Widerstand
Aero-Helme im Windkanal-Test: Fahrradhelme für mehr Aerodynamik
in Test & Technik
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Für alle Einsatzzwecke gibt es spezielle Rennräder: Zeitfahren, Race, Langstrecke, Gravel, Cyclocross. Bei den Helmen verhält es sich inzwischen nicht grundsätzlich anders: Manche Modelle sind extrem gut belüftet, andere sind auf Geschwindigkeit ausgelegt: Aero-Helme – wie sie die Radprofis bereits seit Jahren tragen. Diese Modelle sind glattflächig und weisen nur wenige kleine Belüftungsöffnungen auf. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es eine Vielzahl von Modellen, die gut belüftet und dennoch windschnittig sind – die Grenzen sind fließend.
Während wir bei unserem letzten Helm-Windkanal-Test die komplette Bandbreite von Helmen prüften, also vom bestens belüfteten Sommerhelm bis hin zum reinen Zeitfahrhelm, untersuchten wir diesmal Aero-Helme mit einer eher maßvollen Belüftung – die goldene Mitte, zwischen Belüftung und Aerodynamik.
Aero-Helme im Windkanal
Wie bei allen Tests, bei denen die Aerodynamik beziehungsweise der Luftwiderstand im Vordergrund steht, heißt auch hier die Ausgangsfrage: „Wie viel Leistung und Zeit lassen sich mit Aero-Helmen gegenüber den Standard-Varianten sparen?“ Und was ist ein typischer Standardhelm? Im letzten Test kreierten wir einen solchen anhand durchschnittlicher Aero-Werte, indem wir das arithmetische Mittel von vier normalen Helmen ermittelten.
Der Abus Aventor lag nur ein Zehntel Watt unter diesem Wert. Deshalb nahmen wir ihn auch in diesen Test auf: als Standardhelm und Bezugsgröße. Die anderen acht aerodynamischen Helme im Windkanal müssen nun zeigen, dass sie „schneller“ sind.
Die Messungen fanden wieder im GST-Windkanal in Immenstaad am Bodensee statt. Die wissenschaftliche Leitung übernahm erneut unser freier Mitarbeiter Dipl.-Ing. Volker Buchholz von der Technischen Hochschule in Lemgo, Fachbereich Maschinentechnik und Mechatronik. Wie bei unseren früheren Windkanaltests kam auch diesmal ein winkelverstellbarer Oberkörper-Dummy mit gekürzten Armen und Beinen zum Einsatz. Wir wählten wieder eine gemäßigte Langstreckenhaltung, vergleichbar mit der Griffposition „Unterlenker, Arme gestreckt“. Ein Kopf-Dummy hätte hier keine korrekten Ergebnisse geliefert, da besonders die hintere Hälfte des Helms großen Anteil am gesamten Luftwiderstand hat. Denn dort reißt der Luftstrom ab und es kommt über dem Rücken zu verlustbehafteten Verwirbelungen.
Ausgeklügelte Produkte
Grundsätzlich sind Aero-Helme technisch ausgeklügelte Produkte. Denn: Spezielle düsenförmige Öffnungen an der Front führen den kühlenden Wind durch großzügig bemessene Kanäle gleichmäßig über den Kopf, die großen Kanäle führen deshalb in der Regel zu einer größeren Bauhöhe. Die Auslassöffnungen leiten den Wind gebündelt hinaus.
Gut gemachte Aero-Helme sind oft besser belüftet, als ihre geschlossene und verschalte Außenhülle vermuten lässt. Aus Gründen der Vergleichbarkeit ist es üblich Versuche im Windkanal mit 45 Kilometern pro Stunde durchzuführen, gleichzeitig ist das auch die Bezugsgeschwindigkeit für Zeitfahrer und Triathleten. Für Hobbyfahrer rechneten wir die Ergebnisse auf 35 km/h herunter.
Diese Aero-Helme haben wir im Windkanal getestet
Die Testergebnisse sowie die Stärken und Schwächen der Helme im Überblick. Die Wattersparnisse beziehen sich auf den Vergleich mit dem definierten Standardhelm, dem Abus Aventor. Die besten Werte erzielt der Scott-Helm.
Modell | Preis | Watt-Ersparnis | Prädikat |
Abus Aventor* | 149,95 Euro | 0 Watt | |
Bell Z20 Aero | 259,99 Euro | 4,6 Watt | |
Ekoi Aerodynamic | 69,99 Euro | 10,0 Watt | Kauftipp |
Giro Vanquish | 249,99 Euro / 259,99 Euro | 9,3 Watt | Kauftipp |
Giro Synthe Mips | 229,99 Euro / 239.99 Euro | 0 Watt | |
Mavic Comete Ultimate | 270 Euro | 2,3 Watt | |
Scott Cadence Plus | 249,95 Euro | 10,6 Watt / 8,7 Watt | Testsieger |
Specialized Evade II | 299,90 Euro Nachfolge-Modell mit MIPS | 9,6 Watt | Race-Tipp |
Uvex Race 9 | 259,95 Euro | 5,2 Watt |
* Referenzhelm
Die ausführlichen Testberichte der Aero-Helme mit Angaben über Gewicht, Belüftung, Leistung, Stärken, Schwächen und vielem mehr gibt es in der RennRad 3/2020. Hier können Sie das Magazin als Printausgabe oder E-Paper bestellen.
Die getesteten Aero-Helme in der Bildergalerie
Die Berechnungen
Im Windkanal ermittelten wir für alle neun Helme die Leistung, die benötigt wird, um den Luftwiderstand zu überwinden. Gemessen wurden die Werte des Oberkörper-Dummys mitsamt Helm. Diese Werte haben nur einen theoretischen Charakter, da der Dummy gekürzte Arme und Beine hat, weiterhin wurde ohne Rennrad gemessen. Einzig und allein sind die Unterschiede zwischen den Messungen von Bedeutung, da wir nur die Helme wechselten.
Die Differenzen sind allein den Unterschieden zwischen den Helmen zuzuschreiben. Der Windkanalbetreiber GST gibt die Genauigkeit der Messungen mit plus/minus 0,5 Watt an. Da die Halterung des Dummys zwischenzeitlich geändert wurde, um auch Aero-Bekleidung zu messen, sind die Messwerte vom kompletten Prüfstand nicht exakt mit den Werten aus dem zurückliegenden Test aus 2018 zu vergleichen.
In den Testbriefen finden Sie zunächst die „gewichtete Leistung“ des Dummys mit Helm. Während der Messung dreht sich der Prüfstand mit dem Versuchsaufbau von minus nach plus 20 Grad. Damit sind Seitenwindverhältnisse hier mitberücksichtigt. Einschließlich der Frontalanströmung, null Grad, erhalten wir für jedes Grad einen Messwert. Die Auswertungs-Software von GST berechnete die „gewichtete Leistung“ in Abhängigkeit vom Anströmwinkel.
Das heißt: Die einzelnen Winkel mit den dazugehörigen Leistungen werden in dem Maße prozentual gewichtet, wie sie draußen in der Praxis auf den Straßen vorkommen. Sicher wird dabei ein frontaler Anströmwinkel am häufigsten sein und viel höher gewichtet werden als etwa 20 Grad.
Aero-Helme im Windkanal-Test: Die Ergebnisse
Die gewichteten Leistungen betragen bei unserem Standardhelm Abus Aventor 278 Watt – und beim Testsieger Scott Cadence Plus 267,4 Watt. Die Differenz beträgt somit 10,6 Watt. Dies entspricht dem Leistungsgewinn zum Standardhelm. Mit anderen Worten: Mit dem Aerohelm Scott Cadence Plus lassen sich bei einer Geschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde 10,6 Watt sparen: Man kann demnach bei der gleichen Leistung schneller fahren. Die Leistungsgewinne finden Sie in den Testbriefen.
Ebenso ist dort die Zeit für 100 flache Kilometer bei 45 und bei 35 Kilometer pro Stunde notiert, mitsamt der gewonnenen Zeit gegenüber dem Standardhelm. Die Basis dieser Berechnung ist eine reale Fahrsituation mit dem Rennrad, mit dem dazugehörigen Leistungsbedarf für die Sitzposition „Unterlenker mit gestreckten Armen“. Hier verrechneten wir die Leistungsgewinne der einzelnen Helme. Neben der Zeit für diese Strecke geben wir auch den Zeitgewinn gegenüber dem Standardhelm an.
Wie viel Zeit lässt sich durch Aero-Helme sparen?
Immerhin lassen sich so mit dem Testsieger bei einem „45er Schnitt“ 71 Sekunden auf 100 Kilometer sparen. Bei einem „35er Schnitt“ spart man 88 Sekunden. Der Zeitgewinn ist deshalb größer, weil man mit der langsameren Geschwindigkeit auch länger unterwegs ist. Mit den vier aerodynamischsten Helmen dieses Tests – den Modellen von Scott, Ekoi, Specialized und Giro – lassen sich rund zehn Watt bei einem „45er Schnitt“ einsparen. Das ist viel.
Nur, wenn ein engagierter Hobbyfahrer seine flache Feierabendrunde mit einem bemerkenswerten Schnitt von 35 Kilometer pro Stunde absolviert, dann bleibt vom Leistungsgewinn zehn Watt – bei 45 km/h – nur knapp die Hälfte übrig: 4,7 Watt. Der Grund: Leistung und Geschwindigkeit verhalten sich nicht proportional zueinander – der Leistungsbedarf zur Überwindung des Luftwiderstands steigt in dritter Potenz mit der Geschwindigkeit. Die Berechnung dazu lautet:
(35 km/h /45 km/h)³ * 10 Watt = 4,7 Watt
Zeitgewinne
Desgleichen hochgerechnet bedeutet das für Elite- und Profi-Zeitfahrer: Bei einem „55er Schnitt“ werden ganze 18,3 Watt gespart. Desgleichen gewinnen Einsteiger bei einem „25er Schnitt“ nur 1,7 Watt. Um die Vorteile von Aero-Helmen aufzuzeigen, fügen wir noch eine weitere Rechnung an.
Wir ermittelten die Geschwindigkeit, die sich einstellt, wenn sich der beschriebene Rennradfahrer eine zehnprozentige Gefällestrecke ohne zu treten hinabrollen lässt. Bei dieser Berechnung verwendeten wir nicht die gewichtete Leistung, sondern die der reinen Frontalanströmung: Das ist praxisnäher und entspricht windstillen Verhältnissen.
Aero-Helme sind besser belüftet als vermutet
Zusammengefasst können wir festhalten: Die Aero-Helme sind durchgehend besser belüftet, als ihre geschlossene Außenschale vermuten lässt. Die Top-Helme der Hersteller sind zunehmend mit dem Sicherheitssystem MIPS ausgestattet, so auch sechs Helme in diesem Test. Der Kopf soll damit nicht nur gegen eine Stoßbelastung geschützt werden, sondern zusätzlich auch gegen eine Rotationsbeschleunigung. Beim MIPS-System kommt eine zweite, dünne, innere Helmschale zum Einsatz, die sich gegen die äußere um bis zu 15 Millimeter verdrehen kann. Was Sinn ergibt, denn bei Stürzen aus der Fahrt heraus berührt der Helm den Asphalt in einem flachen Winkel und auf diesen wirkt dadurch eine Kombination aus Rotationsbeschleunigung und Stoßbelastung ein.
Specialized geht beim Thema Sicherheit noch einen Schritt weiter. Der neue „S-Works Evade 2“ verfügt neben dem MIPS-System auch über einen Notfall-Sensor namens ANGi, der im Falle eines Sturzes automatisch eine SMS mit den Daten des Unfallortes an eine vorgegebene Adresse schickt. Bei diesem aufwendigen Test im Windkanal und auf der Straße gab es auch für uns ein Bündel an neuen Erkenntnissen.
Das Ergebnis der Analyse der Daten aus den Windkanal-Test ergibt folgende Rangfolge:
1. Scott Cadence Plus
2. Ekoi Aerodynamic
3. Specialized S-Works Evade 2
Tropfenähnliche Form
Bei der Sicht von oben auf dieses Siegerpodest fällt auf, dass die Helme von Scott und Specialized eine tropfenähnliche Form aufweisen. Bekanntlich ist der Tropfen die strömungsgünstigste Körperform. In der Seitenansicht erkennen wir, dass beide Helme weit über den Hinterkopf hinausragen, ähnlich wie bei reinen Zeitfahrhelmen. Besonders bei kleinen Köpfen ergibt sich ein etwas unproportioniertes oder gewöhnungsbedürftiges Bild.
Die sehr guten Ergebnisse des zweitplatzierte Ekoi sind mit einer glatten Außenschale und einer eingeschränkten Belüftung erzielt worden. Der Scott Cadence Plus überzeugt nicht nur mit phantastischen Messwerten, sondern auch mit einem ausgeklügelten Belüftungssystem. Mit fünf Verschluss-Stopfen, den Aeroplugs, lassen sich die großen Belüftungskanäle einzeln verschließen. Die „offene Variante“ benötigte nur zwei Watt weniger, als die geschlossene. Mit nur zwei oder drei entfernten Plugs lassen sich gute Zwischenergebnisse erzielen.
Der Charakter eines Helms wird von vielen Kriterien bestimmt: Aerodynamik, Belüftung, Sicherheit, Gewicht, Optik, Preis. Und: dem Tragekomfort.