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Team Bora-Hansgrohe: Fahrer und Ziele für die Saison 2021

Auf Angriff

Team Bora-Hansgrohe: Fahrer und Ziele für die Saison 2021

Ein Ski-Bergsteiger, ein Mountainbiker, ein 18-Jähriger: Das deutsche Top-Team Bora-Hansgrohe hat sich 2021 kreativ verstärkt. Hintergründe und Einblicke.
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Der Hang ist komplett vereist und steil, extrem steil: 33, 34, 35 Prozent Steigung. Anton Palzer wird nicht langsamer. Er wuchtet sich hinauf. Mit seinen Stöcken – und mit den Skiern unter seinen Füßen. Immer wieder rutscht er ab, trotz der Steigfelle. Er kämpft sich diesen Berg hinauf – und er kämpft um den Sieg. Bei seinem Heim-Weltcup.

Seine Gegner: die besten Ski-Bergsteiger der Welt, und die Strecke dieses Wettkampfs, des „Jennerstiers“ am Königsee im Nationalpark Berchtesgaden. Die Zahlen: 7,2 Kilometer, 1623 Höhenmeter, fünf Anstiege. Anton „Toni“ Palzer kennt hier jeden Meter, jeden Gipfel, jeden Stein. Er will den Sieg. Doch an diesem Wintertag, im Februar 2020, ist das italienische Team nicht zu schlagen. Toni Palzer kommt nach 1:13 Stunden am Limit ins Ziel – als Fünfter. Er ist hier, am Fuße des Watzmanns, aufgewachsen. Die Berge prägen sein Leben. Schon seit seiner frühen Kindheit. Heute ist er 27 – im Sommer Bergläufer und im Winter Ski-Bergsteiger. Bislang. Eigentlich.

Anton Palzer beim Team Bora-Hansgrohe

Ab der Saison 2021 ist er: Radprofi in der WorldTour, der ersten Liga des Radsports, als Teil des deutschen Spitzenteams Bora-Hansgrohe. Die Zahl seiner absolvierten Radrennen: null. „Es mag nach einem gewagten Unterfangen aussehen, und ein gewisses Risiko ist sicher dabei, aber wir verfolgen Toni schon länger und sind von seinen körperlichen Voraussetzungen überzeugt“, sagt der Bora-Team-Manager Ralph Denk zu dieser – wohl für alle Experten überraschenden – Verpflichtung. „Radprofi – das war lange nur ein Gedanke im Hinterkopf. Ein kleiner Traum, der unerreichbar und fernab meiner Möglichkeiten zu sein schien“, sagt Anton Palzer. „Ich muss langsam in den Radsport hineinwachsen, eine gewisse Rennintelligenz entwickeln und im ersten Jahr auch mit der Herausforderung einer Doppelsaison umgehen.“

Sein Fokus bleibt auch als Radprofi derselbe: die Berge. Schwere, höhenmeterreiche Rennen, Hochgebirgsetappen. Schon seine Statur ist die eines Bergfahrers: Er ist 1,78 Meter groß und wiegt 62 Kilogramm. „Wir werden ihn zu Beginn der Saison vermehrt bei schweren Eintagesrennen und bergigen Wochenrundfahrten einsetzen. Dort muss er lernen, wie Radsport funktioniert, und vor allem auch Aufgaben für das Team übernehmen. Wo die Reise dann hingeht, werden wir sehen, aber wir werden das Schritt für Schritt angehen“, sagt Ralph Denk.

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Wie ist das Team Bora-Hansgrohe für die WorldTour-Saison 2021 aufgestellt?

Quereinsteiger bei Bora-Hansgrohe

Toni Palzer steht für einen ungewöhnlichen Weg, den man bei Bora-Hansgrohe bei der Auswahl des Kaders geht: Es geht weniger um Renn-Ergebnisse und mehr um die körperlichen – und mentalen – Voraussetzungen eines Athleten. Ergo: um seine Leistungsdaten und physiologischen Werte, etwa seine „VO2max“, die berühmte maximale Sauerstoffaufnahme pro Minute in Relation zum Körpergewicht.

Auch deshalb scoutet man bei Bora-Hansgrohe Athleten aus anderen Ausdauer-Disziplinen. So war etwa auch ein Team-Vertreter bei der Sommer-Biathlon-DM vor Ort. Die wohl prägnantesten aktuellen Beispiele für „Quereinsteiger“ aus anderen Sportarten heißen: Primož Roglič. Der Slowene war einst Skispringer und wechselte erst mit 24 Jahren zum Radsport. Michael Woods, der Kanadier, war bis zum Alter von 21 Jahren Mittelstrecken-Läufer. Erst mit 26 wurde er Radprofi. Und: Remco Evenepoel, der Belgier, spielte unter anderem für die PSV Eindhoven und den RSC Anderlecht Fußball in den höchsten Nachwuchsklassen.

Der zweite „ungewöhnliche“ Transfer des Bora-Hansgrohe-Teams betrifft: Ben Zwiehoff. Der 27-Jährige war bislang Mountainbike-Profi. „Schon als Kind habe ich davon geträumt, einmal die Tour de France zu fahren. Doch dann habe ich einen anderen Weg eingeschlagen. Jetzt bin ich hochmotiviert, als Helfer in den Bergen zum Erfolg des Teams beizutragen.“ In seinem ersten Profijahr wird er wohl noch viel lernen müssen: Team-Taktiken, das Bewegen im Feld, das Haushalten mit der Kraft.

Die Philosophie des Teams Bora-Hansgrohe

Transfers wie jene von Palzer und Zwiehoff entsprechen der neuen Philosophie des Teams. Dazu passt auch der Aus- und Umbau der Talentsuche und des eigenen Nachwuchsteams: Ab dieser Saison wird das bislang auf bayerische Nachwuchsfahrer ausgerichtete Juniorenteam Auto Eder Bayern geöffnet. Die Teamleitung verspricht sich davon den Zugriff auf einen größeren Talentpool. Der bekannteste Zugang des Juniorenteams heißt: Cian Uijtdebroeks. Der 18-jährige Belgier gilt in seiner Heimat bereits als „der neue Remco Evenepoel“ – ergo: als Supertalent.

Im Vorjahr gewann er unter anderem die Nachwuchsversion von Kuurne-Brüssel-Kuurne, mit 48 Sekunden Vorsprung. Bei Bora-Hansgrohe unterschrieb er einen Dreijahresvertrag. Nach einem Jahr im Junioren- wird er in das WorldTour-Team wechseln – und somit die komplette U23-Klasse „überspringen“. Bora setzte sich in dem „Kampf“ um seine Unterschrift gegen etliche andere Top-Teams durch. „Es ist kein Geheimnis, dass eigentlich jeder an Cian dran war. Seine Ergebnisse sind sehr gut, aber vor allem überzeugen seine Leistungsdaten“, sagt Ralph Denk. „Ich bin schon sehr gespannt, wohin unsere gemeinsame Reise geht. Aber wir verfolgen keine kurzfristigen Ziele mit Cian. Er wird genug Zeit bekommen, um sich in Ruhe zu entwickeln.“

Wilco Kelderman soll Emanuel Buchmann entlasten

Einer der beiden prominentesten Zugänge des Teams heißt: Wilco Kelderman. Der 30-jährige Niederländer wechselte als amtierender Giro-d’Italia-Dritter zu Bora-Hansgrohe. Er war bei jeder der fünf Rundfahrten, die er 2020 absolvierte, unter den Top Ten der Gesamtwertung. Damit steht er für Konstanz. „Er ist in einem perfekten Alter für Rundfahrer und wird in jedem Fall eine echte Verstärkung sein“, sagt Ralph Denk.

Kelderman soll den bisherigen alleinigen Grand-Tour-Kapitän des Teams, Emanuel Buchmann, entlasten. Buchmann wird nach einer –auch verletzungsbedingt – extrem enttäuschenden Tour de France 2020 in dieser Saison auf eine Teilnahme an der Grande Boucle verzichten. Und sich stattdessen auf den Giro d’Italia fokussieren. Der Grund: Die schwierige, mit vielen Bergetappen versehene Strecke des Giro kommt ihm eher entgegen als jene der Tour. „Prinzipiell ist erst einmal ein Podestplatz das Ziel“, sagt Buchmann, „das wird beim Giro natürlich auch nicht viel leichter.“

Der zweite sehr prominente Bora-Hansgrohe-Zugang kommt aus Deutschland: Nils Politt. Der 26-jährige Hürther wird wohl ein Teil einer Klassiker-Doppelspitze. Sein Co-Kapitän: der dreimalige Weltmeister und „Rockstar des Radsports“, Peter Sagan. Für Ralph Denk war diese Verpflichtung ein Coup: „Es ist schön, dass es nun endlich geklappt hat. Wir waren an Nils ja schon in der Vergangenheit interessiert, das ist sicherlich kein Geheimnis. Nils wird natürlich unsere Klassiker-Fraktion entscheidend verstärken, aber wir sehen generell noch viel Potenzial in ihm als Fahrer. Dieses Potenzial wollen wir in den kommenden Jahren voll entwickeln, wie wir das schon in der Vergangenheit bei Fahrern wie Pascal Ackermann, Emanuel Buchmann oder Max Schachmann gemacht haben.“

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Team Bora-Hansgrohe: Talente und Scouting

Sagan und Politt werden wohl bei den „flacheren“ Klassikern des Frühjahrs wie Mailand-Sanremo oder Paris-Roubaix die Kapitäne sein – Maximilian Schachmann und Lennard Kämna bei den schweren Ardennen-Klassikern. Beide etablierten sich im Vorjahr in der Weltspitze: Schachmann, indem er im März Paris-Nizza gewann und im August Dritter beim Klassiker Strade Bianche wurde. Kämna, indem er je eine Etappe des Critérium du Dauphiné und der Tour de France gewann. Der 24-Jährige gilt seit Jahren als eine deutsche Grand-Tour-Hoffnung. Seit der vergangenen Saison zählt er zu den Siegfahrern des Teams – wie auch Peter Sagan, Max Schachmann und Pascal Ackermann. Der 27-jährige Sprinter gewann im Vorjahr acht Rennen – darunter zwei Etappen der Vuelta.

Die weiteren Zugänge des Teams haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie sind alle jung – und sie zählen alle zu den größten Talenten unter den Neuprofis. Der Belgier Jordi Meeus, 22, kam von einem der weltweit erfolgreichsten Nachwuchsteams: SEG Racing. Er ist 1,90 Meter groß, 80 Kilogramm schwer – und Sprinter beziehungsweise Rouleur. Seine Vorjahresbilanz: 20 Renn-Teilnahmen, 14 Top-Ten-Platzierungen, darunter vier Siege.

Der erst 19-jährige Däne Frederik Wandahl hat 2020 keine internationalen Resultate vorzuweisen, 2019 wurde er Achter, 2018 Fünfter des Junioren-WM-Rennens. Giovanni Aleotti, 21, wechselt als amtierender italienischer U23-Meister und Gesamtvierter des berühmten „Baby-Giro“ vom Cycling Team Friuli ASD zu Bora-Hansgrohe. 2019 wurde er Zweiter der „Tour de France für Nachwuchsfahrer“, der Tour de l’Avenir. Extremes Sprint-Talent zeigte ein weiterer Zugang, der nicht „dem Mainstream“ entspricht, sondern „über dem Tellerrand“ gescoutet wurde: Matthew Walls.

Optimismus

Der 22-jährige Brite hat für die Saison 2020 exakt ein Straßen-Renn-Ergebnis auf seiner Liste: DNF – did not finish beim Rennen um die Europameisterschaft. Seine Erfolge holte er auf einem anderen Terrain: der Bahn. Er wurde unter anderem Doppel-Europameister im Omnium.

Das Team Bora-Hansgrohe hat sich verstärkt –trotz der Abgänge von Rafal Majka und Gregor Mühlberger. Doch die Saison begann für das Team tragisch: Während eines Trainingslagers am Gardasee im Januar kam es zu einem Unfall. Eine SUV-Fahrerin steuerte ihr Gefährt in eine Trainingsgruppe. Sieben Profis stürzten, drei davon mussten in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Andreas Schillinger verletzte sich an der Hals- und Brustwirbelsäule, Wilco Keldermann zog sich Frakturen an der Rückenwirbelsäule zu. Beide Fahrer werden wohl keine bleibenden Schäden davontragen. Auch die Tour de France soll nicht in Gefahr sein. Wenige Tage nach dem Unfall saß Keldermann bereits wieder auf seinem Rollentrainer.

Trotz dieses denkbar schlechtesten Saisonbeginns ist man bei Bora-Hansgrohe optimistisch. Die Ziele für 2021 sind groß – ebenso wie die Kreativität und der Mut beim Scouting neuer Fahrer.

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Lennard Kämna etablierte sich in der Saison 2020 in der Weltspitze

Die Fahrer im Team Bora-Hansgrohe für die Saison 2021

Fahrer Geboren Team 2020
Ackermann, Pascal 17.01.1994 Bora-Hansgrohe
Aleotti, Giovanni 25.05.1999 Cycling Team Friuli ASD
Baška, Erik 12.01.1994 Bora-Hansgrohe
Benedetti, Cesare 03.08.1987 Bora-Hansgrohe
Bodnar, Maciej 07.03.1985 Bora-Hansgrohe
Buchmann, Emanuel 18.11.1992 Bora-Hansgrohe
Burghardt, Marcus 30.06.1983 Bora-Hansgrohe
Fabbro, Matteo 10.04.1995 Bora-Hansgrohe
Gamper, Patrick 18.02.1997 Bora-Hansgrohe
Großschartner, Felix 23.12.1993 Bora-Hansgrohe
Kämna, Lennard 09.09.1996 Bora-Hansgrohe
Kelderman, Wilco 25.03.1991 Team Sunweb
Konrad, Patrick 13.10.1991 Bora-Hansgrohe
Laas, Martin 15.09.1993 Bora-Hansgrohe
Meeus, Jordi 01.07.1998 SEG Racing Academy
Oss, Daniel 13.01.1987 Bora-Hansgrohe
Palzer, Anton 11.03.1993
Politt, Nils 06.03.1994 Israel Start-Up Nation
Pöstlberger, Lukas 10.01.1992 Bora-Hansgrohe
Sagan, Juraj 23.12.1988 Bora-Hansgrohe
Sagan, Peter 26.01.1990 Bora-Hansgrohe
Schachmann, Max 09.01.1994 Bora-Hansgrohe
Schelling, Ide 06.02.1998 Bora-Hansgrohe
Schillinger, Andreas 13.07.1983 Bora-Hansgrohe
Schwarzmann, Michael 07.01.1991 Bora-Hansgrohe
Selig, Rüdiger 19.02.1989 Bora-Hansgrohe
Walls, Matthew 20.04.1998 EF Education First
Wandahl, Frederik 09.05.2001 ColoQuick
Zwiehoff, Ben 22.02.1994

Dieser Artikel erschien in der RennRad 4/2021. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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