Tag – und er war es von Anfang an. Seit dem Start zu dieser zwölften Etappe der Tour de France.

Politt hat sich diesen Sieg hart erarbeitet: Er war es, der die 13-köpfige Ausreißergruppe des Tages initiierte. Er war es, der die Gruppe bereits 50 Kilometer vor dem Ziel mit einem Antritt sprengte. Er war es, der mit zu denen gehört hatte, die von ihr übrig geblieben waren. Erst waren sie zu viert, dann zu dritt – und dann, zwölf Kilometer vor dem Ziel, lässt er auch seine letzten Konkurrenten „stehen“. Er fährt an einem Bergaufstück an der letzten Position, lässt ein „Sprinterloch“, beschleunigt, wechselt die Straßenseite, und ist weg.

Im Ziel hat er einen Vorsprung von 31 Sekunden auf den Zweitplatzierten, Imanol Erviti. Danach fehlen auch ihm, dem Prototypen des „Kölsche Jung“, die Worte. Er kämpft mit den Tränen und schüttelt immer wieder ungläubig den Kopf: „Das ist ein Traum, eine Tour-Etappe zu gewinnen. Das ist der größte Sieg, den man holen kann“, sagt der 27-Jährige. „Aber richtig begreifen kann ich das noch gar nicht.“ Der Etappensieg von Nîmes ist der bislang größte Triumph seiner Laufbahn.

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Nils Politt gewann in diesem Jahr die 12. Etappe der Tour de France

Nils Politt und seine Fahrrad-Familie

Radfahren hat in der Familie Politt Tradition. Das erste Rennrad schenkte ihm sein Großvater, der ihn auch in seinem Heimatverein RV Komet Delia Köln anmeldete. Auch sein Vater Jörg ist ein  Radsportler und hilft gelegentlich bei der Nationalmannschaft oder einem Landesverbandsteam als Mechaniker aus.

Aber zunächst galt Nils‘ Leidenschaft dem Fußball. Wie viele Kölner Jungs träumte auch Nils Politt von einer Karriere als Fußballprofi beim 1. FC Köln. Als er mit neun Jahren sein erstes Radrennen fuhr, merkte er schnell, wo sein Talent liegt. Tempofest war er schon immer. Er kann sich quälen. Er hält den Schmerz aus, der dem Erfolg vorausgeht. „Ich sage immer, wenn ich auf den Tacho schaue und sehe, wie viele Watt ich trete, dann müssen die hinten in dem Moment auch Schmerzen haben.“

Klassiker und 550 Watt

Für seine Karriere opfert er viel. Unterstützung findet er bei seiner Familie, seiner Frau Annike, seinen Eltern. Sein größter Fan heute ist seine kleine Tochter. Für sie lässt er auch öfter die Angel im Schrank, ein Hobby, das sich Nils Politt bewahrt hat, „weil man dabei so herrlich entspannen kann.“

Schon in den Nachwuchsklassen holte Politt viele Siege auf der Bahn und auf der Straße. Zweimal war er Deutscher Meister auf der Bahn, im Madison und in der Mannschaftsverfolgung. 2013, in seinem ersten Jahr in der U23-Klasse wurde er Deutscher Vize-Meister im Zeitfahren.

2014 holte er den Titel und absolvierte parallel eine Ausbildung zum Speditionskaufmann. „Meinen Eltern war es sehr wichtig, dass ich eine Ausbildung mache und diese dann auch abschließe.“ 2015 wurde Politt noch einmal DM-Zweiter im Zeitfahren, hinter seinem heutigen Bora-Hansgrohe-Teamkollegen Lennard Kämna. Im selben Jahr gewann er den Meistertitel der U23-Klasse auf der Straße. In der Gluthitze von Bruchsal war er über eine Minute schneller als der Zweitplatzierte.

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Der erste Profivertrag des Nils Politt

Anschließend bestritt er mit seinem damaligen Team Stölting die Bayern-Rundfahrt – und war der beste U23-Fahrer. Danach unterschrieb er seinen ersten Profi-Vertrag beim WorldTour-Team Katusha. Vier Jahre lang trug er das Trikot des Rennstalls. Jahre, in denen er sich als Rennfahrer, als Klassikerspezialist weiterentwickelte. 2018 fuhr er bei dem „Monument“, dem Kopfsteinpflasterklassiker Paris-Roubaix, auf Rang sieben. Im selben Jahr gewann er die Schlussetappe der Deutschland-Tour, ein Jahr später wurde er mit der deutschen Mixed-Staffel Vize-Weltmeister im Mannschaftszeitfahren.

Auch sein bis dahin größtes Rennen lieferte er in der Saison 2019: Er animierte Paris-Roubaix. Er fuhr schlau und er fuhr aggressiv. Er attackierte im Finale und sorgte so für eine Vorentscheidung. Nur der belgische Ex-Weltmeister Philippe Gilbert konnte ihm folgen – und bezwang ihn letztlich im finalen Sprint auf der Radrennbahn von Roubaix.

Im RennRad-Interview danach sagte er: „Am Tag vor dem Rennen bin ich einen Selbsttest gefahren: Fünf Minuten lang alles, was geht – und herauskam: mein neuer Wattrekord. Es waren mehr als 550 Watt.“ Dies ist sein Rennen. Der große Pflasterstein, den der Paris-Roubaix-Sieger als Trophäe erhält, ist sein Ziel. Es ist sein nächster Traum – nachdem er sich den einen mit seinem Tour-Etappensieg bereits erfüllt hat.

Den Höhepunkt noch längst nicht erreicht

14 Mal war Nils Politt in seiner Profilaufbahn bislang Zweiter. Nach seinem Sieg in Nîmes zählte sein guter Freund und Trainingspartner André Greipel zu den ersten Gratulanten. Zuvor war er zusammen mit Politt lange ein Teil der Ausreißergruppe des Tages gewesen. „Nils wollte schon vorher angreifen, aber ich habe ihm gesagt er soll ruhig bleiben, weil er der stärkste Fahrer der Gruppe war,“ sagte Greipel. „Es ist sehr emotional, wenn dein Trainingskollege eine Etappe gewinnt.“

Nils Politt kennt den zwölf Jahre älteren Greipel bereits, seit er 15 Jahre alt ist. Seine ganze Radsport-Karriere über. Eine Karriere, die wohl noch längst nicht an ihrem Höhepunkt ist.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 9/2021Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.


Nils Politt: Steckbrief

Geboren 06. März 1994 in Köln
Wohnort Hürth
Größe / Gewicht 1,92 Meter / 80 Kilogramm
Team Bora-Hansgrohe
Familienstand verheiratet mit Annike, eine Tochter
5-Minuten Peak-Leistung 550 Watt
Erfolge – Etappensieg Tour de France (2021)
– Sieger Deutschland-Tour (2021)
– Zweiter Paris-Roubaix (2019)
– Etappensieger Deutschland-Tour (2018)
– Sieger Sechstagerennen Bremen (2020)
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