Interview: Aero-Laufräder
Interview: Experte Eric Helter über den Nutzen von Aero-Laufrädern
in Allgemein
Schneller: Höhere Felgen, weniger Luftwiderstand? Mit Aero-Laufrädern ist es möglich, bei gleicher Leistung eine höhere Geschwindigkeit zu erzielen. In der aktuellen Ausgabe der RennRad haben wir sechs Aero-Laufräder zwischen 1199 und 5430 Euro im Windkanal und auf der Straße getestet. Mit teilweise überraschenden Ergebnissen. Erklärungen und Informationen liefert Aero-Experte Professor Eric Helter in diesem Interview.
Professor Eric Helter, Jahrgang 1967, besitzt jeweils ein Diplom in Bauingenieurwesen und in Luft- und Raumfahrttechnik mit Schwerpunkt auf Aero-Design. Er ist außerdem selbst aktiver Radportler: 2018 und 2019 belegte er in seiner Altersklasse Podiumsplatzierungen in der Klasse Einzelstarter bei Rad am Ring und zuletzt beim Nürburgring-Zeitfahren. Seit Anfang 2018 entwirft er Laufräder für die Firma Leeze. Des Weiteren ist er Aerodynamik-Berater für mehrere Motorsport-Teams.
Aero-Laufräder: Auch Hobbyfahrer profitieren
Für wen lohnen sich Aero-Laufräder?
Die Aerodynamik ist im Flachen der beherrschende Fahrwiderstand. Kommen Berge ins Spiel, dominiert die Hangabtriebskraft. Aber auch im gemischten bis bergigen Gelände bleibt die Aerodynamik oft der wichtigste Faktor.
Ab welcher Durchschnittsgeschwindigkeit sind Aero-Laufräder sinnvoll?
Gerade Hobbyfahrer profitieren von Aero-Laufrädern. Schon ab etwa 25 km/h lassen sich die Vorteile messen. Bei einer Geschwindigkeit ab 35 km/h sind die Vorteile natürlich noch deutlicher. Allerdings ist auch die Windgeschwindigkeit zu beachten. Die Effekte steigen auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten bei stärkerem Wind an.
Seitenwindanfälligkeit bei Aero-Laufrädern
Was sind die Nachteile hoher Felgen?
Die Nachteile haben sich in letzter Zeit immer mehr relativiert. Das liegt in erster Linie daran, dass die Seitenwindanfälligkeit wesentlich reduziert wurde, aber auch daran, dass die Felgen wesentlich leichter wurden. Wenn man überhaupt noch Nachteile im Vergleich zu Felgen mit geringerer Höhe sucht, kann man sicherlich die Seitenwindanfälligkeit und eventuell die Massenträgheit ansprechen.
Wie kann man Aero-Laufräder weniger anfällig für Seitenwind machen?
Alle Bemühungen um eine gute Aerodynamik sind vergebens, wenn sich das Laufrad instabil anfühlt. Zerrt Seitenwind am Vorderrad, verlässt man mitunter die aerodynamische Unterlenkerposition, richtet sich vielleicht auf oder hört sogar auf zu treten. In diesem Moment habe ich nichts gewonnen, sondern verloren. Für mich ist es die erste Herausforderung, aerodynamische Felgen zu bauen, die auch unempfindlich gegen Seitenwind reagieren. Ich persönlich setze in der Entwicklung eines aerodynamischen Profils fast ausschließlich auf Computeranalysen. Bei diesen Simulationen werden sowohl kontinuierliche als auch impulsartige Luftströme auf einen virtuellen Felgenkörper aufgebracht. Die Optimierung erfolgt iterativ. Das Resultat sind bauchigere Felgen.
Luftwiderstand: den Großteil macht der Fahrer aus
Wie hoch ist der Anteil der Laufräder an der Aerodynamik eines Radfahrers?
Je nach Körpergröße macht der Fahrer mit Bekleidung und Helm bis zu 74 Prozent des Luftwiderstands aus, Rahmen-Set und Laufräder jeweils etwa acht Prozent. Hier ist es jedoch besonders wichtig zu wissen, dass Laufräder bei Seitenwind über 60 Prozent des Segeleffekts übernehmen. Die verbleibenden zehn Prozent übernehmen Antriebskomponenten, Lenker und Flaschen. Daraus ziehe ich folgende Erkenntnisse: Eine tiefe Sitzposition, solange ich sie halten kann, bringt den größten aerodynamischen Vorteil. Je besser das Aerodesign meiner Laufräder, desto mehr treiben sie mich nach vorne. Dies kann teilweise über zehn Watt Ersparnis bedeuten. Dieser Prozentsatz verändert sich im Laufe der Weiterentwicklung stetig. Durch verbesserte Kleidung und optimierte Laufräder kann deren Anteil an der Gesamt-Aerodynamik steigen, während der Einfluss des Fahrers selbst etwas abnimmt.
Wie wichtig ist der Übergang von der Felge zum Reifen?
Der Übergang sollte möglichst harmonisch, also fast nahtlos sein. Eine Kante führt zum Strömungsabriss und erhöht den Luftwiderstand. Folglich kann ein schlecht sitzender Reifen den aerodynamischen Vorteil eines Felgenprofils völlig zunichtemachen.
Der Einfluss des Reifens auf die Aerodynamik
Und der Reifen selbst?
Entscheidend ist vor allem das Reifenprofil. Es sollte die anströmende Luft ohne viele Verwirbelungen auf die Felge führen. Ist der Reifen glatt, ohne Profil, reißt der Luftstrom ab, der Luftwiderstand steigt stark an. Es gibt Reifen, deren Profil aus aerodynamischer Sicht für mich sehr interessant sind. Im Zuge meiner Professur betreue ich seit dem Wintersemester 2019 eine Studie bezüglich Reifenbreite, Reifenprofil und Oberflächendesign von Rennradreifen. Erste Erkenntnisse zeigen, dass vor allem die Form der Reifenschulter sowie die Gestaltung der äußeren Seitenwand einen wichtigen Einfluss auf den Luftwiderstand des Reifens haben. Aus aerodynamischer Sicht würde ich bezüglich der Reifenbreite derzeit eher auf die Kombination 23 Millimeter vorne und 25 Millimeter hinten setzen. Gerade hinsichtlich der Alltagstauglichkeit sind 23 Millimeter-Reifen nicht mehr der Standard, grundsätzlich sind schmalere Reifen aerodynamisch besser als breitere. Die Analyse ergab ein Reifenbild, das einem Bahnrad-Reifen ähnlich ist, aber profilierter.
Aero-Laufräder: Der Einfluss der Felge
Welchen Einfluss hat die Felgenbreite?
Der aerodynamische Vorteil einer Felge kommt hauptsächlich aus der Felgenhöhe, dem Profil und der Breite der Felgen. Anzahl, Länge und Form der Speichen sind nicht weniger wichtig. Auch hier muss zwischen der Aero-Optimierung und der Alltagstauglichkeit unterschieden werden. Die Länge der Speichen reduziert sich durch die Felgenhöhe, die Anzahl ist fast schon eine philosophische Frage. Weniger Speichen verbessern die Aerodynamik, dafür muss man Einbußen bei der Steifigkeit in Kauf nehmen. Bezüglich der Felgenbreite ist es wichtig, dass ein gerader Übergang vom Reifen zur Felge entsteht. Eine „bauchige Felge“, welche im Querschnitt eher an ein “U” erinnert, hat wesentlich bessere aerodynamische Fähigkeiten als eine „V“ Form. Besonders die Seitenwindstabilität wird hierdurch erhöht. Um die Verwirbelung der Luft beim Übergang zwischen Reifen und Felge so gut wie möglich zu verhindern, sollte die Felge etwa fünf bis sechs Prozent breiter sein als die reale Reifenbreite. Durch dieses Phänomen wird der Luftwiderstand merklich reduziert.
Welchen Einfluss hat die Art der Bremse auf die Aero-Laufräder?
Scheibenbremsen sind derzeit aerodynamisch definitiv schlechter, in Zukunft werden sie sich sicherlich im Radsport weiter etablieren. Meine Untersuchungen analysierten einen Nachteil von knapp zwei Watt. Man muss abwägen: Bessere Bremsperformance und damit erhöhte Sicherheit sind sehr wichtige Argumente, weswegen man die schlechtere Aerodynamik in Kauf nehmen kann. Momentan arbeite ich an aerodynamischen Lösungen, die diesen Nachteil noch mehr kompensieren werden.
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